Vom
Cyberspace zum Klamath See,
die Jagd nach der Wahrheit über blaugrüne
Algen enthüllt eine verborgene Ökologie.
Diesen Artikel publiziere ich mit freundlicher Genehmigung der Salon Media Group. Das Original dieser Seite ist auf der Website der Salon Media Group unter http://archive.salon.com/july97/21st/algae1970724.html gespeichert.
The Salon Media Group kindly allowed me to translate and publish this article, the original can be found at Salon Media Groups website at http://archive.salon.com/july97/21st/algae1970724.html
1.
Das Grüne Gold
Ich starrte hinunter
in die kühlen Fluten des oberen Klamath Sees in Oregon und war verzaubert
von den unzähligen schlanken, blaugrünen Fäden, die in der Tiefe hin und
her wogten. Ihre grazile Anmut hatte mich überrascht. Ich warf einen flüchtigen
Blick auf den von Wind und Wetter gezeichneten Mann, der in der Nähe des
Docks stand und darauf wartete, mir ein Kanu zu vermieten.
"Also das sind die blaugrünen Algen, von denen ich schon so viel gehört habe?" fragte ich.
"Ja!" antwortet er schleppend. "Das ist das grüne Gold."
Fans der blaugrünen Alge aus dem Klamath See haben viele Namen für sie -- "weltbeste Supernahrung", "neuro-somatischer Nährstoff", "Düsentreibstoff". Aber nach meinen langen Recherchen beinhaltete in meinen Augen keine Bezeichnung soviel Wahrheit wie "Grünes Gold". Algen sind Gold im Klamath-Talbecken - ein viele-Hundert-Millionen-Dollar-pro-Jahr-Geschäft. Hunderttausende, die sich selbst als "Algen-Esser" bezeichnen, sind davon überzeugt, dass der Verzehr dieser Nahrungsergänzung die Energie steigert und die geistige Klarheit fördert. Und es werden, den Kritikern zum Trotz, immer mehr, die dies als fixe Idee anprangern, als einen gerissen vermarkteten neuem Schabernack, der eher die Gesundheit schädigt als sie zu verbessern.
Wundermittel oder nationale Sicherheitsbedrohung? Meine Reise zu den Ufern dieses kalten Gebirgssees begann weit weg, in den entferntesten Ecken des Internet, wo sich die Algen-Hausierer breit machen. Als Reporter strebte ich nach der Wahrheit über diesen Teich-Abschaum - als den ihn einige der lautstarken Algen-Kritiker abtun. Meine Suche war zu einem Musterbeispiel für den Medienrummel des Informationszeitalters geworden. Digitale Träumer leben mit der Phantasie, dass das Internet eine unerschöpfliche Informationsquelle ist, die ultimative Fundgrube für Antworten auf alle Fragen. Die Wahrheit liegt irgendwo da drinnen.
Zumindest hoffte ich das. Aber die Wahrheit ist, genau wie Algen, eine sehr glitschige Substanz. Das Internet zeigte mir die Richtung, lieferte mir aber nicht das Ergebnis. Um die blaugrüne Alge wirklich zu begreifen - wie sie riecht, wie sie schmeckt, wie sie eine Schlüsselrolle in der Ökonomie einer Notstandsregion im Süden von Oregon spielt - dazu musste ich selbst zum Algen-Esser werden. Ich musste mich von meinem Computer abwenden, zu diesem See fahren und mit den Algen kommunizieren. Und selbst danach musste ich akzeptieren, dass ultimative Antworten in den tiefen, blaugrünen Fluten für immer versteckt bleiben könnten.
2. Die Ernte im Internet
Wenn Sie bei der Suchmaschine Alta Vista den Suchbegriff "blaugrüne Algen" eintippen, dann erhalten Sie 3.000 Treffer. Das ist nicht besonders überraschend - blaugrüne Algen sind eine der einfachsten, aber stärksten Lebensformen in der Natur und kommen überall dort vor, wo es Süßwasser gibt. Aber jene spezielle Gattung blaugrüner Algen, die überall im Internet blüht, ist hauptsächlich unter dem Namen "Super Blue Green Algae" bekannt und wird nur an einem einzigen Ort vorgefunden: am Klamath See.
Während des Sommers 1997 wurde von 11 Unternehmen berichtet, die im Klamath See Algen ernteten. Ein Unternehmen, Cell Tech, ist weit und breit das größte, mit einem Jahresumsatz von 200 Millionen Dollar in 1996. Cell Tech hat den Namen "Super Blue Green Algae" markenrechtlich schützen lassen und die Cell Tech Händler vermarkten die Nahrung mit unerbittlichem Einsatz.
Cell Tech operiert nach den Prinzipien des Multilevel Marketing - einer Vermarktungsstrategie, bei der die Händler für eine Provision ein rabattiertes Produkt an Endverbraucher verkaufen und diese ermutigen, ebenfalls Händler zu werden. Ein Beobachter beschreibt es als "Amway zum Essen" und diese Taktik adaptiert sich natürlich im Internet. Hunderte von Cell Tech-Händlern unterhalten Webseiten und ihr Spam taucht regelmäßig in Email-Postfächern, Foren und Newsgroups auf und verkünden sowohl die wundervollen Vorteile des Verzehrs von blaugrünen Algen als auch die erstaunlichen finanziellen Möglichkeiten des Algen-Geschäftes.
Ein Händler schrieb in einer Email-Werbebotschaft: "Powertypen können wirklich innerhalb von zwei Jahren auf ein dauerhaftes Monatseinkommen zwischen 5.000 und 15.000 Dollar kommen. Und es ist noch mehr möglich, es gibt keine Grenzen."
Cell Tech selbst ist im Internet kein unbeschriebenes Blatt. Das Unternehmen betreibt seine eigene Webseite und erklärt, dass es die Webseiten seiner Händler überprüft, um sicherzustellen, dass diese konform zu den Werberichtlinien sind. Dem Unternehmen Cell Tech, das die blaugrünen Algen als Nahrungsmittel vermarktet, wurde von der FDA die gesundheitsbezogene Produktwerbung für seine Super Blue Green Algae untersagt. Die Alge, so konnte ich immer wieder im Web lesen, sorgt dafür, dass sich die Menschen immer besser fühlen, weil es da eine "Synergie durch die Vielfalt an Inhaltsstoffen" gibt, die die "einfache quantitative Biochemie" übertrifft.
Als ich zum ersten Mal die Homepage von Cell Tech sah, fand ich nichts vages oder unklares. In großen, fetten Buchstaben lief mitten auf der Seite die Schlagzeile: "Cell Tech's Antwort auf Falschinformationen im Internet."
Algen-Verkäufer sind nicht die einzigen Algen-Enthusiasten im Internet: Die Phykologie - die Wissenschaft der Algenkunde - entfaltet sich im Netz. Es gibt Webseiten mit allen möglichen algenbezogenen Informationen. Top-Algenkundler handeln Tipps und diskutieren über Mailinglisten die neuesten Forschungsentwicklungen. Bewunderer und Unternehmer beteiligen sich an aufflammenden Algen-Kriegen in Usenet-Newsgruppen wie z.B. misc.health.alternative und sci.med.nutrition.Es gibt sogar ein virtuelles Büro eines kommerziellen Kammerjägers für Giftalgen, eine Landkarte des Klamath Sees - oder auch einen Auszug der Grübelei eines William Barry, Autor der Fibel über Blaugrüne Algen: "Die erstaunliche, großartige, wunderbare Alge."
Nach wenigen Stunden Surferei wusste ich, dass der botanische Name für "Super Blue Green Algae" Aphanizomenon flos-aquae lautet. Ich hatte auch die weltweit führenden Spezialisten für giftige Algen gefunden - Wayne Carmichael von der Wright State University und Donald Anderson von Woods Hole Laboratories. Ich wusste nun, dass Super Blue Green Algae verwandt war mit anderen Algenformen, die gegenwärtig als Gesundheitsnahrung vermarktet werden, wie z.B. Spirulina und Chlorella. Und ich hatte entdeckt, dass eine bedeutende Anzahl an Medizinern die Algen-Esser als hoffnungslose Narren ansahen.
Auf einer Webseite namens Quackwatch entdeckte ich, dass Victor Kollman, der Bruder des Cell Tech-Gründers Daryl Kollman, von der FDA Mitte der achtziger Jahre gezwungen wurde, sein Unternehmen, das Algen aus dem Klamath See verkaufte, zu schließen. Victor Kollman hatte offensichtlich die Gesetze für therapeutische Produktansprüche übertreten. Und: laut Quackwatch waren die Cell Tech-Händler keinen Deut besser mit ihren Behauptungen, dass die blaugrüne Algen einfach alles heilen können, von ADD bis AIDS.
"Konsumenten der Super Blue Green Algae berichten, dass sie den ganzen Tag über viel mehr Energie verfügen, ohne extreme Höhen und Tiefen," postet ein Händler im Usenet. "Sie berichten von besserem Erinnerungsvermögen und mentaler Klarheit, verbesserter Verdauung, Kontrolle über Appetit und Esslust sowie erhöhte Abwehrkräfte. Sie berichten von Hilfe gegen Müdigkeit, Unterzuckerung, prämenstruelle Syndrome, Angstgefühle und Depressionen.
Auf der Webseite von Health Watch erfuhr ich, dass Carmichael 1995 einen Artikel in "Scientific American" veröffentlichte, in dem er schrieb, dass "giftige Blüten" häufig an den gleichen Stellen vorkommen, an denen Aphanizomenon flos-aquae gedeihen - und dass die Selektionsverfahren zur Trennung von guten und bösen Algen unzulänglich sind. Und was vielleicht am schlimmsten war: die im Usenet publizierte Synopsis eines Artikels der Märzausgabe des Magazins "Self" zitierte niemand anderen als den Guru der Alternativen Medizin, Andrew Weil, der erklärte, dass es nicht den "Hauch eines Beweises für die gesundheitlichen Behauptungen" der Cell Tech-Händler gibt.
Cell Tech's Antwort auf die "Falschinformation" beschäftigte sich jedoch nicht mit diesen Berichten. Sicher, mit Cell Tech's "Fax-auf-Abruf-Service" konnte man umfangreiche Erwiderungen auf kritische Artikel in Self, in Verbraucherschutz-Berichten, in der Vegetarian Times und des National Council Against Health Fraud erhalten. Auf seiner Webseite antwortete das Unternehmen aber auf zwei spezielle Behauptungen derart detailliert, dass es auf Laien abstoßend wirkte. Erstens bestritt das Unternehmen den Vorwurf, Super Blue Green Algae enthielten möglicherweise ein gefährliches Neurotoxin, "Anatoxin-A" genannt, zweitens zog man die Behauptung ins Lächerliche, Anatoxin-A, das einige Wissenschaftler als "Kokain-Ersatz" ansehen, könnte der Grund sein, warum so viele hingebungsvolle Algen-Esser dessen energiesteigernde Wirkung bezeugen.
Warum antwortete Cell Tech nun gerade auf diese speziellen Vorwürfe in aller Öffentlichkeit? Was war die Geschichte hinter der Geschichte? Ich hatte das Internet durchkämmt, konnte diese Frage jedoch nicht beantworten. Und je mehr ich online über Algen lernte, desto düsterer wurde das Bild. Die Anti-Quacksalber reichten eine Klage gegen Cell Tech ein, aber Teile ihrer Rhetorik waren genau so abstoßend wie die offensichtlich selbstherrlichen Sprüche der Cell Tech-Händler. Sie warfen alle Formen "alternativer Medizin" in einen Topf und bezeichneten sie als Unsinn und Märchen und gefielen sich darin, die Algen als "Teich-Abschaum" zu verunglimpfen.
Stephen Barrett, Psychologe und Betreiber der Webseite Quackwatch, erzählte mir, dass er Veröffentlichungen im Internet bevorzugt, weil diese ihm die Chance bieten, seine Version der "ungefilterten" Wahrheit aufzuzeigen. Aber ich fand es schwer, aus einem Netz voll von ungefiltertem Geschrei ein klares Bild zu erhalten.
Das Internet konnte mir ab hier nicht mehr weiterhelfen. Ich musste noch tiefer einsteigen. Ich musste nun zum Telefonhörer greifen.