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Albanien im Schatten der Pyramiden
von Carlos Elbirt
Albaniens Schicksal scheint eng mit Pyramiden verflochten zu sein. Ismail Kadare, ein berühmter zeitgenössischer Schriftsteller, der mehrfach für den Nobelpreis nominiert wurde, schrieb das Buch 'Pyramida' (Die Pyramide). Die Geschichte spielt im alten Ägypten, in dem der Pharao ein totalitäres, mythisches System benutzt, ähnlich wie dies später seine kommunistischen Diktatoren-Nachfolger taten. In Albanien wurde nach dem Tod des kommunistischen Despoten Enver Hoxha ein pyramidenähnliches Gebäude erschaffen, das seinem Angedenken gewidmet wurde. Aber die Albaner lernten auch die Pyramiden-Vielfalt der Ponzi-Systeme kennen (siehe Schlussbemerkung), als sie ihr Geld in der Hoffnung einzahlten, Rekord-Zinssätze zu erhalten und dies zu einem Nationalsport wurde.
Nach dem Fall des Kommunismus erwirtschaftete die junge und dynamische Privatwirtschaft zusammen mit den Überweisungen der mehr als 400.000 im Ausland, überwiegend in Griechenland und Italien, arbeitenden Albaner steigende inländische Spareinlagen. 1995 betrugen die privaten Spareinlagen bereits 15 Prozent des Bruttoinlandproduktes BIP oder 350 Millionen Dollar (von faktisch 0 zwei oder drei Jahre zuvor). Diese Ersparnisse summierten sich mit den Überweisungen aus dem Ausland auf mehr als 600 Millionen Dollar in 1995 und über 700 Millionen Dollar in 1996.
Diese neue Klasse unerfahrener Kontoeigentümer wurde leichte Beute für Schwindler, die all jenen exorbitante Zinssätze versprachen, die in ihre Systeme einstiegen. Anfangs hielten sie ihre Versprechen und kamen ihren Zahlungsverpflichtungen mit dem Geld der nächsten Welle an Investoren nach. Deshalb werden solche Systeme als Pyramidensysteme bezeichnet: die das Geld einzahlende Basis muss schnell wachsen, um das System funktionsfähig zu erhalten. Eine Frau bot Investoren 20 bis 30 Prozent Zinsen pro Monat und wurde niemals gefragt, wie sie sich das bei einer jährlichen Inflationsrate von nur 13 Prozent leisten kann. Bevor sie eingesperrt wurde, konnte sie 50 Millionen Dollar von naiven Sparen kassieren. Sie betrieb eine "artreine" oder Kapital-Pyramide und bemühte sich nicht einmal, das Geld zu investieren - im Gegensatz zu Investor-Pyramiden, die in echte Beteiligungen investieren wie z.b. in Supermärkte, Bürokomplexe und Tankstellen.
Zwei Kapital-Pyramiden deponierten ihre Gelder auf kommerziellen Bankkonten. Auf der Höhe des Pyramiden-Fiebers im letzten Quartal des Jahres 1996 häuften sich auf diesen Konten mehr als 250 Millionen Dollar. Wegen der damaligen Hochzinsphase stellten diese Einlagen nur 40 Prozent der Gesamtverbindlichkeiten der Pyramidensysteme dar. Glücklicherweise versuchten die Schwindler nicht, die angesammelten Gelder aus dem Bankensystem heraus zu transferieren. Man kann nur vermuten, warum dies nicht versucht wurde. Wahrscheinlich waren sie auf das Bankensystem angewiesen, da Pyramiden-Gelder aus jedem Winkel des Landes eingezahlt wurden. Anfang des Jahres 1997, als dann die Krise ausbrach, fror die Zentralbank die gesamten 250 Millionen Dollar ein, einerseits um die Einzahler zu schützen, aber auch als Schutzmaßnahme für das Bankensystem selbst, das eine plötzliche Abhebung dieser Einlagen keinesfalls hätte überleben können. Die Regierung gab diese 250 Millionen Dollar später an die Einzahler zurück, ohne Zinsen.
Die Geldgeber liquidierter Investor-Pyramiden wurden ebenfalls entschädigt, durchschnittlich mit etwa 50 Prozent ihrer Investition, in bar oder als Einlagenzertifikat, obwohl der aktuelle Wert ihrer Aktiva nicht bekannt war. Viele waren möglicherweise geschäftlich nicht überlebensfähig und dienten vielleicht sogar als Köder, um weitere Anleger zu angeln. Ein Unternehmen aus Süd-Albanien investierte in mehrere Hotels und Tankstellen. Es kassierte geschätzte 100 Millionen Dollar, bevor es zusammenbrach. Nachdem das wütende Volk auf die Straßen ging löste es sich mitsamt seinen Vermögen in Rauch auf.
Ein anderes Unternehmen - das mächtigste Pyramidensystem - hat wahrscheinlich mehr als 500 Millionen Dollar kassiert, die in Supermärkte, Reisebüros, Grundbesitz und sogar in den Bau und Betrieb einer eigenen Fernsehstation investiert wurden. Sein Anlagevermögen überstieg 6 Milliarden Dollar, zumindest buchmäßig. Ein weiteres Unternehmen sammelte mehr als 50 Millionen Dollar und investierte angeblich in die Bergbau-Industrie. Niemand jedoch konnte diese Minen aufspüren. Dennoch behaupten Veröffentlichungen, dass sich dieses Unternehmen der Unterstützung einflussreichster Kreise des Bergbau-Ministeriums erfreute. Es gab weitere kleine Unternehmen, die so geheimnisvoll agierten, dass es sogar schwierig war sie als Kapital- oder Investoren-Pyramide zu klassifizieren. Sie tätigten zwar nachweislich einige Investitionen, aber ihre Eigentümer zogen auch in neue, teuere Häuser um.
Der Gesamtwert der Einlagen aller 16 Pyramidensysteme summierte sich vor Ausbruch der Krise im Frühjahr 1997 - ohne die bis dahin angefallenen Zinsen - entsprechend mehrerer Berechnungen auf unglaubliche 1,2 Milliarden Dollar, also auf 50 Prozent des Bruttosozialproduktes des Landes. Die Verbindungen zwischen kriminellen Aktivitäten und den Pyramiden sind immer noch nicht restlos geklärt. Legale Aktivitäten der Pyramidenunternehmen hätten jedoch kaum diese unrealistischen Zinssätze auszahlen können, die sie ihren Klienten versprochen hatten.
Unglücklicherweise wächst Geld nun einmal nicht auf Bäumen. Deshalb fiel dem Autor dieses Artikels seine Prophezeiung im Oktober 1996 in einer lokalen Zeitung, die Pyramiden seien zum Scheitern verurteilt, nicht sonderlich schwer. Die Weltbank hatte bereits seit Mitte des Jahres 1996 höchsten Regierungsbehörden Warnungen vor der Pyramidengefahr zukommen lassen. Schon zuvor hatten mit diesem Phänomen vertraute Bankmitarbeiter höchste Regierungsvertreter vor den zu erwartenden Konsequenzen gewarnt. Der Direktor der Zentralbank drängte das Kabinett und Präsident Berisha, den Pyramidensystemen den Einzug von Einlagen zu verbieten. Ein solches Verbot wäre möglicherweise sogar legal gewesen, da das Bankgesetz bestimmte, dass das Einziehen von Einlagen das Monopol lizenzierter Banken ist, die Pyramidensysteme waren dazu nicht autorisiert. Ende des Jahres 1996 urteilten jedoch vom Präsidenten bestellte Richter, dass es sich bei den von den Pyramiden eingezogenen Geldern um "bilaterale Kredite" handele, die dem Zivilrecht - und damit nicht dem Bankrecht - unterlägen.
Im letzten Quartal des Jahres 1996 erhöhten sich die von den Pyramidensystemen gezahlten Zinssätze rasend schnell auf 30 Prozent, dann auf 40 Prozent und schließlich sogar auf 50 Prozent pro Monat. Die jährliche Inflationsrate lag deutlich unter 20 Prozent. Es war klar, dass der Zusammenbruch bevorstand. Schließlich meldeten alle bis auf vier Pyramidensysteme Anfang 1997 Insolvenz an. Das Volk gab der Regierung die Schuld und der endgültige Zusammenbruch der Pyramidensysteme eskalierte im Februar und März des Jahrs zu einem Aufstand gegen die Regierung und zu weitverbreitetem Widerstand gegen die Staatsgewalt. Schließlich wurden der Präsident und die Regierung gestürzt.
Warum aber machte das Volk die Regierung dafür verantwortlich? Die Regierung rief weder zu Investitionen in die Pyramidensystemen auf, noch riet sie dazu. Aber sie tolerierte diese Aktivitäten und gemäß der Kritiker legalisierte sie diese damit. Sicherlich veröffentlichte der Finanzminister eine formale, sehr vorsichtige Warnung vor den Risiken von Investitionen in diese Pyramidensysteme, nachträglich betrachtet sieht es aber aus, als sollte diese Warnung eher den International Monetary Fund IMF und die World Bank beruhigen als tatsächlich die Pyramiden stoppen. Die Öffentlichkeit aber wollte nicht glauben, dass ein System, in das jede zweite albanische Familie verstrickt war, nicht durch Bürgschaften der Regierung abgesichert ist. Zudem konnte man ja die Manager solcher Pyramiden auf offiziellen Empfängen sehen und sie wurden tagtäglich von den regierungskontrollierten Fernsehanstalten interviewt. Ihre Verbindung zur Demokratischen Partei von Präsident Berisha war offensichtlich (und wurde später bestätigt). Viele der Protestler behaupteten sogar, die Pyramiden seien eine Schöpfung der Regierung, genauer gesagt des Präsidenten. Aber die Pyramidensysteme befielen auch andere Parteien und andere Interessenverbände. Im Grunde war ihr Ziel, allmählich Alles und Jeden zu zermalmen.
Die Zeit der Pyramiden ist inzwischen Geschichte. Vier Investor-Pyramiden haben überlebt, obwohl sie keine Einzahlungen mehr erhalten, weil niemand mehr Investitionen wagt. Aber sie entschädigen jeden Tag einige der Sparer und haben so erfolgreich die Illusion geschaffen, sie seinen gesund und würden eines Tages alle entschädigt haben. Die World Bank hat ein 6 Millionen Dollar Programm initiiert (finanziert aus früheren technischen Hilfsprojekten der Bank und durch Spenden anderer Geldgeber), um auch bei den letzten albanischen Pyramidensystemen eine Wirtschaftsprüfung zu ermöglichen und die Unternehmen geordnet zu schließen. Ausländische Firmen werden die verbliebenen Investoren-Pyramiden überprüfen. Es wird erwartet, dass diese Aufgabe große internationale Wirtschaftsprüfungsunternehmen reizt.
Albaniens Schicksal wird weiterhin so lange mit den Pyramiden verflochten sein, bis alle Pyramidenunternehmen unter externe Verwaltung gestellt wurden (wie dies ein Gesetz vorsieht, das kürzlich vom neuen Parlament beschlossen wurde) und bis die Anlagevermögen der Pyramiden weitestgehend offengelegt, die Konten geprüft, die Einlagen identifiziert und das verbliebene Kapital nach einem festzulegenden Schlüssel an die Einzahler zurückgezahlt wurde.
Albanien war auf dem richtigen Weg, bis diese Krise ausbrach - zumindest dem ersten Anschein nach. Sein Bruttosozialprodukt wuchs schnell (wenn auch nicht ganz so schnell wie die Regierung es darstellte), die Inflationsrate war einstellig und sogar nach dem plötzlichen Anstieg im Jahr 1996 blieb sie mit etwa 17 Prozent vergleichsweise nieder. Die Währung (Lek) war stabil. Im Verhältnis zur Größe des Landes und seines Vermögens waren ausländische Investitionen signifikant angestiegen. Aber die Institutionen waren noch extrem schwach und es sah keineswegs nach Besserung und Stärkung aus. Eine bürgerliche Gesellschaft war im Grunde genommen nicht vorhanden, mit Ausnahme einiger ausländischer Gründungen. Die Privatwirtschaft war lebhaft, aber die öffentliche Hand konnte den ihr zugedachten Aufgaben nicht nachkommen. Da das Schicksal einer Gemeinschaft letzten Endes von der Stärke ihrer Institutionen, der öffentlichen Hand und der bürgerlichen Gesellschaft abhängig ist, kann es nicht überraschen, dass Albanien riesige Probleme hatte. Das Land wird auch weiterhin Probleme haben, wenn Institutionen wie Justiz und Verwaltung schwach bleiben. Es stimmt nicht, dass Weiterentwicklung in erster Linie das Problem von Institutionen ist, es ist ein Problem von Institutionen in erster, zweiter und dritter Linie ...!
Der Autor ist Leiter der World Bank Niederlassung in Tirana, Albanien.
Im Sommer des Jahres 1920 sammelte Charles Ponzi von mehr als 10.000 Investoren 9,5 Millionen Dollar ein durch den Verkauf von Warenwechseln mit dem Versprechen, innerhalb von 45 Tagen einen Gewinn in Höhe von 50 Prozent auszuzahlen. Er stützte sein Versprechen auf sein in Boston ansässiges Unternehmen für Post-Coupons. Indem Ponzi die fälligen Gewinne der ersten Investoren auszahlte, verbreitete sich in der Gesellschaft die Nachricht von riesigen Profiten und versetze gierige und leichtgläubige Investoren in Ekstase. In Wirklichkeit gab es aber gar keinen Gewinn - die ersten Auszahlungen wurden bei Fälligkeit aus den Einnahmen später einsteigender Investoren finanziert. Dieses System verband den Namen Ponzi mit dieser speziellen Art von Betrug. Ein solcher Schwindel wird auch "Ponzi System" genannt.
gespiegeltes Original (englisch) original mirrorfile (english)
Dokument erstellt: 21.08.2003