Diesen Artikel publizieren wir mit freundlicher Genehmigung von Wirtschaftsjournalist Thomas Öchsner von der Süddeutschen Zeitung (http://www.sueddeutsche.de). Das Original dieser Seite ist auf http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/artikel/84/38046/ gespeichert.
Pyramidenfirmen sind für Verbraucherschützer eine
besonders
fiese Form der Abzocke, trotzdem haben sie starken Zulauf - sie inszenieren
den Traum vom großen Geld.
Von Thomas Öchsner
Gerda Keppler mag
Fragen, auf die sich eine Antwort eigentlich erübrigt. Wer, fragt sie in die
Runde, träume von einem stetig fließenden hohen Einkommen, ohne dafür
noch viel tun zu müssen.
Fast alle Hände gehen brav nach oben.
"Stellen Sie sich vor, Ihr Nachbar geht im Internet einkaufen und bei
Ihnen klingelt die Kasse. Gefällt Ihnen das?" Die Zuhörer nicken. Die
Zuhörer nicken immer, wenn Gerda Keppler fragt. Denn Keppler will, dass die
Zuhörer nicken, und so stellt sie auch ihre Fragen.
"Freuen Sie sich,
dass Sie hier sind", sagt sie gleich zu Beginn ihres Vortrags, um dann von
"absolut genialen" Wachstumschancen und den "Schürfrechten am
gewaltigsten
Markt Europas" zu schwärmen. Gemeint sind damit die Telefon- und
Stromverträge und Kundenkarten für den Einkauf im Internet, die das
Unternehmen Innoflex verkauft.
Keppler erweckt zumindest den Anschein,
es in der Hierarchie der Berliner Firma zu etwas gebracht zu haben. Sie
darf sich "internationale Direktorin" nennen, auch wenn ihr Vortrag eher so
wirkt, als hätte sie die Rhetorik mühsam einstudiert. Man möge sich einmal
vorstellen, mit einem Firmenwagen der Marke Mercedes herumfahren
zu können, sagt sie, um nachzuschieben: "Sie müssen nur noch tanken. Das
ist ein Gefühl."
Jede Woche lädt das Unternehmen zu
solchen Präsentationen ein, überall in Deutschland, in gediegene Hotels
oder wie hier in einen kargen Veranstaltungsraum mitten im Industriegebiet
von Eching bei München. Das Ziel: Menschen zu gewinnen, die im Glauben an das
große Geschäft neue Vertriebspartner werden - und die wiederum neue
Unterverkäufer an sich binden, an deren Umsatz sie mitverdienen
wollen.
Im Fachjargon betreiben solche Direktvertriebe
Network Marketing oder Multi Level Marketing (MLM). Wer in
der Vertriebsstruktur oben ist, verdient viel, wer unten ist, gar nichts
oder wenig. Für Edda Castello, Finanzexpertin der Verbraucherzentrale
Hamburg, ist MLM deshalb nur "ein beschönigender Ausdruck für Ketten-
oder Pyramidensysteme und eine besonders raffinierte Form
der Abzocke".
Und die erleben in Zeiten von Arbeitsmarktreformen
und Hartz IV eine neue Blüte: "Wir haben beobachtet, dass MLM-Firmen
verstärkt Erwerbslose ansprechen", sagt Stefan Wegener, Leiter der
Arbeitsgruppe äSchneeball“ beim Landeskriminalamt Berlin.
Hans Thiel*)
war auch "Innoflexer". Den Verkaufsberater beim Agrarhändler BayWa sprach ein
Bekannter an. "Hans", sagte er, "da musst du hin, das ist eine
Megasache."
Thiel fuhr vom Oberallgäu nach Eching, hörte Frau Keppler beim Reden zu und
gab irgendwann nach: "Mein Bekannter hat so lange auf mich eingeredet, bis
ich unterschrieben habe."
Unterschreiben heißt bei Innoflex aber
zunächst einmal investieren. Die Neulinge müssen 77 Euro für
einen durchsichtigen Plastikkoffer zahlen. Ohne den geht gar nichts.
Darin befindet sich ein Leitzordner, das innoflex business kit mit
viel wertlosem Papier: ein gutes Dutzend Auftragsformulare für potenzielle
Kunden der Telefonfirma FlexFon, ein Paket mit Flugblättern zum neuen Tarif,
ein bunter Flyer über das Firmenwagenprogramm mit einem silbernen Mercedes
vom Typ SL 500 auf der Titelseite und einige Seiten Erbauliches. Da steht zum
Beispiel: "Lieben Sie Ihr Produkt 24 Stunden am Tag" oder "Fangen
Sie jeden Tag wieder bei 1 x 1 an."
Mit den 77 Euro kommt ein Neuling
bei dem Unternehmen jedoch nicht weit. Um neue Vertriebspartner gewinnen
und daran verdienen zu können, sind weitere 1199 Euro fällig. Als Keppler
bei ihrem Vortrag darauf zu sprechen kommt, fragt sie, was denn sonst so beim
Eintritt in die Selbstständigkeit investiert werden müsse.
Prompt
meldet sich der Bekannte von Thiel und sagt, er habe 8,5 Millionen Mark in
den Aufbau seines Holzgeschäftes investiert. Gemessen daran erscheinen
die 1199 Euro wirklich läppisch. Und außerdem, sagt Keppler, sei das ein
Aktionspreis. Normalerweise koste das 3996 Euro, und hier bekomme man quasi
"eine Lizenz zum Gelddrucken".
Thiel hat es inzwischen längst bereut,
dass er sich auf die teure Lizenz eingelassen hat. Schnell musste er
feststellen, dass sich Strom- und Telefonverträge bei Bekannten
und Verwandten doch nicht so leicht verkaufen lassen.
Vor dem Wechsel
des Stromanbieters haben viele Menschen große Scheu. Und wer beim
Telefonieren sparen will, wählt einfach eine Call-by-Call-Nummer vor.
Thiel ärgert sich auch über sich selbst, weil er sich so über den Tisch
hat ziehen lassen. "Wenn du da drin sitzt, kommt dir das alles logisch vor,
weil die alles schön reden. Das ist eine halbe Gehirnwäsche."
Die
Masche wird je nach MLM-Firma variiert: Egal ob es um den Verkauf von
Kosmetika, Reinigungsmitteln oder angebliche Wundermittel wie den Saft der
Südsee-Frucht Noni geht – stets suchen die Vertriebsleute den persönlichen
Kontakt. Dabei wird häufig nicht einmal das Produkt erwähnt.
Selbst
das Wort Verkauf kommt oft überhaupt nicht vor, obwohl es genau darum geht.
"Die Heilslehrer des MLM benutzen die Sprache wie bei Sekten als Werkzeug
zur Schaffung einer Parallelwelt", sagt Aribert Deckers. "Zum Beispiel das
Wort sponsern ist beim MLM nichts anderes als untergeordnete Händler
anheuern." Der Diplom-Ingenieur beschäftigt sich seit Jahren auf
seiner Homepage www.ariplex.com/ama/ama_p0.htm
kritisch
mit MLM.
Wer gutgläubig, fachfremd oder naiv und in so
eine Veranstaltung hereingeraten sei, sei dem Lug und Trug durch Rhetorik
meist nicht gewachsen. "Solche Leute kommen heraus und sind inbrünstig
entschlossen, mit dem ihnen angepriesenen Geschäftsmodell die Welt
zu erobern", sagt Experte Deckers.
Bei Innoflex scheint dies nicht nur
in Eching zu funktionieren, wo es vor dem Eingang in die Räume
des Unternehmens passieren kann, dass eine schon etwas ältere Dame einen
begeistert anspricht: "Na, sind Sie auch schon Innoflexer?"
Der
Berliner Gewerbehauptkommissar Wegener sagt: "Mit den Leuten, die Innoflex in
den letzten Jahren angeworben hat und die ihr Geld verloren haben, können sie
das neue Fußballstadion in München füllen."
Derzeit bemüht sich das
Unternehmen, den Markt in Ungarn aufzurollen. Auch in Österreich war Innoflex
aktiv, so dass Verbraucherschützer der Arbeiterkammer Vorarlberg bereits
warnten: "Die Einzigen, deren Traum vom schnellen und einfach verdienten
großen Geld in Erfüllung geht, sind wahrscheinlich jene, die an der Spitze
dieses Systems stehen."
Wegener sieht dies genauso. "Es ist das System
der fortlaufenden Provisionen, das die Menschen anzieht und sie dazu
bringt, Geld einzuzahlen. Sie hoffen, in der Pyramide schnell nach oben zu
kommen. Der größte Teil, vielleicht 95 Prozent, ist aber nach einem Monat
wieder ausgestiegen, weil er gemerkt hat, dass hier nichts zu holen ist",
sagt der Experte. Der Kommissar hat bereits 1999/2000 in Sachen Innoflex
ermittelt.
Auch er glaubt, dass es den Drahtziehern in erster
Linie darum geht, Gebühren für den Plastikkoffer und Schulungen zu
kassieren. Juristisch würde es sich damit um ein Pyramidensystem handeln, das
darauf angelegt ist, sich selbst zu multiplizieren und daraus Gewinne zu
erzielen - unabhängig vom Absatz irgendwelcher Produkte.
Solche
Pyramidensysteme sind in Deutschland verboten, die Drahtzieher können zwei
Jahre hinter Gitter wandern. Im Fall Innoflex hat der Staatsanwalt inzwischen
Anklage erhoben. Das Landgericht Berlin entscheidet, ob den Hintermännern
Robert und Thomas Mundt der Prozess gemacht wird.
Das Bruderpaar hält
derzeit etwa 90 Prozent am Kapital der Muttergesellschaft von Innoflex, der
United Network Industries (Uni AG).
Beide sind im Vorstand der Uni AG.
Vorstandsmitglied Martin Rothe sagt zu der Anklage: "Wir haben
nichts Unrechtes getan." Um dies dokumentieren zu können, wünsche sich die
Uni AG sogar einen Prozess.
Rothe prophezeit dem Unternehmen eine große
Zukunft. Für 2007 ist der Börsengang geplant. Der Umsatz, im Jahr 2002 bei
12 Millionen Euro, soll bis dahin auf 452 Millionen Euro klettern. Das sei
möglich, weil die Uni AG jetzt über eine eigene Strom- und Telefontochter
verfügt und die Vertriebstochter Innoflex nicht mehr die Verträge von
anderen Anbietern vermitteln müsse.
Derzeit sammelt die Uni AG 50
Millionen Euro über den Verkauf von Genussrechten und Genussscheinen
bei Anlegern ein. Im Emissionsprospekt findet sich ein Bild von der
Landung der amerikanischen Astronauten auf dem Mond. Das Foto ist unterlegt
mit einem Zitat von Vorstandschef Robert Mundt: "Dinge, die wir
uns vorstellen und träumen können, sind auch realisierbar - dabei ist
keine Vision zu groß", heißt es da.
Die Fakten sehen nüchterner aus: Im
März bezifferte die Innoflex-Mutter Uni AG die Zahl der Vertriebsleute
auf 35.000. Rothe sagt, er hätte in seinem Computer sogar "75.000 Namen".
Gleichzeitig ist im Emissionsprospekt der Uni AG von mehr als einer
Million Vertragsabschlüssen die Rede. Rechnet man mit 35.000 Vertriebsleuten,
wären dies pro Nase nicht einmal 30 Verträge - bei Provisionen, die
pro Vertrag vielleicht gerade ein Abendessen hergeben.
Exakte Zahlen
über Einkünfte und Fluktuationsraten bei MLM-Firmen gibt es nicht. Wer in den
unteren Stockwerken der Pyramide arbeitet, dürfte trotz
aller
Anstrengungen oft nicht einmal den Sozialhilfesatz erreichen. Bei
einer Umfrage des deutschen Internetportals mlm-news gab fast die Hälfte der
Befragten an, nicht mehr als 500 Euro pro Monat zu verdienen.
Auch
die Berichte, die große MLM-Unternehmen in den USA, dem Mutterland der
Bewegung, vorgelegt haben, sind eindeutig: Von den Provisionen kann die Masse
der Verkäufer nicht leben. 50 bis 70 Prozent kündigen binnen eines
Jahres.
Bei Innoflex ist davon nichts zu hören. Egal
welchem Mitarbeiter man in Eching gegenübersitzt, er kritzelt ein Papier
mit Pfeilen und Additionen voll, bei dem immer gigantische Summen
herauskommen. Dabei ist das Modell schon mathematisch absurd. Unbegrenzt
lassen sich nicht ständig neue Unterverkäufer gewinnen.
Wenn aber zum
Beispiel bereits ein Oberverkäufer tausend Unterverkäufer benötigt, um ein
auskömmliches Einkommen zu erzielen, brauchen diese tausend schon
eine Million weiterer Unterverkäufer, um den Erfolg zu kopieren – eine
irrsinnige Vorstellung.
Die Verfechter des MLM sehen dies ganz anders.
"Zum Schuldigen wird nicht das Prinzip des MLM gemacht, sondern stets der
Einzelne, der angeblich nichts tun will und deswegen nicht vorankommt", sagt
Experte Deckers. So erging es auch dem ehemaligen Innoflexer Thiel.
"Du musst Gas geben, mehr multiplizieren, hat mir mein Sponsor immer
wieder vorgehalten", erinnert er sich.
Aber nach ein paar Wochen hatte
Thiel begriffen, dass es gar nicht an ihm liegt und "es in Wirklichkeit hier
darum geht, seine Kameraden zu bescheißen". Hinzu kam der Ärger mit den
Telefonverträgen. Bekannte, denen er die Verträge der Uni-AG-Tochter FlexFon
verkaufte, ärgerten sich, dass die Gesprächsgebühren viel höher waren
als erwartet. Thiel hat sich inzwischen bei allen entschuldigt.
*)
Name von der Redaktion geändert
(SZ vom 28.08.2004)
Dokument erstellt: 11.09.2004