(Auszug aus dem OLG-Urteil Hamburg vom 18.Juli 1985 - 3 U 19/85):
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Das Vertriebssystem der Beklagten
bedient sich in unlauterer Weise wettbewerbsfremder Mittel. Wer mit
aleatorischen Reizen wirbt, d.h. den Wunsch der angesprochenen
Verkehrskreise ausnutzt, durch Zufall und ohne Mühe einen Gewinn zu
erzielen, setzt damit sachfremde Lockmittel ein, weil er nicht nur mit der
Güte und Preiswürdigkeit seiner Waren und mit dem Ruf seines Unternehmens
wirbt.
Das ist unlauter, wenn das aleatorische Reizmittel nicht nur dazu,
dient, die Aufmerksamkeit des Verkehrs zu erregen, sondern in irgendeiner
Form eine Verkoppelung mit dem Absatz der Ware vorliegt; denn dann besteht
die Gefahr, daß der Verkehr die Ware nicht wegen ihrer Güte und
Preiswürdigkeit kauft, sondern um die Gewinnchance zu erlangen (vgl.
Baumbach-Hefermehl, Rdnr. 112, 117, 144 zu § 1 UWG).
Das trifft auch
auf das Verkaufssystem der Beklagten zu.
aa)
Das beanstandete System
bedient sich aleatorischer Reizmittel. Die Beklagte wirbt neue Berater nicht
nur mit der Güte und Preiswürdigkeit ihrer Waren, sondern nutzt dabei den
Wunsch der angesprochenen Verkehrskreise aus, durch Zufall und ohne
erhebliche Mühe einen Gewinn zu erzielen. Die Beklagte wendet sich an
Personen, die als Laien mit der Tätigkeit beginnen sollen, wie es
ausdrücklich im Abschnitt II 1 des "Vertriebsplans" heißt. Nach § 4 der
"Geltenden Regeln" wird der Verkauf entweder privar oder innerhalb der
"Betriebsausschüsse" durchgeführt "unter Ausschluss der Geschäfte,
Supermärkte, Märkte usw.". Die Tätigkeit des Beraters erfolgt demnach
ausschließlich im privaten und beruflichen Bereich. Angesprochen werden vor
allem geschäftlich unerfahrene Personen, denen Gelegenheit gegeben wird,
Duftwässer und kosmetische Artikel preisgünstig einzukaufen (zum Preis gemäß
"Beraterpreisliste") und selbst zu verbrauchen oder an Endverbraucher
mit Gewinn oder an Berater zum selben Preis mit Aussicht auf einen Bonus
weiterzuverkaufen, dessen Höhe sich nach dem Gesamtumsatz richtet. Das
System der Beklagten ist zum wesentlichen Teil darauf angelegt, daß der
Berater weitere Berater wirbt, auf den nachfolgenden Stufen weitere Berater
geworben werden und er auf diese Weise in den Genuß eines immer höheren
Bonus gelangt. Wie hoch diese letztlich ist, hängt weitgehend von Umständen
ab, die er nicht mehr beeinflussen kann. Auf der folgenden Stufe ist zwar
noch maßgebend, wieviele Berater er selbst durch seine eigene Tätigkeit
wirbt. Auch mag er diese darin unterstützen, die Waren weiterzuverkaufen.
Die weiteren Stufen kann er aber nicht mehr
beeinflussen. Insoweit hängt für
ihn alles weitere von der zufälligen Ausbreitung des Systems ab.
Die
Beklagte stellt den Beratern Gewinne in Aussicht, die sie ohne erhebliche
Mühe erlangen können sollen. Wie sich aus der Bonus-Tabelle ergibt, wird der
Bonussatz immer höher, je größer der Gesamtumsatz ist, der wiederum davon
abhängig ist, wieviele Berater unter ihm tätig sind und in welchem Umfange
das geschieht. Der Teil des Bonus, den er behält, kann danach einen
erheblichen Betrag erreichen, wie das unter II 3) des "Vertriebsplans"
wiedergegebene Beispiel verdeutlicht. Die zusätzlichen Boni, die bei
besonders hohen Umsätzen gewährt werden, sind dabei noch nicht einmal
berücksichtigt. Aus der Sicht beachtlicher Teile der angesprochenen
Verkehrskreise erhalten die Berater den Bonus ohne erhebliche Mühe, soweit
er auf Umsätzen beruht, der von nachfolgenden Beratern herrührt. Insoweit
wird der Bonus nicht lediglich als Gegenwert für die Tätigkeit des Beraters
angesehen:
Es trifft zwar zu, daß die Werbung neuer Berater für die
Beklagte eine geldwerte Leistung bedeutet, die wirtschaftlich eine
entsprechende Gegenleistung rechtfertigt. Aus der Sicht der Berater stellt
sich die Gewährung des Bonus jedoch nicht als Entgelt der Beklagten, etwa
als Provision, für die Werbung neuer Kunden dar (vgl. dazu BGHZ 15, 356,
365). Vielmehr handelt es sich für jeden Berater wirtschaftlich um eine
teilweise Rückgewähr des Kaufpreises durch seinen "Paten" und, soweit er
die Waren an weitere Berater weiterverkauft hat, um seinen einzigen
Gewinn. Der Weiterverkauf an die unter ihm stehenden Berater setzt zwar
auf seiner Seite eine gewisse Tätigkeit voraus, solange die Bestellung
organisatorisch von ihm selbst abgewickelt wird, was die Regel, aber
nicht zwingend ist (vgl. die "Aufnahmebedingungen" und Abschnitt IV des
"Vertriebsplans"). Soweit Berater in unteren Stufen Bestellungen von
Verbrauchern aufgenommen haben und diese nach oben weiterreichen, wird
das bloße Weitergeben der Bestellungen an die weiter oben stehenden
Berater von diesen nicht als Mühe angesehen, die einen steigenden Bonus
gemäß Bonus-Tabelle rechtfertigt. Vielmehr verdienen sie aus ihrer Sicht
ohne erhebliche Mühe automatisch an solchen Umsätzen - durch anderer
Leute Arbeit - mit. Dieser Umstand - die praktische Mühelosigkeit des
Geschäftemachens - ist für sie mitbestimmend, sich an dem
Vertriebssystem der Beklagten als Berater zu beteiligen.
bb) Der in
dem Vertriebssystem der Beklagten begründete aleatorische Reiz wird nicht
durch in das System eingebaute Hemrnschwellen ausgeschlossen oder wenigstens
wesentlich verringert.
In Betracht kommt nur das Erfordernis, bei Beginn
der Tätigkeit als Berater die Verkaufsunterlagen der Beklagten zu erwerben
und zu bezahlen, deren Wert nach dem Vorbringen der Klägerin bei mindestens
etwa 100, - DM liegt. Ein Betrag in dieser Größenordnung ist zwar für
einen beachtlichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise als erheblich
anzusehen. Der in Aussicht gestellte Gewinn übersteigt aber, wie die
Berater erkennen, den Betrag auf Dauer bei weitem. Dieser ist daher
nicht geeignet, den vorhandenen aleatorischen Reiz zumindest wesentlich
zu verringern. Hinzu kommt, daß den Beratern, die ihre Tätigkeit beenden
wollen, im letzten Absatz der "Aufnahmebedingungen" ein Rückgaberecht
eingeräumt worden ist, das zwar voraussetzt, daß die Unterlagen nicht
beschädigt sind, jedoch trotz des Abzuges vom gezahlten Kaufpreis (5 0/0
Verwaltungskosten) das finanzielle Risiko des Beraters zum erheblichen
Teil verringert.
cc) Der von dem Vertriebssystem der Beklagten
ausgehende aleatorische Reiz bewirkt, daß beachtliche Teile des
angesprochenen Verkehrs dadurch angelockt werden, sich an dem System als
Berater zu beteiligen und die Erzeugnisse der Beklagten einzukaufen. Das
geschieht nicht nur, weil dann die Möglichkeit preisgünstigen Einkaufs für
den Eigenbedarf zu "Beraterpreisen" und des Verkaufs an Verbraucher besteht
sondern in erheblichem Maße auch, weil ihnen mühelose Gewinne in Aussicht
gestellt werden. Umgekehrt bewirkt der aleatorische Reiz, der zur
Beteiligung als Berater führt, auch daß der Eigenbedarf gleich mitgedeckt
wird.
Dem steht nicht entgegen, daß bei planmäßiger Durchführung des
Systems laufend die Zahl der Berater vergrößert und die Werbung weiterer
Berater deshalb immer schwieriger und schließlich unmöglich wird, obwohl dem
System keine geometrische Reihe mit festem Quotienten zugrundeliegt,
weil es jedem Berater völlig frei steht, ob und wieviele weitere Berater
er wirbt. Der aleatorische Reiz wird durch die systembedingte
fortschreitende Einengung der Möglichkeiten selbst dann nicht wesentlich
gemindert, wenn der potentielle Berater das erkennt.
dd) Die
Voraussetzungen des § 1 UWG sind bereits deshalb gegeben, weil der
aleatorische Reiz, der von dem Vertriebssystem der Beklagten ausgeht,
erhebliche Teile des angesprochenen Verkehrs dazu veranlaßt, sich als
Berater an dem System zu beteiligen.
Es kommt nicht darauf an, ob die
Berater mit der Beteiligung ein erhebliches finanzielles Risiko eingehen,
was eher zu verneinen ist, weil keine Pflicht zur Abnahme von Mindestmengen
besteht, oder ob das Verkaufssystem den Beratern sogar Vorteile bietet (vgl.
dazu BGHZ 15, 356, 363 f.).
c) Das beanstandete Vertriebssystem der
progressiven Beraterwerbung ist außerdem unlauter, weil mit dem System das
Wahrheitsgebot verletzt wird (vgl. dazu BGHZ 15, 356, 366 ff.).
Erhebliche Teile des angesprochenen Verkehrs, der weitgehend aus
geschäftlich unerfahrenen Personen besteht, erkennen nicht, daß das
System zu einer ins Gewicht fallenden Marktverengung - zunächst in
ländlichen Bezirken oder in kleineren Städten - führt, die es immer
schwieriger macht, neue Berater zu finden, und daher auf den unteren
Stufen die Aussichten auf einen mühelosen Gewinn durch Umsatz auf
nachfolgenden Stufen immer mehr schwinden. Jeder neue Berater erfährt
zwar mit dem Aufnahmeantrag, welche Paten über ihm stehen. Bei der
Beurteilung seiner Aussichten auf Boni vermag er jedoch nicht
abzuschätzen, wieviele "Patenschaftsreihen" es, insbesondere an seinem
Ort, bereits gibt oder noch geben wird und aus wievielen Beratern sie
besteht oder zukünftig bestehen wird. Ihm ist es daher nicht möglich,
seine Aussichten auf Boni einigermaßen zuverlässig einzuschätzen.
Gleichwohl wird er dem aleatorischen Reiz des Systems erliegen, weil er
damit rechnet, noch leicht weitere Berater zu finden, von denen er
wiederum erwartet, daß sie ebenso leicht weitere Berater werben usw.
Dem vermag die Beklagte nicht mit einer hinreichenden Aufklärung zu
begegnen. Das folgt bereits daraus, daß sie gar nicht mit genügender
Zuverlässigkeit trotz ihrer eigenen Erfahrungen auf dem französischen
Markt beurteilen kann, wie sich die Ausdehnung des Systems zukünftig im
Bereiche der Bundesrepublik Deutschland vollziehen wird.
d) Das
Vertriebssystem der Beklagten ist schließlich unlauter, weil es, wenn es
rechtlich anerkannt würde, mit großer Wahrscheinlichkeit wegen seines
aleatorischen Reizes und des unstreitigen wirtschaftlichen Erfolges der
Beklagten (vgl. Anl. 12) Nachahmer finden und zur Verwilderung der
Wettbewerbssitten führen würde (vgl. BGHZ 15, 356, 369 f.;
Baumbach-Hefermehl Einl. UWG, Rdnr. 119, 134). Die Berater der Beklagten
dürfen nur im privaten und im beruflichen Bereich tätig werden. Ihr
Tätigkeitsfeld beschränkt sich damit auf ihren Freundes-, Bekannten- und
Arbeitskollegenkreis. Daraus ergeben sich Gefahren einer unsachlichen
Beeinflussung der von ihnen angesprochenen Personen. Dabei führt der
massenhafte Einsatz von Beratern in den genannten Bereichen zu einer
untragbaren Belästigung.
e) Art. 30, 36 EWGV stehen einem Verbot nicht
entgegen. Die Beklagten werden nicht daran gehindert, ihre Erzeugnisse nach
Deutschland einzuführen und hier zu vertreiben. Es geht nur um die Art und
Weise des Vertriebsweges innerhalb Deutschlands.
Die Beklagten sind
demnach auch gemäß § 1 UWG zur Unterlassung verpflichtet.
Eine
Umformulierung des Verbotes ist nicht erforderlich. Unter den "einheitlich
gebundenen Preisen" sind die Preise gemäß "Beraterpreisliste" gemeint, die
die Berater beim Weiterverkauf an Berater beachten sollen. Nur insoweit -
und hinsichtlich der Boni - liegt eine (unerlaubte) Preisbindung vor. Der
Begriff "Nachlaß" unter b) führt ebenfalls nicht zu Unklarheiten. Wie aus
dem Klammerzusatz folgt, sind die "Punkte" gemeint, die in der
"Beraterpreisliste" den einzelnen Waren und den dort aufgeführten Preisen
zugeordnet sind.
Die weiteren Anträge der Klägerin sind ebenfalls
begründet.
1) Die Beklagten sind der Klägerin gegenüber gemäß § 35 GWB,
§ 1 UWG als Gesamtschuldner zu Schadensersatz verpflichtet. Die Beklagten
haben die Rechtslage fahrlässig verkannt. Der Klägerin ist mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit ein Schaden entstanden. Das gilt auch, soweit es um
kosmetische Erzeugnisse geht, die die Klägerin nicht vertreibt. Alle
beiderseitigen Erzeugnisse stehen miteinander in Wettbewerb. Es ist ohne
weiteres möglich, daß Verbraucher jedes Erzeugnis der Beklagten statt
eines Duftwassers der Klägerin kauft.
2) Die Beklagten sind gemäß §
242 BGB zur Auskunft verpflichtet , allerdings nicht als Gesamtschuldner.
Die Klägerin benötigt die verlangten Auskünfte, um ihren Schaden
berechnen zu können, während die Beklagten unschwer Auskunft geben
können, was für sie auch zumutbar ist. Die Beklagten haben daher
Auskunft über die Zahl der Berater zu geben, ferner darüber, in welchem
Zeitraum und zu welchen Preisen sie die einzelnen Duftwässer und
kosmetischen Erzeugnisse verkauft haben. Gemeint sind nicht etwa die
Einzelpreise, wie sie sich bereits aus der "Beraterpreisliste" ergeben,
sondern die jeweiligen Umsätze.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
97 Abs. 1, 100 Abs. 4 (teils analog) ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, 711, 712 ZPO. Soweit es um
das vom Landgericht ausgesprochene Verbot geht, würde die Vollstreckung den
Beklagten einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen. Sie müßten nämlich
ihr Vertriebssystem völlig aufgeben und durch ein anderes ersetzen und
könnten im Falle des Obsiegens das System wieder wechseln. Der dadurch
entstehende Schaden ist aber nicht genau zu ermitteln. Ein überwiegendes
Interesse der Klägerin steht nicht entgegen.
Streitwert: DM 980.000, -