Diesen Artikel publiziere ich mit freundlicher Genehmigung von Cali Ruchala. Das Original dieser Seite ist auf der Sobaka-Website http://www.diacritica.com/sobaka/2002/comedians.html gespeichert.
Cali Ruchala kindly allowed me to publish
this
article, the original can be found at Sobakas website at
http://www.diacritica.com/sobaka/2002/comedians.html
Während meiner Zeit in Haiti sträubte ich mich, solchen Symbolen eine tiefe Bedeutung beizumessen, aber diese tödliche und dennoch wirkungslose Straßensperre war eine Versuchung. Das Leben in Haiti ist hart, voller Hindernisse, aber man kann einfache Wege finden, selbst hohe und gewaltige Hürden zu überwinden. Und die von welchen regierenden Cliquen auch immer verwendeten Taktiken, um am Ruder zu bleiben, sind drakonisch und brutal, aber die Opfer schieben sie häufig mit einem Achselzucken beiseite.
Dieses Wochenende rief mich mein Freund Pierre an. Normalerweise "chatten" wir per Brief, auch wenn er sich damit zufrieden geben muss, die unter mysteriösen Umständen beschädigten Briefumschläge als Zweiter oder Dritter zu öffnen. Seine Stimme klang erregt. "Diesmal glaube ich, dass sie es wirklich tun," sagte er. "Glaubst Du, dass die Amerikaner Aristide dieses Mal retten werden?"
Dann gab er mir schnell die Detailinformationen. Vor ungefähr einem Monat ließ Aristide einen Mann inhaftieren, der einer der "Capos" des populären Pöbels der "Titid"-Verfechter war, die schlechte Nachrichten ausnutzen, um ihre Konkurrenten zu schlagen, zu berauben und lebendig zu verbrennen. Nach mehreren Tagen öffentlicher Proteste fuhren die Anhänger des Inhaftierten einen Traktor in das Gefängnis in Gonaives und befreiten ihren Helden und weitere 158 Strafgefangene. Die Polizei, in der Minderheit und waffentechnisch unterlegen, feuerte einige Tränengas-Geschosse ab und floh. Rathaus und Gerichtsgebäude wurden in Schutt und Asche gelegt. Die Stadt ist nun in der Gewalt einer Gruppe, die sich die "Cannibal Army", Kannibalen-Armee, nennt. Und Pierre sagt, die Regierung habe die Stadt umstellt und die Barrikaden brennender Reifen seien entfernt.
Solche Dinge geschehen in Haiti häufig. Arbeitslose Menschen scharen sich in einer solch großen Zahl und Häufigkeit zum Protest zusammen, die Beobachter aus anderen Ländern erschüttert. Aristides Anhänger rebellieren gegen ihn oder er bäumt sich gegen sie auf, indem er ihnen das früher gegebene Patronat entzieht.
Was es dieses Mal anders macht, ist, dass Menschen mit geringen Mitteln in dieser materiellen Welt sogar sehr viel verloren haben. In einer Katastrophe, die den Einsturz des anrüchigen albanischen Pyramidensystems im Jahr 1997 widerspiegelt, haben Tausende Haitianer durch den Einsturz einer Reihe von Genossenschaftsbanken ihre Häuser und zusammengekratzten Sparguthaben verloren. Wie damals in Albanien warnten Menschen mit Verstand die Regierung und forderten sie auf, die Schlägertrupps aufzulösen und deren Besitztümer für einige Monate zu beschlagnahmen, aber wie damals in Albanien weigerte sich die Regierung, irgendetwas zu unternehmen. Einige internationale Wirtschaftswissenschaftler, die mit dem Sachverhalt vertraut waren, haben erklärt, die Banken seien vermutlich schon viel früher am Ende gewesen, hätten sich aber durch eine letzte Wäsche von Geldern aus Drogen-Profiten eine Atempause geschaffen.
Die Art und Weise, wie ausländische Kräfte auf Albanien und Haiti einwirken, wird beeinflusst durch die Erinnerungen an den Massen-Exodus, an die massive Entvölkerung Albaniens im Jahr 1993, als Tausende auf Booten nach Italien flohen, und an den permanenten Strom der "Boatpeople", die zunehmend den Druck erhöhen, während das Regime in Haiti degeneriert und zerfällt. Alles wird durch dieses Prisma betrachtet: tue das was notwendig ist, unterstütze die, die du unterstützen musst, wenn es sein muss dann töte - mache alles, was kurzfristig hilft, dass diese gottverlassenen Menschen in ihren Ländern aufhören, noch mehr Boote zu bauen.
Albanien und Haiti sind zwei Länder, die ich liebe, bewohnt von Völkern, die ich sowohl verachte als auch verehre. Ob es das Funkeln von Messerklingen oder das Aufblitzen des schwarzen Lacks der Pistole eines Zenglendos in einer Allee nahe des Eisenmarktes von Port-au-Prince ist, oder ob die Hirten, die ihre Gesichter mit roten Halstüchern verdecken, eine Strasse nach Skhoder mit Fahrzeugen blockieren, die dem UN Flüchtlings-Hilfsprogramm gestohlen wurden, ich habe in beiden Ländern genug flüchtige Erfahrungen zu jenen Gefühlen der Brüderschaft und Liebe für Haiti und Albanien gesammelt. Ich kann noch immer jene von mir so geschätzten Momente pflegen - der ungebildete Künstler, der jede Wand seines Häuserblocks in Dalmas mit farbenprächtigen Wandbildern bemalt, oder die Gesichter mittelloser Straßenmusikanten, die sich in Tirana ein Bier teilen. Es ist die Begeisterung der Völker, die unter der Druckwelle eines alles in seinem Weg einebnenden Windes stark geworden ist. Nirgendwo sonst habe ich mich so darüber gefreut, wie die Armen der Wellblech-Städte in Haiti und Albanien ihren selbstgemachten Klarin oder schwarz gebrannten Weinbrand mit Fremden teilten. Es ist der gemeinsam getragene Gedanke der Auszehrung und der lebenige Geist, der unter ihnen existiert, die Erinnerung, dass Nationen für Menschen gemacht wurden und nicht für Dollars, Volvos oder schmucklose Ikea-Möbel.
Auf rein subjektivem Niveau haben Albanien und Haiti das packende Gefühl einer langen Geschichte gemein. Haiti ist einige Jahrzehnte jünger als die Vereinigten Staaten, scheint aber um ein Vielfaches älter zu sein. Es liegt am Zerfall der Häuser, an den Gesichtszügen der Menschen, am Gefühl, dass die Dinge für so lange Zeit so chaotisch waren, am Lebensstandard, der über so viele Generationen hinweg in derselben unmenschlichen Armut verschmutzte, dass in hundert Jahren Sensibilitäten wirklich nicht viel geändert haben. Albanien ist als Staat sogar jünger, aber auch hier hatte ich ddas gefühl, dass ich über Straßen so alt wie das antike Griechenland ging. Schreiendes Elend und stilles Schweigen sind beide zeitlos.
Albanien hat sich immer noch nicht von jenen schrecklichen Tagen erholt, die dem Einsturz der Pyramideentwürfe folgten, weder finanziell noch psychologisch. Wie in Haiti scheint da nach einer besonders brutalen Diktatur im Land wenig zum Plündern übrig geblieben zu sein, aber irgendwie finden die Schwindler immer einen Weg, die Armen davon zu überzeugen, die Sohlen ihrer Schuhe zu verkaufen, danach den Fuß und dann den Knöchel. (Es ist kein Zufall, dass in jüngster Vergangenheit die größten Pyramidensysteme das ärmste Land in Europa und das ärmste Land in der westlichen Hemisphäre heimgesucht haben.) In beiden Staaten stellte sich heraus, dass die ehemaligen "Retter" - Sali Berisha in Albanien, Jean Bertrand Aristide in Haiti - nicht ehrlicher waren als ihre Vorgänger, wenn auch verhältnismäßig weniger brutal.Alles verloren zu haben gibt diesem groteske Geschehen - der "Befreiung" der Stadt Gonaives - zusätzliche Bedeutung. Ist es der Anfang eines allgemein Aufstandes, zu dem die "Kannibalen" aufrufen und den meine Freund Pierre befürchtet? Aristide hat noch nie so viele Feinde gehabt wie heutzutage. Anstatt die Marines hinzuschicken, um ihn wieder an die Macht zu bringen, würden die Amerikaner diesmal wahrscheinlich seine Ausreise beklatschen. Ich kann nicht viel Gutes dazu berichten, wen in der Welt die Amerika für ihre "Freunde" halten, aber wahrscheinlich würden sie damit richtig liegen, den vom Glück Verlassenen fallen zu lassen. Aristides Reputation ist nicht viel besser als die von Berisha am Vorabend des Zusammenbruches der Pyramidensysteme im Jahr 1997. Die meisten Leute glauben, dass er ein Teil des Problems ist, obwohl er in Haiti immer noch recht populär ist - oder war, als ich das letzte Mal dort war...
Ich habe in beiden Ländern ein Stück Fleisch gegrillt, unter blonden Weißen und schwarzhaarigen Farbigen, einen halben Erdball auseinander, die so wenig unter so vielen teilten. Der Gedanke, dass Haiti in eine weitere Revolution abgleiten könnte, bricht mir das Herz, aber gibt es irgend einen Ausweg? Die Menschen - jedenfalls die meisten - werden weiterleben, obgleich kaum besser als heute. Neue Wellen von Boatpeople werden in Miami angespült werden und noch größere Bestürzung bei den Politikern hervorrufen, die herumjammern werden, dass diese zu dunkelhäutig sind um "echte" Flüchtlinge zu sein wie jene Bleichgesichter aus Kuba. Journalisten werden noch mehr Geschichten schreiben und auf Graham Greene's Novelle "Die Komödianten" verweisen und schreibender Weise auf Haiti herumhacken wie Joseph Conrad mit seinen Geschichten über des "Herz der Finsternis", Afrika. Gruppen von Menschenrechtlern werden noch mehr Berichte erstellen. Dennoch setzten die Menschen ihr zeitloses Stillschweigen fort und säubern, was ihre Respektpersonen übrig gelassen haben, in der Art einer Maschine, die scheinbar immer kurz vor dem Schlappmachen ist, es aber niemals tut.
Cali Ruchala erlaubte uns diese freie Übersetzung mit nachfolgendem Kommentar:
Hi Karl,
I understand Mark already
gave you permission while I was gone. The collapse of the co-ops
was pretty serious in Haiti, leading to what happened over the last
month, though nobody's really talking about it.
Haitians, like a lot of poor people that come from peasant origins,
used to keep their "bank account" in livestock - things like pigs,
or feed, or what have you. This was the first time a lot of them
trusted banks, and they probably won't do that again after they
were ripped off.
Best of luck to you in your work.
Best,
Cali Ruchala
--
Cali Ruchala, Diacritica Press
http://www.diacritica.com
Dokument erstellt: 18.03.2004
HOME