.
Fortsetzung der Medizinhistorie der
"alternativ-ganzheitlichen" bzw.
"biologischen" Zahn-Medizin.
Eventuelle Analogien zur
"alternativ-ganzheitlichen" bzw.
"biologischen" Zahn-Medizin von heute sind nicht auszuschließen.
-
Aus: zm 18/2004, Seite 106.
Teil 1:[*Zitatanfang*]
--------------------------------------------------------------------------
[...]
"Neue deutsche Zahnheilkunde" - Teil 1Alternative Zahnmedizin im NationalsozialismusHans Jörg Staehle, Bettina Wündrich, Wolfgang U. Eckart
Unter dem Begriff "Neue deutsche Zahnheilkunde" versteht man eine Verflechtung zwischen nationalsozialistischer Ideologie und alternativzahnmedizinisch-ganzheitlichen Vorstellungen. Rassistische Tendenzen, moralische Wertungen von Krank- und Gesundsein, Verbreitung metaphischer Vorstellungen und der Einsatz umstrittener Diagnose- und Therapieverfahren sind in gewissem Maß bis heute aktuell - treten sie auch in anderem Vokabular als zur NS-Zeit in Erscheinung. Der vorliegende Artikel soll dazu beitragen, den medizinhistorischen Bezug dieser Thematik nicht aus den Augen zu verlieren.Entwicklung der "Neuen deutschen Heilkunde"In der Anfangsphase der nationalsozialistischen Diktatur wurde
mit politischer Unterstützung versucht,
alternativmedizinischen Vorstellungen einen hohen Stellenwert innerhalb der Heilberufe einzuräumen. Dafür wurde der
Begriff der "Neuen deutschen Heilkunde" geprägt [7,43,84,163].
Bereits 1933 verkündete der Reichsärzteführer Gerhard Wagner eine
besondere Wertschätzung von "Heilmethoden, die nicht im Einklang mit der Schule" stehen [157].
Die gesundheitspolitischen Entscheidungsträger des Nationalsozialismus wollten alternative Heilmethoden als gleichberechtigte Therapieformen neben die so genannte Schulmedizin stellen. Es wurde die Forderung erhoben,
Naturheilmittel staatlich zu fördern, weiterzuentwickeln und als gleichwertige Methoden anzuerkennen. Ein
wichtiger Aspekt einer radikalen nationalsozialistischen
Gesundheitsreform war somit
die Hinwendung zu einer alternativ-ganzheitlichen, "biologischen" Medizin.
Zunächst stand eine
ideelle Unterstützung alternativmedizinischen Gedankenguts im Sinne einer besonderen deutschen Bewegung im Vordergrund. Um diesen Bestrebungen auch einen institutionellen Charakter zu verleihen, wurde
1935 die Reichsarbeitsgemeinschaft für eine "Neue deutsche Heilkunde" gebildet, die von Wagner auf der ersten Reichstagung der deutschen Volksheilbewegung proklamiert wurde. Dieser Arbeitsgemeinschaft schlossen sich verschiedene Ärzteverbände an.
In einem programmatischen Aufsatz charakterisierte Wagner den Umdenkungsprozess zu einer
"Neuen deutschen Heilkunde" wie folgt: "Wenn wir heute eine neue Heilkunde aufbauen wollen, so kann das
Fundament dieser Heilkunde niemals die exakte Naturwissenschaft sein, sondern das Fundament kann nur sein unsere nationalsozialistische Weltanschauung" [158].
Kritische Stimmen zu diesen Entwicklungen wurden bereits im Jahr der nationalsozialistischen Machtergreifung
mithilfe entsprechender Drohungen unterdrückt. Dabei zielten die nationalsozialistischen Machthaber vor allem auf einzelne Vertreter von Universitäten ab. So sah sich Wagner 1933 veranlasst, in einem Kommentar zu einer Erklärung von Adolf Hitlers Stellvertreter
Rudolf Heß, dem die Unterstützung der "Neuen deutschen Heilkunde" ebenfalls ein großes Anliegen war, Folgendes auszuführen: "Und ich erkläre endlich, daß ... ich daher gegenüber weiteren Störungsversuchen mit aller Schärfe nach staatspolitischen Grundsätzen und Übungen vorgehen werde. Insbesondere sei dies gewissen Hochschullehrerkreisen gesagt, die es für nötig erachten, sogar die junge Medizinerschaft für ihre reaktionären und damit staatsfeindlichen Pläne vor ihren Wagen spannen zu wollen" [157].
Diese Drohungen führten dazu, dass
von Universitätsseite nahezu keine kritischen Einwände gegenüber der "Neuen deutschen Heilkunde" mehr
erhoben wurden.
Wie in einer medizinhistorischen Abhandlung vor kurzem aufgezeigt wurde,
existierte neben der "Neuen deutschen Heilkunde" auch eine "Neue deutsche Zahnheilkunde" [162]. Deren Merkmale und Zielsetzungen sollen im Folgenden beschrieben werden.
Kennzeichen der "Neuen deutschen Zahnheilkunde"Bereits unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten machten die
Wortführer der alternativ-ganzheitlichen Zahnheilkunde deutlich, wie sie sich die künftigen Schwerpunkte einer nationalsozialistisch geprägten Zahnheilkunde vorstellten [44, 63, 75, 87, 129]. In den Zahnärztlichen Mitteilungen 1933 findet sich ein grundlegender Artikel von Erich Heinrich über die "Erziehung des Zahnarztes zum Nationalsozialismus" [44]. Schon anhand der Publikationen von 1933 lassen sich
folgende Merkmale in ihren Grundzügen erkennen:
- Leitgedanke:
Biologische "Totalität" des deutschen Menschen,
Anerkennung alternativ-ganzheitlicher Methoden in der Zahnmedizin- Politisierung der Zahnmedizin im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie, Betonung der Gemeinsamkeiten zwischen
alternativmedizinischen und nationalsozialistischen Vorstellungen
-
Rassenhygiene als neue Aufgabe der Zahnmedizin,
argumentative Unterstützung von Antisemitismus und Militarismus
durch alternativmedizinisches Gedankengut-
Moralische Wertung von Krank- und Gesundsein,
Betonung der Eigenverantwortlichkeit bis hin zur Gesundheitspflicht, Sanktionen beim Auftreten selbstverschuldeter, vermeidbarer Krankheiten, andererseits
Vorstellung von Krankheit als besonderem Weg zur "Heilwerdung"- Versuch der
Kostendämpfung im Gesundheitswesen durch Propagierung von Gesundheitspflicht und einfachen naturgemäßen Lebens- und Heilweisen-
Metaphysische Ausrichtung der Medizin, Abwehr "exakter" Wissenschaft-
Aufhebung einer freien wissenschaftlichen DiskussionBiologische "Totalität" des deutschen MenschenReichszahnärzteführer Ernst Stuck konnte bereits 1934 feststellen, dass es
im Reich Adolf Hitlers keinen Streit mehr zwischen Schulmedizin und biologischen Heilmethoden gab [152]. In einer im gleichen Jahr propagierten nationalsozialistischen Standesordnung wurde dargelegt, dass die Zahnmedizin in den Dienst des Lebenskampfes des gesamten deutschen Volkes gestellt werden müsse [124].
Von den Vertretern der "Neuen deutschen Zahnheilkunde" wurde unter dem Stichwort "Totalität" in erster Linie eine Verbindung von alternativmedizinischen Vorstellungen - die unter Bezeichnungen wie Zahnärztliche Naturheilkunde, Biologische Zahnheilkunde, Ganzheitsbetrachtung in der Zahnheilkunde, holistische Zahnheilkunde und Ähnlichem rangierten - und nationalsozialistischer Ideologie gesehen.Paul Neuhäußer bezeichnete den Nationalsozialismus in Anlehnung an Hans Schemm als
"politisch angewandte Biologie" [91]. Friedrich Jummel schrieb 1940:
"Biologische Heilkunde ist lebensmäßige Heilkunst, fast vielleicht eine Weltanschauung. Nur unter einem großen Totalitätsbegriff, der den ganzen Menschen in allen Phasen des Seins und der Umwelt umfaßt, können wir einer wirklich biologischen Heilkunst näherkommen" [69]. 1942 definierte Helmut Haase den Begriff der Totalität wie folgt:
"Der Begriff ‚heil' - aus der deutschen Volksseele geboren - besagt sehr fein: werde wieder ganz, eine Ganzheit. So heißt also ‚Heilen' den Kranken zur Ganzheit führen, zur biologischen Totalität" [29].
"Heil" wurde zum
gemeinsamen Element von Politik (im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie
in Verbindung mit naturgemäßen Lebensweisen)
und Medizin (im Sinne magisch-okkulter, irrationaler Heilslehren).
Zum Verständnis der
"Neuen deutschen Zahnheilkunde" ist es somit wichtig zu wissen, dass das
Wort Totalität (Ganzheitlichkeit) nicht nur in einem streng medizinischen Sinn, sondern von Anfang an auch in einem staatspolitischen Kontext verstanden wurde.
Der medizinische Totalitätsgedanke wurde zum umfassenden Totalitätsanspruch, der alle Lebensbereiche einschloss.Politisierung im Sinne der NS-IdeologieDie
Wortführer einer alternativ-ganzheitlichen Ausrichtung der Zahnheilkunde verlangten ausnahmslos eine bedingungslose Unterwerfung des Zahnarztes unter die nationalsozialistische Ideologie. Zur Förderung dieser Entwicklung hielten sie entsprechende Umerziehungsmaßnahmen für erforderlich.
Otto Steiner fasste im Jahr 1936 seine Forderungen zur Politisierung der Zahnmedizin im Sinne des Nationalsozialismus wie folgt zusammen:
Der deutsche Arzt und Zahnarzt muss
einerseits einen "ganzheitsbezogenen Leistungswillen" in die Tat umsetzen. Er erfüllt eine
ärztliche Mission am deutschen Volkskörper und an der deutschen Volksseele. Andererseits muss
der deutsche Arzt und Zahnarzt ein aus dem Instinkt geborenes "Bekenntnis an Raum und Zeit und Volk" abgeben, das mit einem kompromisslosen Bekenntnis zum Dritten Reich einhergeht [133].
Ähnlich äußerte sich Neuhäußer (1936), indem er besonders für den
zahnärztlichen Nachwuchs eine stärkere Beschäftigung mit "biologischen Richtungen" und gleichzeitig eine Betonung der politischen Linientreue forderte: "Gerade aber für unseren Nachwuchs werden diese Fragen von größtem Werte sein, sollen die Ziele unserer Gesundheitsführung in Partei und Staat erreicht werden." Die
neuen biologischen Vorstellungen waren nach Neuhäußer Ausdruck und Folge der nationalsozialistischen Weltanschauung auf medizinischem Gebiet [88].
"Rassenhygiene" als neue Aufgabe der ZahnmedizinDie
"Rassenhygiene" war unter den
Wortführern der alternativ-ganzheitlichen Zahnheilkunde ein wichtiges Thema, das in vielen Beiträgen ausführlich bearbeitet wurde.
Zum einen war die
Betonung des "Konstitutionsgefüges" ohnehin ein
wesentlicher Inhalt alternativmedizinischer Vorstellungen. Zum anderen wurde
durch die "Rassenlehre" eine Aufwertung der Zahnheilkunde innerhalb der Medizin erwartet, und letztlich war davon auszugehen, dass es auf diesem Wege gelingen würde, neue und vor allem
staatspolitisch wichtige Aufgabenfelder für die "biologische" Zahnmedizin zu erschließen. So wurden von den
Vertretern der "Neuen deutschen Zahnheilkunde" die nationalsozialistischen
Vorstellungen von Anthropologie und Erbbiologie mit dem Ziel, "Untermenschen mit minderwertigem Erbgut" auszumerzen, vielfach aufgegriffen.
Bereits 1933 forderte Steiner, dass das
Gebiss eines Menschen zu einem wichtigen Gradmesser für Artung und Entartung werden müsse. Auch Charaktereigenschaften wie das "Bedürfnis" eines Menschen, sich gesund zu erhalten, zum Beispiel
das Mundhygienebedürfnis, seien in einer entsprechenden Beziehung zur Rassenzugehörigkeit zu sehen [129]. Mit eugenischen Maßnahmen und dem Zurückdrängen minderwertigen Erbgutes sollten die Ursachen von Zahnschäden behoben werden [63]. Neuhäußer sah besonders in den Nürnberger Gesetzen und dem Gesetz zur Verhütung des erbkranken Nachwuchses Anlass für den Zahnarzt, sein "ärztliches Denken und Wirken" im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung neu zu formen [89,90].
Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses wurde am 14.7.1933 erlassen, das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre als Teil der Nürnberger Gesetze am 15.9.1935. In der Präambel des Gesetzes heißt es: "Durchdrungen von der Erkenntnis, daß die Reinheit des deutschen Blutes die Voraussetzung für den Fortbestand des deutschen Volkes ist, und beseelt von dem unbeugsamen Willen, die deutsche Nation für alle Zukunft zu sichern, hat der Reichstag einstimmig das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird." Ein wesentlicher Bestandteil dieses Gesetzes war das Verbot von "Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes".
Hermann Euler betonte im Zusammenhang mit der
Rassenhygiene, es sei ohne Weiteres einleuchtend, "daß sich etwa eine
Rassenvermischung auch im Hinblick auf die Gebißgesundheit nicht gleichgültig zu verhalten braucht", auch wenn
bislang nur wenig wissenschaftliche Erkenntnisse dazu vorlägen [13]. Von Walther Klußmann wurde der
Bezug der Rassenhygiene zur Zahnmedizin so weit getrieben, dass er eine
Ausschaltung jeglicher jüdischer Einflüsse als wesentliche Voraussetzung für die Herstellung der Gebissgesundheit des deutschen Volkes forderte [80,81,82].
Die
Vorstellungen über Zusammenhänge von Konstitution und oraler Gesundheit gingen innerhalb der Vertreter der
"Neuen deutschen Zahnheilkunde" allerdings zum Teil weit auseinander. Während beispielsweise Steiner 1935 die Auffassung vertrat,
Menschen pyknischen Typs mit "rundlich-untersetztem Körper, starker Entwicklung von Kopf, Bauch und Brust, breitem Gesicht auf kurzem Hals mit oft sehr breitem Kieferbogen", wären
zwangsläufig und ausnahmslos von parodontalen Erkrankungen betroffen [131], wurde diese Einschätzung von Erich Heinrich zum Teil in Frage gestellt, indem er behauptete, dass "
die Pykniker, also die Untersetzten, Kleinen und zu Fettansatz neigenden"
nur "etwas häufiger" von parodontalen Erkrankungen befallen würden als andere Menschen. Für Heinrich war vielmehr eine
"introvertierte" Konstitution das größte Risiko für die Entstehung einer parodontalen Erkrankung [47].
1941 wurde in der Führerschule der deutschen Ärzteschaft in Alt-Rhese der Rassegedanke ebenfalls als Mittelpunkt nationalsozialistischer Weltanschauung dargelegt und aus zahnärztlicher Sicht erörtert. Dabei wurde unter anderem ausgeführt, dass
"die Vereinigung von Blutströmen weit voneinander entfernter Rassen" schädlich sei und dass solche Gesichtspunkte auch
für die Vererbung von Eigenschaften des Gebisses ihre Bedeutung hätten [65, 66].
Diese und andere Behauptungen wurden allerdings
von den Autoren nie durch wissenschaftlich objektivierbare Publikationen untermauert.
Der "Konstitutionsaspekt" wurde auch nach 1945 von den Repräsentanten der "Neuen deutschen Zahnheilkunde" immer wieder aufgegriffen, allerdings befreit von nationalsozialistischem Vokabular [96, 101, 145].
Antisemitismus und "Neue deutsche Zahnheilkunde"Neben den Ausführungen zur
"Rassenhygiene" offenbaren insbesondere die antisemitischen Äußerungen der Vertreter der
"Neuen deutschen Zahnheilkunde" ihre nationalsozialistische Grundhaltung. Dabei verknüpften die
Wortführer der alternativ-ganzheitlichen Zahnheilkunde konkrete zahnmedizinische Fachfragen (zum Beispiel die Entstehung von Gebisserkrankungen) mit von ihnen
postulierten Thesen zum schädigenden Einfluss durch "die Juden" oder "die Verjudung". Klußmann behauptete 1935, dass die
Zahnmedizin wegen der Juden in einer tiefen Krise stecke.
In der Zahnmedizin sei es unter jüdischem Einfluss zu einer "Überwucherung der schöpferischen Arbeit durch Händlergeist" gekommen. Der jüdische Geist wirke auf "Verflachung des kulturellen Lebens und die Unterdrückung der schöpferischen Arbeit hin, weil sie ihm nicht artgemäß und im Vorwalten schöpferischer Arbeit im Volksleben mit seiner Herrschaftsstellung nicht vereinbar" sei. Dies alles seien Untergangsvorboten einer Entwicklung "zur Herrschaft der Untermenschen". Der Nationalsozialismus könne dieser Gefahr wirkungsvoll begegnen [77, 78].
1937 begrüßte Neuhäußer die Nürnberger Gesetze, die unter anderem Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen und artverwandten Blutes verboten,
als einen auch aus zahnmedizinischer Sicht richtungweisenden Schritt auf dem Weg zu einem "geistig und körperlich gesunden Volk" [89,90].
Heinrich stellte 1937
der von ihm favorisierten biologischen Richtung in der Heilkunde eine "chemische Richtung in der Heilkunde" gegenüber, die man allein schon deshalb verwerfen müsse, da sie jüdisch sei. Habe sich doch ein "ausgezeichneter Kenner der jüdischen Mentalität" dazu wie folgt geäußert:
"Die bloß chemische Richtung in der Heilkunde - das ist Judentum". Dieser Hinweis müsse eigentlich genügen, um den von ihm vertretenen Vorstellungen zum Durchbruch zu verhelfen: "Muß ich mit noch gröberem Geschütz meine Meinung verteidigen?" [52].
1939 ließ Klußmann in seinem Buch
"Der Gebißverfall als Ausdruck einer unorganischen Lebensordnung" seinen antisemitischen Vorstellungen wiederum freien Lauf. Er stellte "den Juden" als Ausgeburt des Bösen schlechthin dar. Die rigorose Ausmerzung jeglichen jüdischen Einflusses bezeichnete er - auch
aus zahnmedizinischer Sicht - als "bitterste Notwehr" des deutschen Volkes, denn nur so könne einer unorganischen Lebensweise und Weltanschauung entgegengewirkt werden. Durch diese Argumentation versuchte er, einen
Zusammenhang zwischen jüdischem Einfluss und Gebiss-Schäden herzustellen [81]. Dieses von einem radikalen Antisemitismus und Rassismus geprägte Buch hinterließ offenbar auch bei Euler, dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK), einen tiefgreifenden Eindruck. Euler ließ diesem "viel beachteten" Buch unter Hinzufügung des Untertitels "Eine ernste und dennoch optimistische Betrachtung über die Zivilisationskrankheiten in ihrem Zusammenhang"
sogar in seinen späteren Lebenserinnerungen eine besondere Würdigung zuteil werden [16].
Steiner behauptete 1941 in einem Beitrag über Ernährung und Zahngesundheit, dass die
vollwertige Ernährung des deutschen Volkes vor der Machtergreifung des Nationalsozialismus
aufgrund jüdischer Einflüsse verhindert worden wäre. Dabei habe sich besonders "der Jude an der Börse" auf Kosten der arbeitenden deutschen Bevölkerung bereichert [144].
1942 vertrat Haase die Ansicht, dass die
biologischen Heilmethoden vor 1933 nur deshalb nicht hätten zum Zuge kommen können, weil sie
in der vornationalsozialistischen Staatsmedizin in Folge der "zunehmenden Verjudung" vernachlässigt worden seien [29].
Krieg und "Neue deutsche Zahnheilkunde"Die in nationalistischen Kreisen bereits vor 1933 geprägte Formel vom
"Krieg als dem einzigen Heilmittel für das deutschen Volk" wurde
von Verfechtern einer alternativ-ganzheitlichen Zahnheilkunde während der Zeit des Zweiten Weltkriegs
weiter ausgebaut.
So wies Gertrud Beuche 1941 auf enge
Zusammenhänge zwischen Krieg und biologischer Heilkunde hin:
"und wie der Arzt ein Fieber, eine Krankheit oft als reinigend und heilsam hinnehmen muß, so erscheint der Krieg im Leben der Völker ein biologisch notwendig gewordenes Gewitter" [6].
Im gleichen Jahr griff Wilhelm Keßler das bekannte Schlagwort von "Adolf Hitler als dem Arzt des deutschen Volkes" auch im Zusammenhang mit
ganzheitlich-zahnärztlichen Fragestellungen auf. Begriffe wie
"Heilen" oder
"Heil" wurden
im Sinne von Ganzheitlichkeit und Totalität fest mit dem den Krieg rechtfertigenden NS-Vokabular verbunden [72,73,74]. Klußmann hob 1943 wiederum den
Krieg als eine zur Ordnung der Natur gehörende natürliche Lebenserscheinung hervor, die auch dem Gebissverfall des deutschen Volkes entgegenwirke [82].
Moralische Wertung von Gesundsein und KrankseinDa
Zahnschäden weitgehend vermeidbar seien, forderten die Vertreter der biologischen Zahnmedizin eine Stärkung der Selbst- und Eigenverantwortung, notfalls durch Sanktionen und Zwangsmaßnahmen.
Die Einführung des
Selbstverschuldungsprinzips bei der Entstehung oraler Krankheiten mit einer entsprechenden Differenzierung in verantwortungsvolle und verantwortungslose Volksgenossen wurde von
Vertretern der "Neuen deutschen Zahnheilkunde" mehrfach ins Spiel gebracht.
Die
moralische Wertung von Gesundsein und Kranksein bezog sich dabei vornehmlich auf zwei Aspekte:
-
Betonung der Eigen- beziehungsweise Selbstverantwortlichkeit (Gesundheitspflicht)-
Sanktionen beim Auftreten selbstverschuldeter, vermeidbarer KrankheitenDie bereits
1933 geforderte Gesundheitspflicht, die
notfalls durch Zwangsmaßnahmen in nationalen Verbänden und Arbeitslagern realisiert werden sollte, sah
auch Konsequenzen für diejenigen vor,
die ihre Eigenverantwortung zur Erhaltung der oralen Gesundheit nicht wahrnehmen konnten oder wollten. So wurde die Empfehlung ausgesprochen, dass bei "verantwortungslosen Menschen" künftig in der Regel nur noch eine
Minimaltherapie in Form von Zahnextraktionen, ohne Rücksicht auf ästhetische Belange, durchzuführen sei [63].
Hans Fuchs entwickelte 1936 ebenfalls eine
moralische Wertung oraler Erkrankungen, wobei er sich auf
Parodontopathien bezog, die vor allem minderwertige Volksgenossen befalle: "Solche
Menschen haben in der Regel einen weichen, oft an Feigheit grenzenden Charakter; jedenfalls sind sie
nicht der Typ des heroischen Menschen" [26]. Andere Autoren charakterisierten
Menschen mit ausgeprägten Parodontopathien in diesem Zusammenhang wie folgt: "Immer handelt es sich um
Menschen, die mit ihrer personalen Erscheinung aus ihrer Umgebung andersgerichtet hervortreten; um labile Naturen, häufig ausgesprochen neurotisch, kinderlos in der Ehe, disharmonisch in ihrer Lebensauffassung und Daseinsführung" [18].
Steiner dehnte die
moralische Dimension von Gesundheit und Krankheit auch auf die Zahnärzte selbst in ihrer Funktion "als Gesundheitsführer" aus. Für einen Zahnarzt war es Steiner zufolge nicht damit getan, gewissenhafte Arbeit zu leisten, vielmehr müsse er
durch eigenes positives Vorbild die "Gesundheit des Ganzen" über die "Krankheitsgeschehen in ihren Teilen" stellen. "Die Zahnheilkunde von gestern ist nur noch in den Gehirnen der Trägen, Interesselosen, die im alten Schlendrian weitervegetieren und nicht sehen wollen, daß eine neue Weltanschauung neue Menschen braucht und neue Pflichten bringt, die kompromißlos erfüllt werden müssen." Die
"Gesundheit des Ganzen" sei aber wiederum
"grundlegend abhängig von ihrer naturgemäßen Pflege". "
Schlemmer, Nachtschwärmer, Genußsüchtige, Verweichlichte, Stubenhocker und solche, die sich im bräunenden Sonnenbad ihre Gesundheit erfaulenzen wollen"
gingen am eigentlichen Sinn der vorbeugenden Hygiene vorbei oder ignorierten sie überhaupt [142].
Joachim Kämmerer (1940) betrachtete eine
naturgemäße Ernährung auch
aus gesamtstaatlicher Sicht als Verpflichtung für jeden deutschen Volksgenossen. Unter Berufung auf den
Ernährungsbeauftragen des Reichsärzteführers, Franz Gerhard Maria Wirz, stellte er zum Beispiel fest: "So bedeutet
dauerndes unmäßiges Essen nicht nur eine Schädigung der eigenen Gesundheit, sondern ebenso zwangsläufig eine Art Landesverrat" [70].
Klußmann vertrat 1943 die Auffassung, dass man
eine einfache, naturgemäße Lebensführung zur Erhaltung der Gebissgesundheit durch die Gesetzgebung unterstützen müsse. Da
Gebiss-Schäden als Folge einer unorganischen Lebensweise zu sehen seien, bei der "
eigensüchtige Triebe die Oberhand gewinnen", müsse die "
Hygiene im weitesten Sinne, auch in geistig-seelischer Hinsicht" gefördert werden. Zur Sicherstellung einer
Fernhaltung von Schäden forderte er unter anderem eine "
gesunde Strafgesetzgebung" [82].
Keiner der zitierten Autoren konnte allerdings schlüssige Nachweise liefern, ob es
durch eine moralische Wertung von Gesund- und Kranksein tatsächlich gelang, das Verhalten zu verändern oder durch Sanktionen eine gesundheitsfördernde beziehungsweise krankheitsabwehrende Lebensweise zu realisieren.
Andererseits
vertraten Verfechter der "Neuen deutschen Zahnheilkunde" die Auffassung, dass man
orale Krankheiten auch als besonderen, schicksalhaften Weg zur Heilwerdung sehen könne. Über das von der
Vorsehung vermittelte Kranksein könne
aus Sicht der Totalität eine höhere Stufe der Selbsterkenntnis gewonnen werden.
So diskutierte Steiner 1935 die
Vorstellung von oralen Krankheiten als einen besonderen Weg der Reifung und stellte in diesem Zusammenhang die Frage, inwieweit "
Parodontose als Krankheit ein positiver Vorgang des Lebens ist" [131]. 1936 führte er diesen Gedanken weiter und verwies darauf,
dass Krankheit aus biologischer Sicht einen positiven Beitrag zur Heilwerdung leiste (
Krankheitsvorgang als Heilungsvorgang): "Die
biologisch eingestellte Klinik und der biologisch denkende Praktiker kennt jedoch keinen Krankheitsvorgang, der - noch so unbedeutend von Ansehen –
uns nicht steuernde und heilende Kräfte sehen ließe, die alle ihre Quelle im gesamtorganismischen Lebensgeschehen haben." Der
Zahnarzt als Führer, Erzieher und Heiler könne
orale Erkrankungen in positiver Weise dazu nutzen, die Eigenverantwortung des Patienten zu steigern.
Durch
biologisch-naturheilkundliche Vorgehensweisen könnten nämlich das
Verantwortungsbewusstsein und der "ehrliche Gesundungswille" eines Kranken gefördert werden. So könne etwa
durch eine maximale Einschränkung symptomatischer Schmerz- und Schlafmittel bei kranken Patienten ein pädagogischer Effekt im Kampf gegen die "Flucht in die Krankheit" erzielt werden [134].
"Gesundheitspflicht" als KostendämpferBereits 1933 wurde ein Abbau von Fürsorgemaßnahmen gefordert, da diese "
den Kampf um das eigene Gesundsein, den Gesundheitstrotz schwächen" [63].
Durch eine Stärkung der Gesundheitspflicht mit entsprechender Krankenvorsorge komme es zur Kostensenkung. Mit geringsten Mitteln am Individuum müsse die größte Wirkung für das Volksganze erreicht werden. Volksverbundenes Denken spare Volksvermögen [63]. Die nationalsozialistische Berufsauslese unter bereits praktizierenden Kollegen führe zu einer "selbstlosen Opferwilligkeit bis zum äußersten" [129]. Konkret umfasste der
Versuch einer Kostendämpfung folgende drei Aspekte:
1.
Einschränkung kostspieliger Behandlungsmaßnahmen von "Verantwortungslosen", lediglich Durchführung günstiger Minimaltherapien in Form von Zahnextraktionen (siehe oben) [63].
2.
Wegfall kostspieliger Behandlungsmaßnahmen durch Kranheitsvorbeugung infolge Vermehrung der Eigenverantwortung bis hin zur Gesundheitspflicht.Über einen Rückgang oraler Erkrankungen hinaus erwartete man von dieser Maßnahme auch wehrpolitisch günstige Effekte. So versprach sich Neuhäußer 1938 von einer
ganzheitlichen Prophylaxe besonders eine Erhöhung der Wehrtauglichkeit: "Einmal wird sie dann bei der Musterung dieser Jahrgänge in einer starken Wehrfähigkeit zur Geltung kommen, und es ist nicht gleichgültig, ob die deutsche Armee eine Anzahl Regimenter mehr oder weniger aufstellen kann. Denn nur ein körperlich und geistig gesundes Volk ist unbesiegbar und ewig" [91]. Ähnliche Argumente wurden auch von Euler mehrfach vorgetragen [13, 14]. Für die
Förderung der biologischen Zahnheilkunde mit einer daraus sich ergebenden natürlicheren Lebensweise machte Neuhäußer auch finanzielle Argumente geltend: "Für den einzelnen Volksgenossen bedeutet Gesundheit Glück, für die Gemeinschaft aber Bestand und darüber hinaus die Einsparung von Milliarden Volksvermögen" [91]. Steiner hob hervor, dass "
ärztliche Gesundheitsführer" durch naturheilerische Maßnahmen ihre Patienten dazu verpflichten könnten, im Sinne der nationalsozialistischen Denkweise
Eigenverantwortung für die Heilung mitzuübernehmen [140].
3.
Vermehrte Anwendung von "einfachen" und damit kostengünstigen Naturheilmaßnahmen. An eine
naturgemäße Ausrichtung der Zahnmedizin wurden vornehmlich folgende Anforderungen gestellt: Zum einen sollte sie auf den
ganzen Menschen zielen, zum anderen aber sollte sie
auch "einfach" und damit kostengünstig sein [78]. Nicht nur
spezielle Naturheilmaßnahmen selbst, sondern die ganze deutsche Lebensführung einschließlich der Ernährung sollten einer "einfachen" Ausrichtung folgen. In seinen Ernährungsempfehlungen zielte Neuhäußer deshalb besonders auch auf die "einfache" Nahrung durch Erzeugnisse deutschen Bodens ab [91].
Metaphysische AusrichtungDie
Forderungen nach einer metaphysischen Ausrichtung der Zahnmedizin und einer Abwehr "exakter" Wissenschaft ziehen sich wie ein roter Faden durch nahezu alle Publikationen von Vertretern der "Neuen deutschen Zahnheilkunde".
Bereits 1933 wurde die Beseitigung der
Vorrangstellung des Verstandes gegenüber dem blutgebundenen und arteigenen Gefühl gefordert.
"Blut" und "Wille" müssten sich
gegenüber "Verstand" und "Objektivität" konsequent durchsetzen [75]. Ein
besonderes Anliegen war auch die Hervorhebung okkultistischer und kosmischer Einflüsse durch die "Vorsehung".
Ende der freien DiskussionKlußmann
forderte die Einführung einer politischen Zensur für wissenschaftliche Publikationen. Er vertrat die Auffassung,
dass man selbst wissenschaftlich sehr hochrangige Arbeiten künftig nicht mehr publizieren dürfe, wenn sie "nicht von deutschem Empfinden getragen" seien oder gar "zersetzende Ideen" enthielten [75]. Die Leitung von Fachzeitschriften müsse unter Beachtung der nationalsozialistischen
Ideologie im Sinne "gesunder" Wissenschaftlichkeit vorgenommen werden. Er zielte dabei offenbar besonders auf die
Ausschaltung jüdischer Wissenschaftler ab [81].
Steiner würdigte 1936,
dass die vor 1933 mögliche Kritik an umstrittenen alternativmedizinischen Vorstellungen inzwischen verstummt sei: "
Solchen gehässigen Überheblichkeiten dürfte heute die Spitze ein für allemal abgebrochen sein, weil sie schon weltanschaulich durchaus nicht tragbar sind. Die
Einheitsbestrebungen in der Heilkunde verlangen willige und objektive Einsicht von allen Seiten" [134].
Eine im Jahr 1936 in den Zahnärztlichen Mitteilungen vorgetragene
kritische Äußerung Eugen Wannenmachers
zu alternativ-ganzheitlichen Vorstellungen [159,160]
wies Heinrich vor allem
mit der Begründung zurück, dass derartige Kritik im Gegensatz zur "von autorativer Seite" festgelegten ideologischen Linie stehe [50]. Der Chefredakteur der Zahnärztlichen Mitteilungen beeilte sich daraufhin festzustellen, dass alle Beteiligten für eine
"Neue deutsche Zahnheilkunde" kämpfen würden [127].
1936 wurde in der Deutschen Zahnärztlichen Wochenschrift
eine kritische Äußerung zu homöopathischen Behandlungen abgedruckt [5]. Der angesprochene Autor erwiderte darauf in einer Replik, dass auch im "neuen Staat" die "Berufsgestaltung von Unerfahrenen" gehemmt werde.
Die Homöopathie sei jedoch in der Zwischenzeit nicht mehr die persönliche Sache einzelner Homöopathen, sondern eine Angelegenheit des gesamten Zahnärztestandes geworden. Ein Urteil darüber sei nur im Rahmen eines Binnenkonsenses der praktischen Anwender möglich. Er verbat sich jegliche Kritik an naturheilkundlichen und homöopathischen Behandlungen durch Außenstehende, denen eine Bewertung solcher Verfahren nicht zustehe [3,4].
Weitere Äußerungen mit zurückhaltend vorgetragener Kritik an derartigen Verfahren [122,123]
wurden mit dem Hinweis einer bewusst metaphysischen Ausrichtung der Alternativmedizin zurückgewiesen [64,86].
Prof. Dr. Dr. Hans Jörg Staehle
Poliklinik für Zahnerhaltungskunde der
Mund-, Zahn- und Kieferklinik des
Universitätsklinikums Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg
Dr. Bettina Wündrich
Heinbuckel 8, 69257 Wiesenbach
Prof. Dr. Wolfgang U. Eckart
Institut für Geschichte der Medizin der
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 327
69120 Heidelberg
zm 18/2004, Seite 106
[...]
--------------------------------------------------------------------------
[*/Zitatende*]
Quelle:
http://www.zm-online.de/zm/18_04/pages2/hist1.htmAus: zm 19/2004, Seite 116.
Teil 2:[*Zitatanfang*]
--------------------------------------------------------------------------
[...]
"Neue deutsche Zahnheilkunde" - Teil 2Alternative Zahnmedizin im NationalsozialismusHans Jörg Staehle, Bettina Wündrich, Wolfgang U. Eckart
In diesem Teil werden die Institutionen und Repräsentanten der "Neuen deutschen Zahnheilkunde", einem Zusammenschluss von NS-Ideologie und alternativmedizinisch-ganzheitlichen Vorstellungen, vorgestellt. Ihre Wortführer distanzierten sich nie von ihren während der NS-Diktatur verbreiteten Positionen. Einer medizinhistorischen Aufarbeitung wurde bislang mit dem Argument begegnet, dies könne als Verunglimpfung des heute in der Bevölkerung wieder vermehrt Beachtung findenden alternativmedizinischen Gedankenguts interpretiert werden.Institutionen der "Neuen deutschen Zahnheilkunde"Die in Teil 1 aufgeführten Vorstellungen wurden erstmals im Jahr 1936 unter dem
Begriff der "Neuen deutschen Zahnheilkunde" durch Rudolf Schöbel subsumiert [125].
Später wurde diese Bezeichnung regelmäßig von den damaligen Wortführern einer alternativ-ganzheitlichen Zahnheilkunde verwendet. Es ist naheliegend, anzunehmen, dass sie in Anlehnung an die Reichsarbeitsgemeinschaft für eine "
Neue deutsche Heilkunde" erfolgte, die 1935 gegründet worden war.
Über die erste Reichstagung der Arbeitsgemeinschaft für eine
"Neue deutsche Heilkunde", bei der auch Erich Heinrich mit einem Vortrag über
"Aufgaben und Ziele einer biologischen Zahnheilkunde" zu Wort gekommen war, war in der Zahnärztlichen Rundschau ausführlich berichtet worden [113]. Institutionell wurde die
"Neue deutsche Zahnheilkunde" zunächst in der "Zahnärztlichen Arbeitsgemeinschaft des Reichsverbandes der Naturärzte" verankert. Ab
1938 wurde sie durch
Gründung der "zahnärztlichen Arbeitsgemeinschaft für medizinisch-biologische Heilweisen" in die DGZMK unter der Präsidentschaft von Hermann Euler integriert. Die Aufgaben wurden in ihrer Geschäftsordnung dabei wie folgt definiert: "Die Arbeitsgemeinschaft setzt sich das
Ziel, die neue deutsche Heilkunde dem Zahnarzt für seinen Wirkungskreis näherzubringen" [114, 115, 116].
Durch die Aufnahme als gleichberechtigte Arbeitsgemeinschaft in die angesehenste deutsche wissenschaftliche Fachgesellschaft erhielten die Vertreter der alternativ-ganzheitlichen Zahnheilkunde eine ungewöhnlich starke Aufwertung. Dies ist auch an der Mitgliederzahl abzulesen. Während die
Zahnärztliche Arbeitsgemeinschaft des Reichsverbandes der Naturärzte im Jahr 1936 lediglich etwa 100 Mitglieder hatte [156], konnte die
zahnärztliche Arbeitsgemeinschaft für medizinisch-biologische Heilweisen im Jahr 1940 bereits etwa 400 bis 500 Mitglieder vorweisen [38].
Obwohl
die Geschäftsordnung der Zahnärztlichen Arbeitsgemeinschaft die wissenschaftliche Erschließung von Naturheilmethoden, Homöopathie und Biochemie, Konstitutionstherapie und Kräutertherapie forderte [114], wurde die Zeit offenbar nicht genutzt, entsprechende Projekte zu realisieren.
Vielmehr sahen ihre Repräsentanten ihre Aufgabe darin, die engen Verflechtungen zwischen der nationalsozialistischen Ideologie und der alternativen Zahnheilkunde zu thematisieren.Repräsentanten der "Neuen deutschen Zahnheilkunde"Die bekanntesten Repräsentanten der "Neuen deutschen Zahnheilkunde" waren die Nationalsozialisten Erich Heinrich, Walther Klußmann, Paul Neuhäußer und Otto Steiner.
Erich HeinrichZu den wichtigsten Arbeiten Heinrichs (NSDAP-Mitgliedsnummer: 1963981) [61] zählen unter anderem der 1933 erschienene Artikel "Die Erziehung des Zahnarztes zum Nationalsozialismus" [44] und das 1935 verfasste Buch "
Biologische Therapie in der Zahnheilkunde"
mit dem Untertitel: Konstitutionstherapie, Homöopathie, Biochemie, Anthroposophische Medizin, Naturheilkunde und Psychotherapie (1937 in zweiter Auflage erschienen) [45, 52].
Heinrich war von 1933 bis 1945 Hauptschriftleiter der Zahnärztlichen Rundschau und wurde 1937 zum Ehrenmitglied der DGZMK ernannt. Von 1936 bis 1938 war er Vorsitzender der
Zahnärztlichen Arbeitsgemeinschaft im Reichsverband der Naturärzte Deutschlands. Er war
einer der aktivsten Wortführer einer "Neuen deutschen Zahnheilkunde" während der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur. Sein
Hauptanliegen war die Verbindung von alternativ-ganzheitlichen Vorstellungen mit der Ideologie des Nationalsozialismus.
Nach 1945 wurde er wieder Chefredakteur der Zahnärztlichen Rundschau und publizierte zahlreiche Artikel und Bücher [54-60]. 1971 erhielt er die Hermann-Euler-Medaille [119].
Er wurde als großes Vorbild und einer der "verdienstvollsten" Vorkämpfer für alternative Heilweisen in der Zahnmedizin bezeichnet [38, 68, 118, 120, 121].
Walther KlußmannDie wichtigsten Arbeiten von Klußmann (NSDAP-Mitgliedsnummer: 3188996) [83] waren unter anderem das 1939 verfasste Buch "
Der Gebißverfall als Ausdruck einer unorganischen Lebensordnung" [81] und der 1943 erschienene Beitrag "
Der Gebißverfall im Lichte der Biologie" [82]. Klußmann zählte
zu den radikalsten Verfechtern der "Neuen deutschen Zahnheilkunde". Seine Vorschläge zur Verbesserung der Mundgesundheit der deutschen Bevölkerung reichten von der völligen Ausmerzung jüdischen Einflusses bis hin zum Krieg.
Kriege waren nach seiner Einschätzung
als zur Ordnung der Natur gehörende natürliche Lebenserscheinungen anzusehen. Der
Krieg war Klußmann zufolge allein schon deshalb notwendig,
um dem Gebissverfall des deutschen Volkes entgegenzuwirken. Klußmann verlor im zweiten Weltkrieg zwei Söhne.
Nach 1945 publizierte er noch zahlreiche Artikel und Bücher. Er wurde 1963 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet.
Bis heute zählt er zu den wichtigsten Wegbereitern der alternativ-ganzheitlichen Zahnheilkunde [9, 38, 68].
Paul NeuhäußerDie wichtigsten Arbeiten Neuhäußers (NSDAP-Mitgliedsnummer: 71057) [112] waren unter anderem der 1936 publizierte Aufsatz "
Jungzahnarzt und Praxis, Psychologie und Biologie als Bestandteil der Zahnheilkunde" [88], der 1937 verfasste Artikel "Der Zahnarzt, sein ärztliches Denken und Wirken" [90] und die 1939 erschienene Arbeit "
Die Ganzheitsbetrachtung in der Karies- und Parodontoseprophylaxe" [94]. Neuhäußer tat sich unter anderem dadurch hervor, dass er die Nürnberger Gesetze, das Gesetz zur Verhütung des erbkranken Nachwuchses, aber auch die Siedlungspolitik des nationalsozialistischen Staates als essentielle Grundlagen für das Denken und Wirken deutscher Zahnärzte bezeichnete. Seine Aufgaben lagen - vermutlich aufgrund seines jugendlichen Alters - unter anderem in der Rekrutierung von zahnärztlichem Nachwuchs im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie. 1937 wurde er Gauvertrauensmann von Bayern. Von
1938 bis 1945 war er Leiter der Zahnärztlichen Arbeitsgemeinschaft für medizinisch-biologische Heilweisen in der DGZMK. Schon bald
nach 1945 sammelte er die ehemaligen nationalsozialistischen Mitstreiter für eine alternativ-ganzheitliche Zahnheilkunde um sich. Er war
lange Jahre erster Vorsitzender der von ihm in der Nachkriegszeit neu gegründeten Medizinisch-Biologischen Arbeits- und Fortbildungsgemeinschaft Deutscher Zahnärzte. In dieser Funktion publizierte er zahlreiche Artikel und Aufrufe [96-111]. Gleichzeitig
organisierte er nach dem Vorbild der nationalsozialistischen Ärzteführerschule in Alt-Rhese zahlreiche Zahnärztetreffen. Es handelte sich bei dieser Führerschule um eine Kaderschmiede, die nationalsozialistische Gesundheitsfunktionäre und vor allem Jungärzte zu fanatischen Nationalsozialisten im Sinne einer nationalsozialistischen Ärzteelite erziehen sollte [42]. Er erhielt in den 70er Jahren viele Ehrungen, unter anderem die Ehrennadel der Deutschen Zahnärzteschaft.
Seine Aktivitäten gelten bis heute als Vorbild für die Durchsetzung alternativ-ganzheitlicher Vorstellungen in der Zahnmedizin [8, 37, 38, 39, 40, 68, 150, 155].
Otto SteinerDie wichtigsten Arbeiten Steiners (NSDAP-Mitgliedsnummer: 2877114) [151] waren unter anderem der 1933 erschienene Artikel "Gesundheitsstatistik, Sozial-Hygiene,
Konstitutionslehre, Erbbiologie, Rassenforschung und die deutsche Zahnärzteschaft" [129], die 1937 publizierte Arbeit "
Grenzen der exakt-wissenschaftlichen Medizin und der biologischen Medizin" [136] sowie sein 1938 publiziertes und mit dem Adolph-Witzel-Preis ausgezeichnetes Buch "
Wegweiser für eine neue Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Ganzheitsbehandlung" [140]. Steiner war ein glühender Verfechter der nationalsozialistischen Weltanschauung und
bemühte sich vor allem, metaphysische Elemente der Alternativmedizin mit der Blut- und Boden-Mythologie des Nationalsozialismus zu verbinden. 1941 wurde Steiner zum
Gausachbearbeiter für eine Vollkornbrotaktion bestellt.
Zur Durchsetzung einer alternativ-ganzheitlichen Zahnheilkunde forderte er unter anderem die gleichzeitige Unterwerfung von Arzt und Patient unter die nationalsozialistische Weltanschauung. Steiner verlor im zweiten Weltkrieg einen Sohn.
Nach 1945 wurde er zweiter Vorsitzender, später Ehrenvorsitzender der Medizinisch-Biologischen Arbeits- und Fortbildungsgemeinschaft deutscher Zahnärzte. Er verfasste zahlreiche Artikel und war auf den zusammen mit Neuhäußer
organisierten Treffen, die im Stile der nationalsozialistischen Ärzteführerschule in Alt-Rhese gestaltet wurden, ein viel beachteter Redner [145-150]. In den 60er Jahren wurde er unter anderem mit dem Hufeland-Preis und mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet.
Seine Arbeiten werden heute als grundlegend für die alternativ-ganzheitliche Zahnheilkunde betrachtet [38, 68, 102, 106, 112].
Die Rolle Hermann Eulers, DGZMK-PräsidentHermann Euler, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK), bekannte sich frühzeitig zum Nationalsozialismus.
Bereits im Juni 1933 schloss er sich zusammen mit anderen zahnmedizinischen Hochschullehrern in einer Art Ergebenheitserklärung den Gleichschaltungsbestrebungen der neuen politischen Machthaber an [36]. Im Oktober 1933 trat Euler dem Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) bei. Es folgten Mitgliedschaften in zahlreichen weiteren nationalsozialistischen Organisationen einschließlich des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes (NSDÄB) und schließlich im Jahr 1937 in der NSDAP (Mitglieds-Nr. 4660341) [17].
In einem 1933 erschienenen wissenschaftlichen Fachartikel (Über den Einfluß der Ernährung auf Kiefer und Zähne)
unterstützte Euler
zum einen die Vorstellungen von Vertretern der "biologischen Zahnheilkunde",
zum anderen sprach er die Erwartung aus, dass im nationalsozialistischen "neuen Deutschland"
die Forderung nach einer auf das Volk zugeschnittenen Ernährung ihre Erfüllung finden werde [10]. In eine ähnliche Richtung zielte ein 1934 von ihm publizierter Artikel,
in dem er die besonderen Verdienste Klußmanns für die "biologische" Denkweise würdigte. Die politische Förderung dieser Richtung durch den Staat unterstrich er unter Zitierung Ernst Lehmanns - einem radikalen Verfechter einer nationalsozialistisch orientierten
"Deutschen Biologie" - dadurch, dass Biologie ohnehin "ein Kernstück der nationalsozialistischen Weltanschauung darstelle" [11].
Die nationalsozialistisch geprägte
"Neue deutsche Zahnheilkunde" erhielt von Euler eine große Förderung. Wenn er auch nie direkt nationalsozialistisches Vokabular (wie etwa "Entartung", "Untermenschen", "Verjudung"), wie es
Vertreter der "Neuen deutschen Zahnheilkunde" regelmäßig gebrauchten, publizierte, so ließ er seine Sympathie mit dem nationalsozialistischen System doch auf indirekte Weise in der zahnärztlichen Öffentlichkeit durchblicken.
So hob er zum Beispiel in seinen Publikationen Veröffentlichungen mit radikalen nationalsozialistischen Positionen (zum Beispiel von Steiner, Klußmann, Neuhäußer und Heinrich) als besonders wertvoll für die Zahnheilkunde hervor, ohne sich allerdings konkret zu einzelnen Aussagen zu äußern [11, 15]. In Eulers Präsidentschaft fällt auch
die 1938 vollzogene Aufnahme der "zahnärztlichen Arbeitsgemeinschaft für medizinisch-biologische Heilweisen" in die DGZMK. Jene war als Nachfolgeorganisation der
"Zahnärztlichen Arbeitsgemeinschaft im Reichsverband der Naturärzte" gegründet worden. Erklärtes Ziel dieser Arbeitsgemeinschaft war es, die
"Neue deutsche Heilkunde dem Zahnarzt für seinen Wirkungskreis näherzubringen" [114]. Euler
wurde sogar
Mitglied dieser Organisation und wertete damit ihre Bedeutung sehr stark auf.
Es gibt
keine Hinweise dafür, dass er diese Entwicklung aufgrund äußeren Drucks vollzog. Noch in seinen Lebenserinnerungen von 1949 betonte er, dass er in allen Fragen der wissenschaftlichen Fachgesellschaft freie Hand gehabt hätte und nie eine politische Einflußnahme betrieben worden sei [16].
Andererseits
sah er
sich zuweilen veranlasst,
ihm nicht vermittelbar erscheinende alternativmedizinische Therapiemethoden oder die zum Rassenwahn gesteigerten Vorstellungen von Vertretern der "Neuen deutschen Zahnheilkunde" zu relativieren. Ein Beispiel ist seine Buchbesprechung eines Werks von Heinrich, in der er Bedenken gegenüber den dort vorgetragenen Inhalten formulierte [12]. Auch seine relativierenden Äußerungen zu einzelnen Auslassungen Klußmanns und anderer Autoren zu Rassenhygiene und Entartung aus dem Jahr 1938 sind in diesem Zusammenhang zu erwähnen [13].
Ob er wiederum 1941 bei dem Besuch der berüchtigten nationalsozialistischen Führerschule der deutschen Ärzteschaft in Alt-Rhese tatsächlich nur die
Vermittlung der "Vollkornbrotfrage" im Sinn hatte, wie er in seinen Lebenserinnerungen 1949 schrieb [16], muss deshalb kritisch hinterfragt werden, weil er noch 1944 auf die dort unter anderem abgehandelten Themen (zum Beispiel "Weltanschauung und Vererbung") selbst hingewiesen hatte [15].
Es ist nicht ganz klar, aus welchem Motiv heraus er in seinen Lebenserinnerungen von
1949 - also vier Jahre nach dem Ende der Hitler-Diktatur - ein Buch Klußmanns, das von radikalem Antisemitismus und Rassismus geprägt war [81],
hervorhob, ohne sich von seinem Inhalt auch nur andeutungsweise zu distanzieren. Im Hinblick darauf, dass spätestens nach 1945 die massenhaften Vertreibungen und Ermordungen von Juden durch die nationalsozialistischen Machthaber der deutschen Bevölkerung bekannt waren, erscheint die Würdigung eines Buches, das die Ausmerzung jüdischen Einflusses forderte - mit dem zynisch anmutenden Untertitel "eine ernste, dennoch optimistische Betrachtung über die Zivilisationskrankheiten in ihrem Zusammenhange" –
unbegreiflich.
Offenbar war aber gerade diese Kontinuität der Positionierung eine wichtige Grundlage für die Fortsetzung seiner Karriere. In einer Beschreibung der Geschichte der DGZMK wies Dominik Groß darauf hin, dass Euler 1949 wieder zum vorläufigen Präsidenten der DGZMK gewählt wurde. Seine Wiederwahl wurde damals wie folgt kommentiert: "Hauptsache und eine wahrhafte Genugtuung für seine zahlreichen, unentwegten Anhänger und aufrichtigen Freunde war, daß Prof. Euler wieder das Zepter führen wird..." [27]. Groß vermerkte, dass Euler weder während noch nach der nationalsozialistischen Ära schwerwiegende Differenzen mit der nationalsozialistischen Führung erkennen ließ. Dies stehe auch im Einklang mit dem Umstand, dass er sich nach dem Zweiten Weltkrieg zu keinem Zeitpunkt von den Vorgängen im Hitler-Deutschland distanzierte [27].
Therapien der "Neuen deutschen Zahnheilkunde"Vertreter der "Neuen deutschen Zahnheilkunde" erhoben in zahlreichen Fachartikeln allgemeine und konkrete Forderungen zur Vorbeugung und Behandlung von Erkrankungen auf praktisch dem gesamten Gebiet der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (zum Beispiel Karies, parodontale und endodontische Erkrankungen, Neuralgien, traumatische und funktionelle Schäden).
Besonderes Augenmerk richteten sie dabei auf parodontale Erkrankungen, die sie mit zahlreichen Entgiftungs- und Ausleitungsmaßnahmen unter Einbeziehung von Blasenpflastern, Brechmitteln, Dampfbädern, Darmausleitungen, Eigenblutbehandlungen, Fußbädern, homöopathischen Interventionen, speziellen Diäten und vielem mehr zu behandeln trachteten.Sie führten aber keine wissenschaftlichen Studien über die Effekte der von ihren favorisierten Maßnahmen durch. Der nahezu
einzige Ansatz, die Wirkungen alternativmedizinischer Verfahren zu überprüfen, waren die Arbeiten von Frenzel und Hannemann [18-25].
Sie wollten die Wirkung von "Aufartungsmitteln", die sie in homöopathischen Dosen verabreichten, auf die Kariesprophylaxe an Heimkindern erproben. Das dafür untersuchte Zahnmaterial gewannen sie unter anderem durch das schmerzhafte Herausmeißeln von Höckern gesunder bleibender Zähne, wobei sie zwischen "normalen" Kindern und "Elendskindern" unterschieden. Dieses
Vorgehen wurde allerdings
von Rudolf Wohinz 1941 als wissenschaftlich "völlig wertlos" kritisiert [161].
Die Autoren wiesen diese Kritik mit dem Hinweis zurück, dass Wohinz den tieferen Sinn ihres "biologischen Weges" gar nicht verstanden habe [25].
Dass derartige Versuche auch unter ethischen Aspekten äußerst bedenklich waren, wurde zu keinem Zeitpunkt - weder vor noch nach 1945 – thematisiert.Einflüsse der "Neuen deutschen Zahnheilkunde"Die Vorstellungen der
Vertreter der "Neuen deutschen Zahnheilkunde" waren von starken Widersprüchen geprägt:
- Zum einen wurde ein hoher
Anspruch auf eine allumfassende, ganzheitliche Lehre (Totalität) erhoben, zum anderen offenbarten die Konzepte jedoch oftmals
eine sehr einseitige und intolerante Sichtweise.
Eine offene Diskussion wurde durch die Forderung nach Aufhebung der Meinungsfreiheit - auch im wissenschaftlichen Bereich - nachhaltig unterdrückt. Kritische Stimmen gegen alternativ-ganzheitliche Aktivitäten wurden als Abweichung von der Ideologie des Nationalsozialismus gebrandmarkt.- Ziel der
"Neuen deutschen Zahnheilkunde" war einerseits die Durchdringung des deutschen Zahnarztes mit höchsten ethischen Werten. Andererseits ließen die
Vorstellungen vom Selbstverschuldungsprinzip oraler Krankheiten und vor allem
die rassistischen und antisemitischen Auswüchse,
die unter anderem
auf eine totale Ausmerzung des Judentums abzielten, die Haltung dieser Richtung als fragwürdig erscheinen.
-
Während auf der einen Seite die moralisierende Wertung von Gesund- und Kranksein zu der Forderung nach höherer Eigenverantwortung des deutschen Volksgenossen bis hin zur Gesundheitspflicht führte, wurde auf der anderen Seite Krankheit als besonderer, von der Vorsehung aufgezeigter Weg zur Heilwerdung betrachtet.- Gelegentlich war von einer
Zusammenführung schulischer- und außerschulischer Methoden durch die "Neue deutsche Zahnheilkunde" die Rede [41].
Dann wurde wiederum die Unvereinbarkeit von "allopathischer" und "naturheilerischer" Sichtweise hervorgehoben [48,50].
- Durch die
offizielle Aufnahme der zahnärztlichen Arbeitsgemeinschaft für medizinisch-biologische Heilweisen in die DGZMK wurde eine wissenschaftliche Überprüfung alternativ-ganzheitlicher Vorstellungen in Aussicht gestellt.
Gleichzeitig wurde von den Vertretern der "Neuen Deutschen Zahnheilkunde" die metaphysische Ausrichtung der Medizin favorisiert und eine "exakte" Wissenschaft abgelehnt.Es gibt keine Hinweise dafür, dass die Vorstellungen der
Vertreter der "Neuen deutschen Zahnheilkunde" in nennenswertem Umfang auf wissenschaftliche Fragestellungen oder den Berufsalltag des Zahnarztes Einfluss nahmen.
Unter massiver Propaganda mit regelmäßigen Artikeln und Aufrufen in der Standespresse hatte die
zahnärztliche Arbeitsgemeinschaft für medizinisch-biologische Heilweisen in der DGZMK auf ihrem Höhepunkt im Jahr 1940 etwa 400 bis 500 Mitglieder [38]. Der
harte Kern, der die Denkansätze nach außen trug, dürfte sich jedoch aus einer deutlich kleineren Gruppe zusammengesetzt haben. Damit ergeben sich
Parallelen zur Entwicklung der "Neuen deutschen Heilkunde",
die ebenfalls - zumindest im späteren Verlauf der nationalsozialistischen Diktatur –
kaum größeren Einfluss erlangte [7].
Auch
nach 1945 war der Einfluss der Nachfolgeorganisationen auf die zahnmedizinische Berufsausübung trotz vielfältiger Aktivitäten und regelmäßiger Berichte in den Standesnachrichten nur gering.
Die Tatsache, dass die
Wortführer der "Neuen deutschen Zahnheilkunde" weiter Karriere machen konnten und
zu geachteten Persönlichkeiten der jungen Bundesrepublik wurden, dürfte weniger in ihrer fachlichen Qualifikation als vielmehr in der stillschweigend zur Kenntnis genommenen
Kontinuität ideologischer Überzeugungen zu suchen sein. Unterstützt wird diese Einschätzung dadurch, dass sie sich
zu keinem Zeitpunkt von ihren zwischen 1933 und 1945 vorgetragenen medizinischen und politischen Vorstellungen distanzierten. Sie drückten auch niemals den Opfern der von ihnen unterstützten nationalsozialistischen Politik ihr Bedauern oder gar ihre Betroffenheit aus. Im Gegenteil:
Sie beriefen sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs mehrfach auf ihr in den 30er Jahren publiziertes Gedankengut, das sie freimütig als grundlegend und wegweisend für die Alternativmedizin bezeichneten [9, 68, 104, 110].
Etliche Vorstellungen der "Neuen deutschen Zahnheilkunde" erfahren zurzeit sogar eine gewisse Renaissance, auch wenn sie sich in anderer Aufmachung präsentieren. Dies dürfte unter anderem auch damit zusammenhängen, dass bis heute nahezu keine Literatur über die Beziehungen der alternativen Zahnheilkunde zur nationalsozialistischen Ideologie bekannt geworden ist. Protagonisten der Alternativmedizin halten derartige Hinweise nicht für angebracht [28,62].
Versuchen einer medizinhistorischen Aufarbeitung wird dabei mit dem Argument begegnet, dies würde einer Denunziation alternativ-ganzheitlichen Gedankenguts, das zurzeit in der Bevölkerung eine wesentlich größere Beachtung als in den vergangenen Jahrzehnten findet, gleichkommen.Prof. Dr. Dr. Hans Jörg Staehle
Poliklinik für Zahnerhaltungskunde der
Mund-, Zahn- und Kieferklinik des Universitätsklinikums Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg
Dr. Bettina Wündrich
Heinbuckel 8, 69257 Wiesenbach
Prof. Dr. Wolfgang U. Eckart
Institut für Geschichte der Medizin der
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 327, 69120 Heidelberg
zm 19/2004, Seite 116
[...]
--------------------------------------------------------------------------
[*/Zitatende*]
Quelle:
http://www.zm-online.de/zm/19_04/pages2/hist1.htmMehr zu den geschichtlichen...
==>
HINTERGRÜNDEN DER ALTERNATIVMEDIZIN.(
http://home.arcor.de/paralex/content/geschichte.htm)
Zur Erinnerung: ==>
WEHRHAFTE ZAHN-MEDIZIN.(
http://www.transgallaxys.com/ama/ama_wehr.htm)
.