http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/koeln/lag_koeln/j2011/3_Sa_347_11urteil20111214.html[*QUOTE*]
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Landesarbeitsgericht Köln, 3 Sa 347/11
Datum: 14.12.2011
Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper: 3.Kammer
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 3 Sa 347/11
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 6 Ca 4641/10
Schlagworte: Kündigung, Rundfunk, Redakteur, Abmahnung, Interessenabwägung
Normen: § 626 BGB
Sachgebiet: Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund ist zweistufig zu prüfen. Zunächst ist maßgeblich, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen Kündigungsgrund zu bilden. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (ständige Rechtsprechung des BAG, zuletzt beispielsweise BAG, Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 – NZA 2011, 1027).
2. Die Verletzung der journalistischen Unabhängigkeit durch einen Redakteur einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt kann ebenso wie die Abgabe einer inhaltlich falschen Ehrenerklärung des Redakteurs gegenüber dem Intendanten einen "an sich" geeigneten Kündigungsgrund im vorgenannten Sinn darstellen.
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 20.01.2011 – 6 Ca 4641/10 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
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T a t b e s t a n d
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung sowie über damit zusammenhängende Zahlungsansprüche des Klägers.
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Der am 1954 geborene Kläger ist seit dem 01.07.1988 bei der beklagten Rundfunkanstalt als Redakteur beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis liegt der schriftliche Arbeitsvertrag vom 01.07.1988 (Bl. 10 ff. d. A.) zu Grunde. Danach finden die jeweils bei der Beklagten geltenden tariflichen Vereinbarungen Anwendung. Zuletzt war der Kläger als Redakteur mit besonderen Aufgaben zu einem monatlichen Bruttogehalt von 6.239,60 € tätig. Seit dem Jahr 2003 ist er verantwortlicher Redakteur für die investigative Sendung "D ".
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Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 19.05.2010, das dem Kläger am 20.05.2010 zugegangen ist, außerordentlich fristlos.
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Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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Mit diesem Urteil hat das Arbeitsgericht am 20.01.2011 der Klage in ganz überwiegendem Umfang stattgegeben. Es hat festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 19.05.2010 aufgelöst worden ist und hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung der geltend gemachten Vergütung verurteilt. Lediglich den allgemeinen Fortbestehensantrag hat es als unzulässig abgewiesen. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des vorgenannten Urteils (Bl. 195 ff. d. A.) Bezug genommen. Gegen dieses ihr am 14.03.2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 06.04.2011 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 14.06.2011 begründet.
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Die beklagte Rundfunkanstalt meint, das Arbeitsgericht habe den erstinstanzlichen Tatsachenvortrag unzutreffend gewürdigt und insbesondere aufgrund der von ihm vorgenommenen "Sezierung" der einzelnen dem Kläger vorwerfbaren Handlungen die notwendige Gesamtschau vernachlässigt. Es müsse berücksichtigt werden, dass die Beklagte einen öffentlich rechtlichen Informations- und Berichterstattungsauftrag erfülle, der seinerseits das Ausschließen persönlicher Interessen bei der Berichterstattung verlange. Bei der Erfüllung dieses Programmauftrags müssten die programmgestaltenden Mitarbeiter journalistische Neutralität und Unabhängigkeit wahren. Dies gelte insbesondere für den Kläger als Redakteur und Autor im investigativen Bereich. Dem für diese Tätigkeit erforderlichen hohen Maß an Eigenständigkeit und Recherchefreiheit stehe zwangsläufig ein gleichermaßen großes Vertrauen der nach außen verantwortlichen Intendantin auf die Integrität der Mitarbeiter gegenüber. Dieses Vertrauensverhältnis habe der Kläger durch die Einbindung in die Marketingkampagne und die falschen Angaben in der Ehrenerklärung irreparabel zerstört.
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Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger habe unzulässigerweise die Rolle des Beobachters und Bewerters verlassen und sich die Sache der einen Seite zu Eigen gemacht. Dies zeige sich etwa daran, dass er im Rohmaterial enthaltene kritische Äußerungen über die Salbe R nicht in die Dokumentation aufgenommen habe. Das Gleiche gelte für die unrichtige und verzerrende Darstellung hinsichtlich des Ausscheidens des Erfinders aus dem die Salbe herstellenden Unternehmen. Dabei müsse auch berücksichtigt werden, dass der Filmbeitrag im Kontext mit der zeitlich verbundenen Markteinführung der Salbe unmittelbar kommerzielle Interessen der im Beitrag dargestellten Personen berührt habe. Nicht zuletzt die aktive Einbindung des Klägers in die Marketingkampagne, wie beispielsweise sein Designvorschlag zu Tube und Verpackung und seine Mitwirkung beim "Veröffentlichungstiming" überschreite die Grenze des Zulässigen. Hinzu komme, dass der Kläger entgegen seiner Kenntnis seinen Vorgesetzten nicht über die bevorstehende Markteinführung der Salbe informiert und seinerseits versucht habe, die Markteinführung mit dem Sendetermin abzustimmen.
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Ferner sei die weitere zeitliche Abstimmung mit der Veröffentlichung des Buches zu berücksichtigen. Aus dem zeitlichen Ablauf sei erkennbar, dass der Kläger kein Buch zum Film, sondern einen Film zur Unterstützung des Buchverkaufs habe erstellen wollen. Der Kläger sei planvoll und zielgerichtet vorgegangen, um das Erscheinen des Buches und den Sendetermin zu koppeln. Die erteilte Nebentätigkeitsgenehmigung ändere an der Vertragswidrigkeit des klägerischen Verhaltens nichts. Sie sei insbesondere kein "Freibrief" zur Förderung kommerzieller Interessen Dritter. Insgesamt habe sich der Kläger bewusst und zielgerichtet unter Verlust der gebotenen journalistischen Unabhängigkeit mit dem Anliegen des Protagonisten verbunden und habe sich unter Ausnutzung eines wirtschaftlichen Vorteils durch die zeitgleiche Veröffentlichung seines Buches eigene wirtschaftliche Vorteile verschaffen wollen.
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Einen weiteren gravierenden Vertragsverstoß des Klägers sieht die Beklagte in dem Umstand, dass der Kläger in der von ihm unterzeichneten Ehrenerklärung vom 05.11.2009 in mehrfacher Hinsicht falsche Angaben gemacht habe. Der Kläger habe die Intendantin und die weiteren Mitglieder der Geschäftsleitung mit diesen Angaben in voller Kenntnis der laufenden öffentlichen Kontroverse bewusst ins sprichwörtliche "Messer laufen lassen". Eine Vertrauensbasis sei danach nicht mehr möglich. Schließlich wiederholt die Beklagte den Kündigungsvorwurf, dass der Kläger die Beklagte über die Honorierung seines Buchvertrages unzutreffend informiert habe.
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Die Beklagte ist der Auffassung, dass jedenfalls bei einer anzustellenden Gesamtschau aller kündigungsrelevanten Umstände die außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sei. Zu berücksichtigen seien dabei der gravierende Verstoß des Klägers gegen die journalistische Unabhängigkeit, Sachlichkeit und Fairness, die bewusste Verquickung von redaktioneller Arbeit mit eigenen wirtschaftlichen Interessen, die inhaltlich verkürzte Darstellung in der Dokumentation sowie die wiederholten Falschangaben des Klägers gegenüber der Beklagten.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 20.01.2011 – 6 Ca 4641/10 – abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen,
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Der Kläger tritt der erstinstanzlichen Entscheidung bei und wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag. Er ist der Auffassung, es sei für die Beurteilung der streitgegenständlichen Kündigung rechtlich ohne Bedeutung, ob seine Tätigkeit als programmgestaltend zu qualifizieren sei. Die Rundfunkfreiheit könne jedenfalls keine Kündigung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, welche nach Maßgabe arbeitsrechtlicher Bestimmungen nicht gerechtfertigt wäre. Im Übrigen sei dem Kläger ohnehin keine Pflichtverletzung anzulasten. Bereits seine 25-jährige beanstandungsfrei ausgeübte Tätigkeit indiziere, dass der Kläger seine Tätigkeit jederzeit außerordentlich vertrauensvoll und professionell ausgeübt habe. Dies gelte in gleichem Maße für den kündigungsrelevanten Filmbeitrag.
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Der Kläger bestreitet den Vorwurf der einseitigen Sachdarstellung. Soweit kritische Äußerungen behandelnder Ärzte aus dem Rohmaterial nicht in den Beitrag übernommen worden seien, sei dies zeitlichen Gründen geschuldet gewesen. Die kritischen Aussagen seien jedoch in die Kommentartexte übernommen worden und so erhalten geblieben. Ca. 23 Stunden Rohmaterial hätten auf 45 bzw. 60 Minuten gekürzt werden müssen. Zudem interpretiere die Beklagte einzelne Äußerungen des Beitrags bewusst falsch. Außerdem bleibe es dabei, dass der verantwortliche Redakteur W den Beitrag abgenommen habe.
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Der Kläger führt aus, er verstehe sich als kritischer und engagierter Autor, der unter anderem im Jahr 2006 für seinen "herausragenden kritischen Wirtschafts- und Verbraucherjournalismus" mit dem Helmut-Schmidt-Journalistenpreis" ausgezeichnet worden sei. Diese Auszeichnung belege, dass er das journalistische Handwerk auf hohem professionellem Niveau beherrsche. Außerdem sei der Beklagten bei Genehmigung des Filmbeitrags bewusst gewesen, dass dieser objektiv einen werblichen Charakter für die Salbe R haben würde.
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Der Kläger trägt vor, dass sich die Frage der Beklagten nach der Markteinführung der Salbe nach seinem Verständnis auf eine filmgegenständliche Markteinführung bezogen habe, ihm jedoch nur eine Produktion von Kleinstchargen bekannt gewesen sei. Im Film sei demgegenüber eine flächendeckende Versorgung der Patienten thematisiert worden.
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Der Kläger bestreitet weiter, dass es Absprachen zwischen dem Patentbesitzer und ihm darüber gegeben habe, wann und wie das Produkt erscheine. Auch sei er nicht zur Verpackungsgestaltung oder Tubenbeschriftung, sondern nur zu der von Herrn We einzurichtenden Website befragt worden. Das Wort "Veröffentlichungstiming" habe sich darauf bezogen, wann Herr We diese Website ins Netz habe stellen wollen.
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Weiter hält der Kläger den von der Beklagten angeführten zeitlichen Zusammenhang zwischen Filmausstrahlung und Buchveröffentlichung für rechtlich irrelevant, da der Kläger selbst keine Entscheidungsbefugnis über beide Termine gehabt habe. Die Beklagte könne ihm auch nicht die Förderung eines "bösen Anscheins" vorwerfen, dass er nach eigenen kommerziellen Interessen gehandelt habe, da ihm mit der Nebentätigkeitsgenehmigung keinerlei Auflagen in zeitlicher, inhaltlicher oder finanzieller Hinsicht gemacht worden seien. Außerdem habe die Festlegung des Sendetermins nicht in der Entscheidungsbefugnis des Klägers gelegen.
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Der Kläger bestreitet zudem, vorsätzlich eine falsche Ehrenerklärung abgegeben zu haben. Er behauptet, diese Erklärung nicht von sich aus angeboten zu haben. Vielmehr sei ihm die vorgefertigte Erklärung von Herrn W mit den Worten, "die Intendanz will, dass wir eine Erklärung unterschreiben", vorgelegt worden. Soweit in der Erklärung davon die Rede sei, dass er zu keinem Zeitpunkt Kenntnis von dem Produktionsbeginn oder der Markteinführung gehabt habe, habe er dies in dem Sinn verstanden, dass er von keinem konkreten Zeitpunkt eines der beiden Ereignisse gewusst habe. Über die umsatzabhängige Honorierung des Buches habe er die Intendantin bereits in einem Gespräch am 08.03.2010 informiert.
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Der Kläger rügt weiterhin die nicht ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats sowie die Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB. Aus den Bescheiden der Intendantin vom 20.11.2009 und 23.11.2009 ergebe sich, dass die Beklagte eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts betrieben habe und bereits zu diesen Zeitpunkten sehr detailliert und umfassend informiert gewesen sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
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II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache erfolglos. Das Arbeitsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 19.05.2010 aufgelöst worden ist. Wegen der Unwirksamkeit der Kündigung ist die Beklagte unter Annahmeverzugsgesichtspunkten zur Zahlung der geltend gemachten Vergütungsansprüche des Klägers verpflichtet.
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Im Einzelnen gilt Folgendes:
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1. Die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 19.05.2010 ist rechtsunwirksam und hat das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht mit sofortiger Wirkung beendet.
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a. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine zweistufige Prüfung durchzuführen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen Kündigungsgrund zu bilden. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (vgl. beispielsweise BAG, Urteil vom 17.04.2006 – 2 AZR 415/05 -, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 17; BAG, Urteil vom 28.08.2008 – 2 AZR 15/07 -, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 22; BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 -, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32; Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 -, NZA 2011, 1027 jeweils mit weiteren Nachw.).
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b. Die Beklagte benennt mehrere Kündigungsgründe.
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aa. Sie beruft sich zunächst darauf, dass der Kläger die Grundsätze der journalistischen Unabhängigkeit verletzt habe, indem er einseitig berichtet, die Rolle des Beobachters und Bewerters verlassen und sich die Position und Sache einer Seite zu eigen gemacht habe. Dabei habe er sich in die Marketingaktivitäten des Protagonisten einbinden lassen. Weiter wirft die Beklagte dem Kläger vor, er habe eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt und die Veröffentlichungstermine von Buch und Film zeitlich koordiniert. Ferner stützt die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung darauf, dass der Kläger eine in mehrfacher Hinsicht unwahre Ehrenerklärung gegenüber der Intendantin abgegeben habe. Schließlich wirft sie dem Kläger vor, er habe falsche Angaben zu dem mit dem Verlag vereinbarten Buchhonorar gemacht.
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bb. Ausgehend von den vorgenannten Grundsätzen hält die erkennende Kammer zwei dieser Kündigungsgründe für grundsätzlich an sich geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darzustellen.
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(1) Zum einen gilt dies für die Verletzung der journalistischen Unabhängigkeit. Die Beklagte hat zutreffend ihre Stellung als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt und die Bedeutung der durch Art. 5 GG geschützten Rundfunkfreiheit beschrieben. Nach den in § 5 W -Gesetz normativ vorgegebenen Programmgrundsätzen haben wertende und analysierende Einzelbeiträge dem Gebot journalistischer Fairness zu entsprechen und es ist Ziel einer jeden Berichterstattung, umfassend zu informieren. In der Dienstanweisung des Intendanten zur Regelung der Programmverantwortung vom 07.02.1990 wird darauf hingewiesen, dass der Beklagte entsprechend seinen gesetzlichen Aufgaben verpflichtet ist, umfassend und wahrheitsgetreu zu berichten (Nr. I 2). Als Grundsatz der Programmarbeit wird angeordnet, dass bei der Verwendung von Aussagen Dritter deutlich zu machen ist, ob diese auch als Aussagen des Autors erscheinen sollen (Nr. II 1) und Kommentare deutlich von Nachrichten zu trennen und unter Nennung des Verfassers als solche zu kennzeichnen sind (Nr. II 4). Entstellungen und Verzerrungen – auch durch Auslassen oder Verschweigen von Tatsachen – sind unzulässig (Nr. II 1). Verlässt ein Arbeitnehmer diese Grundsätze der unparteiischen und objektiven Berichterstattung, kann dies für die Beklagte einen erheblichen Eingriff in ihre Position als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt darstellen.
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Der Kläger war in die Aktivitäten zur Markteinführung der Salbe R in nicht unerheblichem Maß eingebunden. Dies belegen mehrere E-Mails. 36
So hat Herr We am 10.06.2009 an Frau S und den Kläger unter dem Betreff "R Tuben und Verpackung" eine Mail mit dem Wortlaut
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"... und? wie gefällt das?
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u.A.w.g."
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geschickt, der im Anhang ein Muster einer Tuben- und Verpackungsbeschriftung der Salbe beigefügt war.
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Eine weitere vom Kläger an Herrn We gerichtete E-Mail vom 18.09.20009 lautet:
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"Lieber Herr We ,
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habe Ihren Entwurf angeschaut und finde die Farbgestaltung arg speziell. Dadurch kommt die Seite sehr düster, abweisend, eben nicht einladend daher. Daher würde ich noch ein bisschen an der Kontrastierung und Farbgestaltung schrauben. Gerne würde ich noch einmal über Ihr Veröffentlichungstiming sprechen."43
Am 30.09.2009 heißt es in einer E-Mail von Herrn We an den Kläger unter anderem:
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"... Gestern hatte ich (endlich) ein sehr langes Gespräch mit Herrn Z . Bezüglich seiner Pläne und Ideen würde ich mich sehr gerne kurzfristig mit Ihnen abstimmen, denn die eine oder andere Idee seiner Marketingleute gefällt mir nicht. Also ich freue mich auf Ihren Anruf!"45
Schließlich heißt es in einer auch an den Kläger persönlich gerichteten E-Mail des Herrn We vom 04.10.2009:
46
"... ich komme noch einmal zurück auf unsere aktuellen Gespräche bezüglich der nun endlich möglichen Markteinführung von R Salbe und den damit im Zusammenhang stehenden Terminen.
47
...
48
Ab 19.10.2009, unmittelbar nach Ausstrahlung der 45 Minuten Version des Filmes, werden wir im Internet .... lediglich eine noch gemeinsam abzustimmende, einfach gestaltete Homepage einrichten, in der wir auf den Film Bezug nehmen. Unsere anstehende, kleine Markteinführung werden wir dort jedoch lediglich als "geplant" ankündigen. In einem aktuellen BLOG werden wir dann in der Folge über die Entwicklung im Projekt weiter informieren und erst ab 15.11.2009 "durchstarten".
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Nun freue ich mich auf eine konstruktive weitere Zusammenarbeit und bin sehr froh, hinsichtlich dieses wichtigen Punktes uneingeschränkte Einigkeit erzielt zu haben! ..."50
Diese E-Mail hatte Herr We dem Kläger kurz zuvor zur kritischen Durchsicht mit folgendem Anschreiben per Mail übersandt:
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"Hallo Herr M ,
52
ich würde sehr gerne so schnell wie möglich und zur Klarstellung die unten stehende E-Mail an alle am Projekt beteiligten Personen senden. Schauen Sie sich diese bitte kritisch an und geben mir dann bitte Ihre ggf. gewünschten Korrekturen bekannt."
53
Hierauf hat der Kläger umgehend wie folgt geantwortet:
54
"Lieber Herr We ,
55
Ich finde das sehr gut, was Sie da aufgesetzt haben.
56
Und Ihre Website habe ich auch gesehen.
57
Alles wird bestens.
58
Ich kämpfe jetzt darum, dass bis zum 15.11. auch das Buch erschienen ist."59
Aus allen diesen E-Mails wird deutlich, dass der Kläger in die Marketingaktivitäten zur Produkteinführung der Salbe R in nicht unerheblichem Maß eingebunden war. Er wurde von Herrn We um Rat gefragt und in einen internen Abstimmungsprozess einbezogen, an dem er selbst aktiv teilgenommen hat, wie seine Antwortmails belegen. Damit hat der Kläger zweifelsfrei die Position des berichtenden Journalisten verlassen. Dies ist in zweifacher Hinsicht rechtlich bedenklich.
Einerseits verstößt der Kläger damit gegen die Grundsätze der journalistischen Unabhängigkeit. Andererseits hat er seinen "Lagerwechsel" im Film nicht offengelegt, sondern diesen vielmehr weiterhin aus der Position des außenstehenden Journalisten präsentiert. Damit ist ein an sich geeigneter Kündigungsgrund gegeben. 60
(2) Den zweiten an sich geeigneten Grund stellen die in Teilen falsche sog. Ehrenerklärung des Klägers vom 05.11.2009 sowie die ebenfalls teilweise unzutreffende, als Information der Intendantin abgegebene Stellungnahme des Klägers vom 12.03.2010 dar.
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In der Ehrenerklärung hat der Kläger versichert, alle von ihm gesammelten Informationen seien in die Dokumentation "Heilung unerwünscht" eingeflossen, er habe seit Fertigstellung des Films seinen Wunsch auf baldige Ausstrahlung geäußert, er habe vor der Veröffentlichung durch die Programmzeitschriften keinem Dritten außerhalb der Redaktion Hinweise auf einen möglichen Sendetermin gegeben und er habe zu keinem Zeitpunkt Kenntnis von dem Produktionsbeginn oder der Markteinführung des Präparats gehabt.
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Sämtlich vorgenannten Tatsachen sind nachweislich unzutreffend oder jedenfalls ungenau bzw. unvollständig vom Kläger versichert worden.
So sind gerade nicht alle Informationen in die Dokumentation eingeflossen. Unstreitig hat der Kläger kritische Stellungnahmen behandelnder Ärzte nicht aus dem Rohmaterial in den Film übernommen. Deren teilweise Wiedergabe im Kommentartext hat eine deutlich geringere Aussagekraft. Hier fehlt in der Erklärung jedenfalls die Klarstellung zu den erfolgten Kürzungen, mögen sie aus Sicht des Klägers auch sachnotwendig gewesen sein.
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Auch
hat der Kläger sehr wohl versucht Einfluss auf den Sendetermin zu nehmen. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus der E-Mail des Klägers vom 21.08.2009 an seinen Vorgesetzten, Herrn W . Mit dieser Mail übersandte der Kläger Herrn W den Entwurf eines Schreibens an Herrn B von der A , in dem die "begrenzte Haltbarkeitsdauer" des Themas angesprochen und die Notwendigkeit eines Sendetermins spätestens im November deutlich gemacht wird. Zuvor hatte der Kläger im April 2009 Herrn W darum gebeten, den Beitrag nicht im Sommer zu senden.
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Ebenfalls unzutreffend ist die Aussage des Klägers, er habe vor der Veröffentlichung durch die Programmzeitschriften keinem Dritten außerhalb der Redaktion Hinweise auf einen möglichen Sendetermin gegeben. Das Gegenteil ist durch den E-Mail-Schriftverkehr des Klägers belegt. So ist aus dem bereits dargestellten Mail-Verkehr mit Herrn We ersichtlich, dass alle Beteiligten bereits am 04.10.2009 von der Ausstrahlung des Films am 19.10.2009 Kenntnis hatten, da ausgehend von diesem Termin werbestrategische Maßnahmen geplant werden. Außerdem hat der Kläger bereits einen Monat zuvor am 12.09.2009 Frau L , eine Journalistin, die sein Buchmanuskript Korrektur gelesen hat, über den Termin der Buchveröffentlichung und den Sendetermin per E-Mail informiert. Noch früher, nämlich bereits am 03.09.2009, hat der Kläger den Buchverlag per E-Mail über den Sendetermin am 19.10.2009 informiert.
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Schließlich hatte der Kläger sehr wohl Kenntnis von dem Produktionsbeginn sowie der Markteinführung des Präparats gehabt. Auch dies bestätigen der vorgenannte E-Mail-Schriftwechsel vom 04.10.2009 sowie die E-Mail des Klägers an Herrn We vom 02.09.2009, mit der der Kläger Herrn We über den Produktionsbeginn in der 43. oder 44. KW informiert.66
Auch in der Informationsvorlage für die Intendantin vom 12.03.2010 hat sich der Kläger nicht wahrheitsgemäß geäußert.
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Hier führt der Kläger im zweiten Absatz auf Seite 1 aus, der Autor (also der Kläger) sei vom Verlagslektorat nach dem Stand der Manuskriptbearbeitung und der Möglichkeit einer alsbaldigen Fertigstellung gefragt worden, nachdem die öffentliche Diskussion nach Ausstrahlung der Fernsehdokumentation und der Sendung "h " die bekannte Dimension angenommen habe. Aus einer E-Mail des Klägers an Frau R vom Verlag D vom 03.09.2009, also sechs Wochen vor dem Sendetermin, ergibt sich, dass es der Kläger selbst war, der bereits zu diesem Zeitpunkt eine Buchveröffentlichung noch im Jahr 2009 ("Weihnachtsgeschäft - Ich kann bis zum September fertig sein") angeregt hat. Aus demselben Grund ist auch die Äußerung des Klägers im zweiten Absatz auf Seite 2 der Stellungnahme unzutreffend, er habe den Abgabetermin zum 1.10.2009 nicht einhalten können.
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Im letzten Absatz auf Seite 2 der Stellungnahme des Klägers heißt es, die Diskussion nach Ausstrahlung des Films habe offensichtlich dazu geführt, dass einige Wochen später 25.000 Tuben der Creme produziert worden seien. Aus der bereits genannten E-Mail des Klägers vom 02.09.2009, also sechs Wochen vor dem Sendetermin wird demgegenüber deutlich, dass die Produktion bereits vorher geplant und gerade nicht Folge der Ausstrahlung des Films und der anschließenden Diskussion war.
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Die Einlassungen des Klägers hierzu überzeugen nicht. Er wendet im Wesentlichen ein, mit dem Begriff "Markteinführung" sei nur die eigentliche, große Einführung des Produkts gemeint gewesen, die Thema des Films gewesen sei. Die Produktion von Kleinchargen (25.000 Tuben) habe damit nichts zu tun. Es sei ferner die nachträgliche und alleinige Entscheidung des Verlags gewesen die zunächst für das Frühjahr 2010 vorgesehene Veröffentlichung des Buches in den zeitlichen Zusammenhang mit dem Sendetermin des Filmes vorzuziehen. Auf diese Entscheidung habe der Kläger keine Möglichkeit der Einflussnahme gehabt. Auch habe der Kläger nie über "mögliche Sendetermine" mit dritten Personen spekuliert. In den genannten E-Mails sei es nämlich allein um den zwischenzeitlich festgesetzten Sendetermin gegangen. Schließlich bestreitet der Kläger die Behauptung der Beklagten, er habe den Text der Ehrenerklärung selbst verfasst und ohne Druck unterzeichnet. Vielmehr habe Herr W ihm den vorgefertigten Text zur Unterzeichnung vorgelegt.
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Unabhängig von den Umständen der Unterzeichnung der Ehrenerklärung war dem Kläger die Bedeutung dieser Erklärung unbestrittenermaßen bewusst. Auf der Grundlage dieser Erklärung hat die Intendantin zu den zwischenzeitlich eingegangenen Programmbeschwerden nach außen Stellung genommen. Das gilt umso mehr für die vier Monate später, im März 2010 abgegebene Stellungnahme des Klägers. Diese hat der Kläger nach seinem eigenen Vortrag unbedrängt selbst angefertigt. Erst recht bei dieser Erklärung musste dem Kläger bewusst sein, dass es auf die genaue und im Detail korrekte Darstellung des Sachverhalts ankommt. Schließlich steht außer Zweifel, dass der Kläger als erfahrener Journalist in der Lage war, diese Bedeutung zu erkennen und seine Stellungnahme entsprechend zu formulieren. Gleichwohl enthalten beide Erklärungen die oben genannten Fehler.
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Selbst wenn man die Erläuterungen des Klägers in seinem Sinne berücksichtigen würde, bleiben die vorgelegten schriftlichen Stellungnahmen fehlerhaft. Das gilt hinsichtlich der sog. Ehrenerklärung für die Anregungen des Klägers zur Lage des Sendetermins sowie für sämtliche oben dargestellten Fehler in der Stellungnahme von März 2010. In ihrer Gesamtheit und unter Berücksichtigung der Bedeutung der Stellungnahmen des Klägers geht die Kammer daher auch bezüglich dieser Umstände vom Vorliegen eines an sich die Kündigung rechtfertigenden Grundes aus. Sowohl die Verletzung der journalistischen Unabhängigkeit als auch die falschen Angaben des Klägers gegenüber der Intendantin stellen erhebliche Pflichtverletzungen dar, die die Schwelle zum wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB überschreiten.
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c. Die weiteren von der Beklagten angeführten Kündigungsgründe stellen demgegenüber keine derart gravierenden Pflichtverletzungen dar, dass die Erheblichkeitsschwelle des § 626 Abs. 1 BGB überschritten wäre.
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d. Auf der zweiten Prüfungsstufe ist die Kündigung im konkreten Kontext zu beurteilen und es ist zu prüfen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht. Hierfür ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG, Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 – NZA 2011, 1027; BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung –etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32; BAG, Urteil vom 28.01.2010 -2 AZR 1008/08 – EzA § 626 BGB 2002 Nr. 30). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten wie beispielsweise Abmahnung oder ordentliche Kündigung unzumutbar sind, da sie nicht geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck der Vermeidung des Risikos künftiger Störungen zu erreichen (BAG, a.a.O.; KR-Fischermeier, 9. Aufl., § 626 BGB Rn. 251). In dieser weiteren rechtlichen Beurteilung des Fehlverhaltens des Klägers ist zwischen den beiden vorgenannten Kündigungsgründen zu differenzieren.
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aa. Soweit die Pflichtverletzung des Klägers seine journalistische Unabhängigkeit und die erfolgte Einbindung in die Sache des Protagonisten der von ihm erstellten Dokumentation betrifft, hält die Kammer eine Abmahnung für das verhältnismäßige Mittel.
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bei Vertragspflichtverletzungen, die auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers beruhen, grundsätzlich davon auszugehen, dass das künftige Verhalten des Arbeitnehmers schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32). Einer Abmahnung bedarf es nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (zuletzt BAG, Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 – NZA 2011, 1027).
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Geht man von diesen Grundsätzen aus, handelt es sich bei dem Fehlverhalten des Klägers im Hinblick auf seine journalistische Tätigkeit jedenfalls um steuerbares Verhalten im vorgenannten Sinn. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger dieses Fehlverhalten nach entsprechendem Hinweis und Aufzeigen möglicher arbeitsrechtlicher Folgen im Wiederholungsfall in Zukunft erneut praktizieren wird. Auch handelt es sich nicht um einen derart gravierenden Vertragsverstoß, dass eine Abmahnung von vornherein als entbehrlich anzusehen wäre. Gerade im Bereich des investigativen Journalismus, in dem der Kläger tätig ist, besteht die Gefahr, dass man als engagierter Journalist bei der Aufdeckung von Missständen und Ungerechtigkeiten, Partei für ungerecht behandelte Personen ergreift. Nicht zuletzt in Anbetracht der langjährigen Berufserfahrung des Klägers ist zu erwarten, dass ihm sein Fehlverhalten durch eine Abmahnung deutlich geworden wäre und diese als das gegenüber einer Kündigung mildere Mittel erfolgversprechend gewesen wäre.
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bb. Eine andere Gewichtung gilt nach Auffassung der Kammer hinsichtlich der falschen Angaben des Klägers in seinen erläuternden Stellungnahmen gegenüber der Intendantin der Beklagten. Insoweit musste dem Kläger bei Abgabe der Erklärungen bewusst sein, dass eine Hinnahme bewusst falscher Angaben seitens der Beklagten in jedem Fall ausgeschlossen war. Gerade im Hinblick auf die oben im einzelnen geschilderte Bedeutung der Erklärungen für die Außendarstellung der Beklagten durch ihre Intendantin gab es für den Kläger keinen Anhaltspunkt dafür, dass Ungenauigkeiten oder Fehler bei der Sachverhaltsdarstellung von der Beklagten nicht sonderlich wichtig genommen werden würden. Das Gegenteil ist der Fall. Von daher bedurfte es insoweit keiner vorherigen Abmahnung des Klägers.
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Allerdings ist die Kündigung auch bezogen auf diesen Kündigungsgrund gleichwohl rechtsunwirksam, denn bei der nach den oben dargestellten Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zusätzlich vorzunehmenden Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen überwiegen die Interessen des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Auflösungsinteresse der Beklagten.
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Die Beklagte begründet ihr Auflösungsinteresse im Wesentlichen mit dem Gewicht der Pflichtverletzung und dem hierdurch entstandenen gravierenden Vertrauensverlust. Dabei hebt sie die Stellung des Klägers hervor, der einen herausgehobenen, verantwortungsvollen und für die Programmgestaltung bedeutsamen Arbeitsplatz ausübe. Erschwerend fällt zudem ins Gewicht, dass der Kläger auch in seiner späteren Anhörung an der ihm vorgehaltenen Ehrenerklärung festgehalten und keinen Fehler eingeräumt hat. Diesen Standpunkt hat er auch während des gesamten Rechtsstreits weiter vertreten.
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Dem stehen auf Seiten des Klägers zunächst seine 22-jährige Betriebszugehörigkeit bei der Beklagten und der insoweit störungsfreie Verlauf des Arbeitsverhältnisses in der Vergangenheit gegenüber. In diesem langjährigen, mehr als das halbe Berufsleben umfassenden Zeitraum hat der Kläger ein erhebliches Maß an "Vertrauenskapital" erworben. Dieses muss auch bei einem andererseits erheblichen Vertrauensverstoß Berücksichtigung finden. Auch das Lebensalter des Klägers von 56 Jahren ist im Hinblick auf die hierdurch bedingten schlechten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Dies gilt umso mehr, als der Kläger, wie beispielsweise der ihm im Jahr 2006 verliehe Journalistenpreis zeigt, in Journalistenkreisen durchaus bekannt ist. Ein Ausscheiden bei der beklagten Rundfunkanstalt aufgrund einer außerordentlichen Kündigung würde daher nicht unbemerkt bleiben und würde die Arbeitssuche des Klägers mit Sicherheit erheblich erschweren. In dieser Situation erscheint es wenig wahrscheinlich, dass der Kläger eine vergleichbare Anstellung bei einem anderen mit der Beklagten vergleichbarem Arbeitgeber angeboten bekommen würde. Dies alles zeigt, dass eine Kündigung mit ganz erheblichen Auswirkungen für den Kläger verbunden wäre.
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Dabei ist nach dem Gesetzeswortlaut des § 626 Abs.1 BGB als Prüfungsmaßstab zugrunde zu legen, ob der kündigenden Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Soweit der Kläger gemäß § 36 Abs. 3 MTV-WDR ordentlich nur bei erheblicher Leistungsminderung im Tarifsinn kündbar ist, ändert dies an dem vorgenannten Prüfungsmaßstab nichts. Entscheidend ist allein, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der "fiktiv" für den Kläger anzunehmenden Kündigungsfrist zugemutet werden könnte (BAG, Urteil vom 27.04.2006 – 2 AZR 386/05 – EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr. 11).
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In dieser Situation kommt nach Auffassung der Kammer dem Interesse des Klägers am Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses größeres Gewicht zu als dem Auflösungsinteresse der Beklagten. Das gilt auch bei einer Gesamtbetrachtung beider relevanten Kündigungsgründe sowie des gesamten Kündigungssachverhalts. Weder das oben dargestellte abmahnungswürdige Fehlverhalten des Klägers noch sonstige von der beklagten benannte, im Wesentlichen streitige Pflichtverstöße des Klägers, die für sich betrachtet nicht das Gewicht eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB aufweisen, vermögen in der Gesamtbetrachtung mit den falschen Erklärungen des Klägers ein überwiegendes Auflösungsinteresse der Beklagten zu begründen.
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e. Nach allem ist somit die streitgegenständlich außerordentliche Kündigung der Beklagten rechtsunwirksam und führt nicht zu einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers.
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2. Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 615 Satz 1 BGB einen Anspruch auf Zahlung von 49.916,80 € brutto abzüglich 11.979,32 € netto. Hierbei handelt es sich um die arbeitsvertraglich geschuldete Vergütung für die Monate Mai bis Dezember 2010 abzüglich der für Mai 2010 anteilig gezahlten Vergütung in Höhe von 4.078,22 € netto sowie gezahltem Arbeitslosengeld in Höhe von 7.892,10 €.
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Annahmeverzug im Sinne des § 615 BGB liegt vor, wenn der Arbeitnehmer arbeiten will, der Arbeitgeber den Arbeitnehmer jedoch nicht beschäftigen kann oder will. Für diesen Fall ordnet § 615 BGB an, dass der Arbeitnehmer die Vergütung verlangen kann und zur Nachleistung der Arbeit für die Zeiträume, in denen der Arbeitgeber sie nicht angenommen hat, nicht verpflichtet ist. Hauptanwendungsfall dieser Vorschrift ist die Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers nach einer arbeitgeberseitigen Kündigung, die sich im Nachhinein als rechtsunwirksam erweist. Das ist hier der Fall. Die Beklagte befindet sich aufgrund der unwirksamen Kündigung vom 19.05.2010 seither gegenüber dem Kläger im Annahmeverzug und ist daher zur Zahlung der ihrer Höhe nach unstreitigen Beträge verpflichtet.
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3. Der Zinsanspruch des Klägers folgt aus §§ 286, 288 BGB.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen. Insbesondere geht es nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung und die Entscheidung beruht wesentlich auf den Umständen des Einzelfalls.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
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Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72a ArbGG wird hingewiesen.
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Dr. Kreitner Bergner Breuer
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