Aus dem Giftschrank eine Erinnerung an die Selbstversorger
"Politik --> Wirtschaft"Vor 7 1/2 Jahren erschienen: die Drehtürstudie von Lobby-Control.
http://www.lobbycontrol.de/download/drehtuer-studie.pdf[*quote*]
kurzstudie - 15. November 2007
Heidi Klein und Tillmann Höntzsch
Fliegende Wechsel – die Drehtür kreist
Zwei Jahre danach – Was macht die Ex-Regierung Schröder II heute?
Vor fast zwei Jahren – am Dienstag den 22. November 2005 – wurde Angela
Merkel als neue Bundeskanzlerin vereidigt. Genau einen Tag später kündigte Ex-
Kanzler Schröder an, sein Bundestagsmandat niederzulegen. Und wiederum
einen Tag später konnten die Bürgerinnen und Bürger in einem Interview mit
dem Verleger Ringier erfahren, dass Schröder ab 1. Januar für die Verlagsgrup-
pe Ringier AG als Berater arbeiten wird. Ganz offen ließ Ringier darin verlauten,
dass Schröder als „Türöffner“ geholt worden sei. Als kurz darauf der Wechsel
des Altbundeskanzlers an die Spitze des Aufsichtrates der deusch-russichen Ge-
sellschaft für Bau und Betrieb der Ostsee-Gaspipeline (NEGP, heute Nord Stream
AG, einem Beteiligungsunternehmen von Gasprom, BASF und E.on) bekannt
wurde, löste dies einen Sturm der Entrüstung in Medien und Öffentlichkeit aus.
Von einem „Geschmäckle“ über einen „Hauch von Korruption“ (Dirk Niebel) bis
zu „lupenreiner Vetternwirtschaft“ (Reinhard Bütikofer) lauteten die Vorwürfe.
Und selbst den eigenen Parteifreunden (Struck: „Ich hätte es nicht gemacht“)
war der Wechsel nicht ganz geheuer: Denn es war Schröder, der während seiner
zweiten Amtszeit das milliardenschwere Pipelineprojekt massiv vorangetrieben
hatte. Erst im September 2005 wurde das Bauabkommen im Beisein Schröders
und Putins unterzeichnet. Doch Schröder ist nur der prominenteste Fall von ehe-
maligen Politiker/innen, die mit einem fliegenden Wechsel ihr Insiderwissen und
ihre Verbindungen zu den Schaltstellen der Politik vergolden und in Einfluss für
starke Interessengruppen und Großunternehmen verwandeln.
Die Aufregung nach Schröders Wechsel hat sich inzwischen gelegt, die Parteien
haben das Thema beerdigt – obwohl in der Folge noch zahlreiche ehemalige
Regierungsmitglieder Lobby-Tätigkeiten übernahmen oder eigene Beratungsfir-
men gründeten. In jüngster Zeit machten Ex-Innenminister Otto Schily (SPD)
und Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne) von sich reden (siehe unten).
LobbyControl hat deshalb den zweiten Jahrestag des Regierungswechsels zum
Anlass genommen, das Problem systematisch aufzubereiten und zu analysieren:
Welche Tätigkeiten üben die ehemaligen Regierungsmitglieder des rot-grünen
Kabinetts (inklusive der Staatssekretäre) heute aus? In welchem Ausmaß haben
sie ihrer Politik-Karriere eine Lobby-Tätigkeit angeschlossen?
Zunächst soll jedoch erläutert werden, worin das Problem der kreisenden „Dreh-
tür“ zwischen Politik und Unternehmen oder Lobbyorganisationen besteht und
welche rudimentären Regeln es gibt und für wen sie gelten (oder eben nicht).
Anschließend beleuchten wir einige besonders interessante Wechsel-Fälle aus
der letzten Rot-Grünen Regierung ein wenig näher (S. 4ff). Kurze Exkurse zei-
Fliegende Wechsel - 15. November 2007
gen das Ausmaß dieser Praxis über das Schröder II-Kabinett hinaus. Schließlich
erläutern wir unsere Forderungen nach verbindlichen Regelungen, die dringend
nötig sind, um der Drehtür zumindest für besonders privilegiertes Personal einen
Riegel vorzuschieben (S. 13).
Die Drehtür – Privilegien für Unternehmen, Schaden
für die Demokratie
Als „Drehtür-Effekt“ - oder im Englischen „Revolving Door“ – wird der fliegende
Wechsel von Führungspersonen zwischen Politik und Wirtschaft bezeichnet. Die
Drehtür kreist in beide Richtungen (siehe Fall Zitzelsberger S. 9) – beide Rich-
tungen sind im Hinblick auf demokratische Willensbildung problematisch, wenn-
gleich meist nur der Wechsel aus der Politik in Unternehmen oder Lobbyorgani-
sationen kritisch diskutiert wird. Auch in diesem Papier konzentrieren wir uns
auf die Wechsel von der Politik in die Wirtschaft. Obwohl die jeweiligen Tätig-
keitsfelder ehemaliger Politikerinnen und Politiker sich unterscheiden, haben sie
eines gemeinsam: sie schaffen für eine sehr begrenzte Interessengruppe einen
besonderen, privilegierten Zugang zu politischen Entscheidungsprozessen und
-arenen. Die Problematik wird in folgenden Punkten deutlich:
1) Ehemalige Spitzenpolitiker/innen sind für Unternehmen als Lobbyisten,
Berater oder Mitglieder im Vorstand oder Aufsichtsrat deshalb so beliebt,
weil sie zwei unbezahlbare Ressourcen mitbringen: erstens detaillierte
Kenntnisse über interne Abläufe in politischen Prozessen und zweitens
noch warme Kontakte zu politischen Entscheidungsträgern. Damit si-
chern sich die Unternehmen einen besonderen Zugang zur Politik, der sie
gegenüber anderen Interessen privilegiert. Das Schwätzchen mit dem
ehemaligen Politiker-Kollegen auf den Fluren des Bundestages kann
mehr wert sein, als seitenlange Stellungnahmen oder Eingaben bei An-
hörungen. Abgeordnete bekommen nach dem Ausscheiden aus dem
Bundestag einen Ehemaligen-Hausausweis, der ihnen weiterhin den Zu-
gang zu den Räumlichkeiten des Bundestages sichert. Wenn sie wollen,
haben „Ehemalige“ auch zur Parlamentarischen Gesellschaft mit ihren
Treffräumen und Kneipe Zugang.
2) Dieser besondere Zugang zur Politik steht nur bestimmten ohnehin star-
ken Interessengruppen offen, denn die für ehemalige Spitzenpoliti-
ker/innen attraktive Jobs können nur finanzstarke und profilierte Akteure
anbieten – dies sind in der Regel große Unternehmen oder Wirtschafts-
verbände. Die bestehenden Machtstrukturen werden so verfestigt und
verstärkt.
3) Durch die Möglichkeit, nach dem Ausscheiden aus der Politik direkt in ei-
nen lukrativen Job bei einem Unternehmen oder einer Lobby-Agentur zu
wechseln, besteht für Politiker/innen der Anreiz, schon während ihrer po-
litischen Tätigkeit ihre späteren Jobchancen zu optimieren. Entscheidun-
gen zum Vorteil bestimmter Unternehmen sind dabei die direkteste Form
der Begünstigung. Auch die Schaffung besonders unternehmerfreundli-
2
Fliegende Wechsel - 15. November 2007
cher Rahmenbedingungen qualifiziert Politiker/innen für spätere hoch
dotierte Unternehmenstätigkeiten. Hier liegt der Verdacht auf der Hand,
dass bei politischen Entscheidungen der Seitenblick auf die späteren Job-
chancen zu einem bedeutenden Faktor wird.
4) Allein der Verdacht, Politiker/innen könnten im Hinblick auf spätere luk-
rative Jobaussichten bei Unternehmen Entscheidungen zu deren Gunsten
fällen und nach dem Seitenwechsel mit besonders günstigen Erfolgsaus-
sichten politische Entscheidungen beeinflussen, schädigt die Demokratie
und das Vertrauen in demokratische Prozesse. Noch schlimmer ist, dass
dies tatsächlich und nicht nur in Einzelfällen passiert, ohne dass diese
Form der Vorteilsbeschaffung als Korruption gewertet und geahndet
wird.
Das Kabinett Schröder II – Wo sind sie geblieben?
Das rot-grüne Kabinett in der zweiten Legislaturperiode bestand aus 63 Minis-
ter/innen und Staatssekretär/innen (incl. Bundeskanzler und Staatsminister). 19
davon sind auch nach dem Regierungswechsel 2005 als Minister oder Staatssek-
retäre im Amt. Von den 44 übrigen, die ihren Posten nach der Neuwahl abgege-
ben haben, sind 22 weiterhin in politischen Institutionen oder der öffentlichen
Verwaltung tätig. Von denen, die ihre politische Laufbahn verlassen haben, sind
nach unserer Zuordnung 12 klar in Lobbytätigkeiten oder Tätigkeiten mit star-
kem Lobbybezug gewechselt. Drei weitere üben Tätigkeiten aus, die unserer
Beurteilung nach Lobbyaspekte beinhalten, auch wenn es keine primären Lobby-
tätigkeiten sind. Es verbleiben sieben, die sonstigen Tätigkeiten nachgehen bzw.
sich als Pensionäre zurückgezogen haben.
Diejenigen, die Lobbytätigkeiten im engeren oder weiteren Sinne ausüben, sind
zu weit überwiegendem Teil in Bereichen tätig, die sich mit dem frühren politi-
schen Zuständigkeitsbereich überschneiden und/oder in denen der/die Wech-
selnde an branchenrelevanten Entscheidungen beteiligt war. Außerdem sind sie
fast ausschließlich für Unternehmen, Unternehmensverbände und unterneh-
mensnahe Denkfabriken tätig. Eine Ausnahme ist ein Wechsel zu einem Umwelt-
verband.
Die Grenzziehung zwischen den Gruppen, insbesondere zwischen Lobbytätigkeit,
Tätigkeit mit Lobbyaspekt und sonstiger Tätigkeit ist in einzelnen Fällen schwie-
rig. Das ist zu einem wesentlichen Teil der Tatsache geschuldet, dass die betref-
fenden Personen häufig weder Willens noch grundsätzlich verpflichtet sind, ge-
nauere Auskünfte über den Inhalt ihrer Tätigkeiten zu geben. Umfassende
Transparenz ist nötig, um eine differenziertere Betrachtung des Drehtür-
Phänomens in seinem Ausmaß und seinen Ausprägungen zu ermöglichen. Die
Übersichts-Tabelle im Anhang mit einer Auflistung aller (ehemaligen) Minis-
ter/innen und Staatssekretär/innen gibt jedem und jeder die Möglichkeit, sich
auf der Basis der uns vorliegenden Informationen ein eigenes Bild zu machen.
3
Fliegende Wechsel - 15. November 2007
Im Folgenden gehen wir auf einige Fälle näher ein, die das Problem besonders
deutlich machen:
Gerhard Schröder: Türöffner und gut bezahlter Wegbereiter
Gerhard Schröders Wechsel von der Politik in die Wirtschaft ist wohl das bekann-
teste Beispiel, wie das Prinzip der Drehtür funktioniert und wo die Gefahren lie-
gen: In seiner Funktion als Bundeskanzler hatte Schröder zusammen mit Russ-
lands Präsident Putin das Projekt einer Erdgaspipeline durch die Ostsee massiv
gefördert. Im September 2005 waren beide anwesend, als der Vertrag zum Bau
der Nordeuropäischen Gaspipeline (NEGP, später Nord Stream Pipeline) von den
Vorstandsvorsitzenden von Gazprom, E.on und BASF in Berlin unterzeichnet
wurde. Die Betreiberin ist die Nord Stream AG mit Sitz in der Steueroase
Zug/Schweiz, an der Gazprom 51% und E.on und BASF je 24,5% der Anteile
halten. Nachdem Schröder im November aus dem Amt geschieden war und sein
Bundestagsmandat niedergelegt hatte, wurde im Dezember 2005 bekannt, dass
er im März 2006 den Vorsitz im Aufsichtsrat der Nord Stream AG, also genau
jener Firma, die die Eigentümerin und Betreiberin der Ostseepipeline ist, über-
nehmen wird.
Auch der Verleger Ringier sicherte sich die Dienste des Ex-Kanzlers, indem er
ihn ab Januar 2006 als Berater engagierte. Im Februar 2006 konnte außerdem
der Vorsitzende des RAG-Vorstands und ehemalige Wirtschaftsminister im
Schröder I-Kabinett (1998-2002) Werner Müller Schröder als Rechtsberater ge-
winnen. Schröder beriet den RAG-Konzern bei den Verhandlungen mit der Bun-
desregierung über den geplanten Börsengang des Chemie- und Energieunter-
nehmens. Dies geschah nach Aussage eines RAG-Sprechers unentgeldlich und
ohne Beratervertrag. Weiteres Geld verdient Schröder hingegen als Mitglied im
europäischen Beirat der Rothschild-Investmentbank. Außerdem ist er in Hanno-
ver als Rechtsanwalt gemeldet und Teil der Bürogemeinschaft „Fromberg und
Collegen“. Zur Frage, ob er weiteren Beratertätigkeiten nachgehe, erteile er
keine Auskünfte, ließ Schröders Büro in Berlin gegenüber Lobbycontrol verlau-
ten. Schröder hat, wie auch seine Vorgänger Helmut Kohl und Helmut Schmidt,
ein Büro in einem Abgeordnetengebäude des Bundestages „Unter den Linden“.
Dort sind noch immer seine langjährige Sekretärin Marianne Duden, seine Büro-
leiterin Sigrid Kramitz und seine "rechte Hand" aus dem Kanzleramt Albrecht
Funk für ihn tätig.
Otto Schily: Vom Überwachungs-Minister zum Überwachungsfirmen-
Aufsichtsrat
Ex-Innenminister Schily, der nach wie vor als Abgeordneter im Bundestag sitzt,
stellt ebenfalls einen besonders delikaten Drehtür-Fall dar: In seiner Zeit als
Minister setzte er sich massiv für die Einführung biometrischer Merkmale in
Ausweispapieren ein. Nach seiner Ministerzeit wurde er Aufsichtsratsmitglied bei
Byometric Systems AG (hier ruht sein Amt seit Mai 2007) und Aufsichtsratsmit-
glied und Anteilseigner bei SAFE ID solutions AG – beides Unternehmen, die
4
Fliegende Wechsel - 15. November 2007
biometrische Anwendungen herstellen. Die Höhe seiner Nebeneinkünfte aus die-
sen Aufsichtsratstätigkeiten teilt Schily der Öffentlichkeit weder in den „veröf-
fentlichungspflichtigen Angaben“ beim Bundestag noch auf mehrfache Nachfrage
von LobbyControl mit.
Hinzu kommen anwaltliche und Beratertätigkeiten: Schily ist als Rechtsanwalt in
Berlin gemeldet und Inhaber der "Otto Schily Rechtsanwaltgesellschaft mbH".
Aus den Medien wurde seine Beratungstätigkeit für die Siemens AG bekannt, die
für Aufsehen sorgte, weil Schily sich bis heute weigert, diese Nebentätigkeit
gegenüber dem Bundestagspräsidenten anzuzeigen und sein Einkommen daraus
offen zu legen. Weiterhin ist Schily seit Juni 2007 an der Beraterfirma "German
Consult GmbH" beteiligt. Geschäftsführer der German Consult ist Peter Zühls-
dorff, ein alter Bekannter Schilys: Im Jahr 2003 hatte Schily Zühlsdorff zum
Olympia-Geschäftsführer der gescheiterten Leipziger Olympiabewerbung beru-
fen; 2005 trafen sie sich im Beirat der Standort-Image-Kampagne „Land der
Ideen“ wieder. Weder über die Höhe seiner Einkünfte aus seinen rechtlichen
Beratungstätigkeiten noch über die Tätigkeitsfelder seiner Rechtsanwaltsgesell-
schaft und der German Consult erteilte Schily gegenüber LobbyControl Auskünf-
te.
Clement: Viel beschäftigter “Privatier”
Ein besonders viel beschäftigter Mann ist Ex-Wirtschaftsminister Wolfgang Cle-
ment: Nachdem er als Minister tief greifende Arbeitsmarktreformen vorgenom-
men hatte, wechselte er nicht einmal ein Jahr nach Ende der rot-grünen Koaliti-
on in den Aufsichtsrat der Zeitarbeitsfirma "Deutsche Industrie Service Ag" (DIS
AG). Als diese vom schweizerischen Konkurrenten Adecco übernommen worden
war, wurde er zum Vorsitzenden der firmeneigenen Denkfabrik "Adecco Institut
zur Erforschung der Arbeit" berufen. Außerdem ist er Aufsichtsratsmitglied beim
Dienstleistungskonzern Dussmann, der Landau Media AG, bei RWE-Power und
dem DuMont Verlag, sowie Vorsitzender im Beirat des Wissens- und Informati-
onsdienstleisters Wolters Kluwer und Beiratsmitglied der US-Bank Citigroup. Seit
Mai 2006 ist er zudem Mitglied im Konvent für Deutschland (KfD), einer elitären
wirtschaftsnahen Lobbygruppe, die eine "Reform der Reformfähigkeit" propa-
giert, mit dem Ziel eines schlanken und wettbewerbsorientierten Staates mit
reduzierten Sozialsystemen. Im Oktober 2007 übernahm er eine Gastprofessur
an der NRW School of Governance. Nachfragen von LobbyControl zu einzelnen
Tätigkeiten beantwortete Clement nicht. Über seine Mitarbeiterin in seinem Bon-
ner Büro „Comm-Management & Communication“ ließ er mitteilen, er sei Priva-
tier und habe keine Pflicht, sich für seine Tätigkeiten (für die er selbstverständ-
lich bezahlt werde, wie jeder andere auch) zu rechtfertigen.
Matthias Berninger: Vom Verbraucherschutz zu „Mars“
Der ehemalige grüne Staatssekretär Matthias Berninger war im Ministerium für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft unter anderen mit der Frage
der "globalen Übergewichtsepidemie" beschäftigt. Seit Februar 2007 arbeitet er
beim US-Nahrungsmittel- und Süßwarenkonzern Mars und ist in der Brüsseler
5
Fliegende Wechsel - 15. November 2007
Europazentrale zuständig für die Bereiche Gesundheits- und Ernährungsfragen.
Vom Amt als Landesvorsitzender der hessischen Grünen trat er zurück und auch
sein Bundestagsmandat gab er zurück.
Revolving Door: Das Ex-Politiker-Netzwerk der Deutschen Bahn
Die Deutsche Bahn ist ein besonders interessantes Exemplar des Revol-
ving-Door-Phänomens. Angesichts der von der Unternehmensführung
angestrebten Privatisierung und Börsengang hat Konzernchef Mehdorn
in den letzten Jahren mindestens ein Dutzend Ex-Politiker in sein Lob-
bynetzwerk integriert. Recherchen des ZDF-Politmagazins Frontal21
brachten eine illustre Runde aus ehemaligen Verkehrsministern von
Bund und Ländern sowie eine Vielzahl von ehemaligen Beamten aus
diesen Ministerien sowie Lokalpolitikern zu Tage. Hierzu gehören der Ex-
Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt (SPD), die ehemaligen Lan-
desverkehrsminister Franz-Josef Kniola (SPD) NRW, Otto Wiesheu
(CSU) Bayern, Hartmut Meyer (SPD) Brandenburg, Jürgen Heyer (SPD)
Sachsen-Anhalt sowie der ehemalige bayrische Finanzminister Georg
von Waldenfels (CSU).
Als ein besonders effektiver Bahn-Lobbyist erwies sich dabei Otto Wies-
heu: Während der Verhandlungen des Koalitionsvertrags der großen
Koalition war er CSU-Verhandlungsführer zum Thema Verkehr. Wie
Frontal21 berichtete soll er maßgeblich dafür verantwortlich sein, dass
aus der ursprünglichen Empfehlung zur Thematik Bahnprivatisierung
das Wort „ob“ gestrichen wurde, so dass in der Endversion nur noch die
Frage nach dem „wie“ auftauchte. Unmittelbar nach Beendigung der
Koalitionsverhandlungen trat Wiesheu als Minister zurück und wurde in
den Bahnvorstand berufen.
Skript der Frontal21-Sendung:
http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/19/0,1872,7011539,00.html Extrem enge Verflechtungen zwischen Politik und Unternehmen gibt es auch in der
Energiebranche. Einen sehr guten Überblick bietet das „Schwarzbuch Klimaschutz-
verhinderer“ von Greenpeace:
http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/klima/Verflechtung_E nergiewirtschaft_Politik.pdf
Halsch: Vom Telekom-Aufsichtsrat im Namen des Staates zur Telekom-
Tochter Vivento
Volker Halsch (SPD) war bis Anfang 2006 beamteter Staatssekretär im Finanz-
ministerium und saß stellvertretend für dieses auch im Aufsichtsrat der Telekom.
Seinen Antrag (gemäß § 42a BRRG und § 69a BBG), durch die Drehtür zur Tele-
6
Fliegende Wechsel - 15. November 2007
kom Tochter Vivento zu wechseln, lehnte sein oberster Dienstherr, Finanzminis-
ter Peer Steinbrück, mit Verweis auf seine Mitgliedschaft im Telekom-
Aufsichtsrat im April 2006 ab. Nachdem die zunächst auf ein Jahr lautende
Sperrfrist abgelaufen war, wurde sein erneuter Antrag jedoch genehmigt, und
Herr Halsch ist seit Februar 2007 Mitglied der Geschäftsleitung von Vivento und
verantwortlich für die Bereiche Geschäftsaufbau und –management. Scheinbar
hatte das Finanzministerium in diesem Fall das Bedürfnis, zumindest eine Mini-
Karenzzeit anzuordnen. Anders sah es dies jedoch bei Halsch’ Kollegen Caio
Koch-Weser…
Koch-Weser: Fliegend zur Deutsche Bank
Im Gegensatz zu seinem Kollegen Halsch, hatte das Finanzministerium im von
Caio Koch-Weser beantragten Wechsel vom Finanzministerium in den erweiter-
ten Vorstand der Deutschen Bank in der Funktion eines Beraters im Januar 2006
keine Bedenken. Und dies, obwohl er als Staatssekretär und Vorsitzender des
Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
direkt mit Entscheidungen, die seinen neuen Arbeitgeber betreffen, befasst war.
So hat die Deutsche Bank in der Zeit, als Koch-Weser Staatssekretär war, öf-
fentliche Aufträge und Bürgschaften erhalten. Unter anderem unterzeichnete er
eine Absicherung des Bundes für einen 500 Millionen Kredit der Deutschen Bank
an Gasprom. Heute ist er der einzige Topmanager der Deutschen Bank ohne
eigenen operativen Bereich aber trotzdem mit Millionengehalt.
Weiter ist Koch-Weser im Kuratorium der Bertelsmann-Stiftung, Mitglied des
Stiftungsrates des Weltwirtschaftsforums und des Councils des ECFR (s. Ab-
schnitt zu Fischer). Außerdem ist Koch-Weser Vorstandsmitglied von Bruegel,
einer europäischen Denkfabrik, die von europäischen Regierungen und Großun-
ternehmen getragen wird. Hier saß er zunächst als Vertreter des Bundesfinanz-
ministeriums im Vorstand. Sein Seitenwechsel ließ den Bruegel-Vorstand unbe-
rührt – Koch Weser sitzt dort nun im Namen der Deutschen Bank1.
Fischer: Geheimniskrämerei um „Fischer Consulting“
Joseph "Joschka" Fischer zog sich zunächst aus der Öffentlichkeit zurück und
nahm eine Gastprofessur an der US-Elite-Universität Princeton an. Im Oktober
2007 gründete er mit weiteren europäischen Persönlichkeiten das European
Councils on Foreign Relations (ECFR). Das ECFR, dessen Council Fischer ange-
hört, ist ein Think Tank zum Thema Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik.
Es entstand auf Initiative und unter dem Dach der „Open Society Foundation“,
die zum Stiftungsnetzwerk des Milliardärs und bekannten Spekulanten George
Soros gehört. Inzwischen hat Fischer außerdem eine eigene Beraterfirma, die
"Joschka Fischer Consulting", gegründet. Wen er dort zu was berät, hat er je-
doch weder dem Stern in einem Interview (Heft 41/2007) noch uns auf Nachfra-
ge verraten.
1
Weitere Informationen zu Bruegel finden sich in unserem lobbykritischen Stadtführer Lobby-
Planet Brüssel (2007):
www.lobbycontrol.de/blog/index.php/lobby-planet-bruessel 7
Fliegende Wechsel - 15. November 2007
Schlauch: Ein bisschen Grün für EnBW
Rezzo Schlauch, vormals parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsminis-
terium und Fraktionsvorsitzender der Grünen, sitzt seit Oktober 2005 im Beirat
des Energieriesen Energie Baden-Württemberg (EnBW). EnBW gehört zur Hälfte
dem französischen Atomstromkonzern EDF und betreibt in Deutschland zwei
Atomkraftwerke. Er wolle sich im Beirat für die regenerativen Energien stark
machen, erklärt Schlauch zu seiner Tätigkeit.
Außerdem hat Schlauch sich als Anwalt der Münchner Kanzlei Mayer & Kambli
angeschlossen, wo er nach eigenen Angaben vor allem mit der Thematik der
Mittelstandsfinanzierung betraut ist. Daneben ist er selbst noch als eigenständi-
ger Anwalt aktiv, sitzt im Aufsichtsrat des Internet-Unternehmens Spreadshirt
AG und ist als Berater für ein Entsorgungsunternehmen tätig. Bei der Beratung
ginge es um ganz konkrete Dinge, wie z.B. Grundstückssuche, so Schlauch. Den
Namen des Unternehmens wollte er LobbyControl allerdings nicht nennen. Er
betreibe Netzwerkarbeit und bringe Leute aus der Wirtschaft, in der Wirtschaft
zusammen. Dabei komme er auch mal mit einem Landrat oder Bürgermeister in
Kontakt. Er betonte allerdings im Gespräch mit LobbyControl, dass er zu keiner
Zeit bei den politischen Institutionen, für die er bisher tätig war - also Bundes-
tag und Bundesregierung - vorstellig geworden sei.
Ruhenstroht: Agentur für Kommunikation und Strategie
Peter Ruhenstroth-Bauer war unter Gesundheitsministerin Renate Schmidt be-
amteter Staatssekretär (2002-2005) und davor Stellvertretender Chef des Pres-
se- und Informationsamts der Bundesregierung (1998-2002). Heute bietet er
sein gesammeltes Insiderwissen und seine praktischen Erfahrungen über seine
Agentur „Kommunikation und Strategie“ an. Politische Kommunikation und
strategische Beratung sind die Schwerpunkte seiner Arbeit. Außerdem lehrt er
an der Universität Koblenz/Landau zum Thema „Regierungskommunikation“.
Drehtür einmal andersherum:
Von Bayers Steuerabteilung ins Finanzministerium
Die Drehtür ist keine Einbahnstraße. Fliegende Wechsel gibt es auch von
Unternehmen in die Politik. Der Fall Zitzelsberger zeigt, wie gezielt diese
Wechsel z.T. vorbereitet und für das Unternehmen nutzbar gemacht wer-
den:
Im Mai 1999 wechselte Prof. Dr. Heribert Zitzelsberger, langjähriger Chef
der Steuerabteilung des Chemie-Riesen Bayer AG, als Staatssekretär ins
Finanzministerium. Der damalige Bayer-Chef Manfred Schneider verkün-
dete daraufhin den Aktionären auf der Hauptversammlung im April 1999
ganz unverfroren: „Wir haben unseren besten Steuer-Mann nach Bonn
abgegeben. Ich hoffe, dass er so von Bayer infiltriert worden ist, dass er
8
Fliegende Wechsel - 15. November 2007
[…] die richtigen Wege einleiten wird“. Im Finanzministerium war Zitzels-
berger für Grundsatzfragen der Finanz- und Wirtschaftspolitik zuständig
und Vater der rot-grünen Unternehmenssteuerreform, die am 1. Januar
2001 in Kraft trat. Neben der Senkung der Körperschaftssteuer (von 40%
auf 25% für einbehaltene Gewinne) sowie einer Reform der Gewerbesteu-
er (ab 2004) begeisterte die deutsche Großindustrie vor allem der Um-
stand, dass Kapitalgesellschaften vom Jahr 2002 an ihre Beteiligungen
steuerfrei verkaufen konnten. Die Folgen für die Haushalte der Länder
und Gemeinden und somit für die Allgemeinheit waren dramatisch: Allein
das Land NRW musste nach Berechnungen des “Stern“ rückwirkend für
das Jahr 2001 rund 3,2 Milliarden Euro an Körperschaftsteuern zurück-
zahlen. NRWs damaliger Finanzminister Peer Steinbrück stellte fest: „Wir
zahlen unter dem Strich mehr als wir einnehmen“. Der Bayer AG wurden
im Jahr 2001 250 Millionen Euro Körperschaftssteuer erstattet, die Ge-
werbesteuereinnahmen der Stadt Leverkusen brachen ein, weil durch neu
eröffnete Möglichkeiten der Gewinnverschiebung der Konzern in seiner
Heimatstadt steuerrechtlich keine Gewinne mehr erzielte. Erst seit 2006
steigen die Gewerbesteuerreinnahmen Leverkusens sehr langsam wieder
an. Die Rechnung des Herrn Schneider scheint aufgegangen zu sein. Der
„beste Steuermann“ hat seine Arbeit gut gemacht.
Übersicht über die Entwicklung der Gewerbesteuereinnahmen der Stadt Leverkusen:
http://www.leverkusen.de/rathaus/finanzen/Leverkusener_Finanzen_07_NEU.pdfDie geltenden Regelungen
Das Phänomen ist bekannt und sorgt insbesondere bei Wechseln von Spitzenpo-
litiker/innen immer wieder einmal für öffentliche Empörung. Dennoch ist bisher
fast alles eine Frage des Geschmacks – oder Geschmäckles – denn es gibt kaum
Regulierungen für die Wechsel zwischen Politik und Unternehmen. Lediglich für
beamtete Staatssekretär/innen gilt: Sie müssen bis fünf Jahre nach Ende
ihrer beamteten Tätigkeit ihrer obersten Dienststelle mitteilen, wenn sie eine
neue Tätigkeit aufnehmen (Beamte im Altersruhestand nur drei Jahre). Die
Dienststelle hat die Möglichkeit, die neue Tätigkeit zu untersagen, wenn dadurch
„dienstliche Interessen“ gefährdet sind (§ 42a Beamtenrechtsrahmengesetz und
§ 69a Bundesbeamtengesetz). Allerdings gilt diese Regelung nur, solange der
Beamte Versorgungsbezüge erhält. Wenn er sich über ein Verbot seiner ehema-
ligen Dienststelle hinwegsetzt, ist das auch die Strafe, die ihm droht: die Strei-
chung seiner Beamtenbezüge. Im Klartext heißt das, er kann machen, was er
will, wenn er auf diese Bezüge verzichtet, was bei einem entsprechend lukrati-
ven Jobangebot kein schlechter Tausch sein muss.
Für den scheidenden Kanzler/die Kanzlerin, Minister und parlamentari-
sche Staatssekretäre gibt es von vornherein keine Beschränkung, in Lobby-
jobs oder in Unternehmen zu wechseln; für sie gibt es lediglich eine Verschwie-
9
Fliegende Wechsel - 15. November 2007
genheitspflicht über ihnen in ihrem Amt bekannt gewordene Angelegenheiten (§
6 Bundesministergesetz) .
Unter dem Eindruck der öffentlichen Empörung über die Wechsel einer Reihe
von Spitzenpolitikern debattierte der Bundestag Anfang 2006 über die Einfüh-
rung eines „Ehrenkodexes“ oder möglicher gesetzlicher Beschränkungen. Bünd-
nis 90/Die Grünen, Die Linke und die FDP brachten unterschiedliche Anträge ein,
deren Forderungen von einer fünfjährigen Karenzzeit für scheidende Regie-
rungsmitglieder (Die Linke, Bundestagsdrucksache (BT-Drs) 16/846), einem
Ehrenkodex (B’90/Die Grünen, BT-Drs 16/948) bis zu einer zweijährigen Anzei-
gepflicht ähnlich der Regelung für Beamten (FDP, BT-Drs 16/677) reichten2. Die
Sache wurde an den Innenausschuss des Bundestages verwiesen. Bis heute gibt
es keinen Termin, wann dieser die Angelegenheit weiter bearbeiten wird. He-
rausgekommen ist also noch nicht einmal ein Papiertiger, geschweige denn ein
sinnvoller Ansatz, der Drehtür einen Riegel vorzuschieben.
Die Drehtür kreist auch auf der Beamtenebene
Das Prinzip der Revolving Door existiert nicht nur auf der Ebene von Mi-
nistern und Staatssekretären, sondern betrifft alle Ebenen der Ministerien
sowie Bundesbehörden. Von der Einstellung einzelner Personen, die zuvor
in den für das betreffende Unternehmen relevanten Ministerien oder Bun-
desbehörden gearbeitet haben, versprechen sich die Unternehmen Kon-
takte und Insiderwissen. Die Liste der Beispiele ist lang und keineswegs
ein neues Phänomen:
Bevor Walter Hohlenfelder 1994 in die Energiewirtschaft wechselte, war
er mit Unterbrechungen fast 20 Jahre in Landes- und Bundesministerien
tätig; letzte Station war von 1986 bis 1994 die Tätigkeit als Ministerialdi-
rektor im Bundesumweltministerium im Bereich Reaktorsicherheit, Strah-
lenschutz und nukleare Entsorgung. Nach seinem Wechsel in die Energie-
branche arbeitete er zunächst bei der VEBA AG, wurde dann in den Vor-
stand von PreussenElektra berufen und landete schließlich bei E.on. Seit
April 2004 ist Hohlefelder Präsident der Lobbyorganisation Deutsches A-
tomforum.
Den jüngsten Coup in Sachen Abwerbung eines einflussreichen Politak-
teurs gelang E.on. Der Energiekonzern konnte Joachim Lang, Leiter im
Bereich Koordinierung der Europapolitik der Bundesregierung im Kanzler-
amt, als neuen Cheflobbyisten für Berlin gewinnen.
Ein besonders anrüchiger Fall ist der Wechsel von Bruno Thomauske
vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) zum Energieriesen Vattenfall.
Der Atomexperte, der 20 Jahre lang für das BfS arbeitete und u.a. für die
Genehmigung für Zwischenlager sowie die Castortransporte zuständig
2
Bundestagsdrucksachen unter:
http://dip.bundestag.de/parfors/parfors.htm 10
Fliegende Wechsel - 15. November 2007
war, wechselte im Jahr 2003 zu Vattenfall und wurde dort technischer Ge-
schäftsführer und Strahlenschutz-Verantwortlicher der Vattenfall Europe
Nuclear Energy (VENE), die die Atomaktivitäten des Energiemultis koordi-
niert. D.h. Thomauske war nach seinem Seitenwechsel für die Zwischen-
lager Vattenfalls verantwortlich, die er zuvor als Verantwortlicher des BfS
genehmigt hatte. Besonders brisant ist, dass nicht klar ist, ob Thomauske
vor seinem offiziellen Wechsel zu Vattenfall im September 2003 bei Vat-
tenfall schon unter Vertrag stand. Selbst dem BfS war der Wechsel nicht
ganz geheuer: Nach dem Bekanntwerden (4. Juli 2003) seiner Wechsel-
absichten wurde Thomauske mit anderen Aufgaben betraut und die durch
ihn erteilten Genehmigungen überprüft – ohne jedoch auf Hinweise der
unzulässigen Einflussnahme zu Gunsten des Energiekonzerns zu stoßen.
Allerdings ist anzunehmen, dass Vattenfall mit der Einstellung Tho-
mauskes nicht die durch ihn erteilten Genehmigungen entlohnen wollte,
sondern an das geballte Insiderwissen Thomauskes über das Amt gelan-
gen wollte. Nach den jüngsten Störfällen in den AKWs Krümmel und
Brunsbüttel wurde Thomauske am 16. Juli 2007 entlassen.
Fazit
Anhand unserer Untersuchung über den Verbleib des Kabinetts Schröder II und
seiner Staatssekretäre werden folgende Punkte deutlich:
1) Das Ausmaß der Revolving-Door-Problematik ist erheblich. Ehemalige
Regierungsmitglieder und Führungspersonen der Ministerialbürokratie
wechseln in großem Umfang direkt nach Beendigung ihrer politischen
Tätigkeit (oder parallel zur Fortführung ihres Bundestagsmandates) in
Lobbytätigkeiten im engeren und weiteren Sinn. Die hier näher darge-
stellte Gruppe ist zudem nur ein kleiner Ausschnitt. Eine Reihe weiterer
Fälle aus ehemaligen Bundes- und Landesregierungen sind bekannt.
2) Viele ehemalige Politiker zeigen sich sehr intransparent, was ihre neu-
en Tätigkeiten angeht. Immer wieder verweisen sie auf Anfrage oder in
Interviews darauf, dass sie als Privatmann tätig und daher niemandem
Rechenschaft schuldig seien. Formal mag dies zutreffen – dennoch las-
sen sich die Tätigkeiten von Ex-Spitzenpolitikern in ihrer Bedeutung
und Wirkung nicht mit denjenigen einer beliebigen Privatperson gleich-
setzen, sobald das Amt abgegeben wurde. Insbesondere bei Lobbytä-
tigkeiten ehemaliger Politiker besteht daher ein berechtigtes öffentli-
ches Interesse an Transparenz. Die Geheimniskrämerei der ehemaligen
Amtsträger über ihre heutigen Tätigkeiten – und die mangelnde ge-
setzliche Verpflichtung zur Auskunft – verhindert, dass das Ausmaß der
Lobbytätigkeiten und eine mögliche Verflechtung mit vorherigen Zu-
ständigkeiten in vollem Umfang zu ermessen ist.
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Fliegende Wechsel - 15. November 2007
3) Die Ex-Politiker werden vor allem von Unternehmen, unternehmensna-
hen Stiftungen und Denkfabriken sowie Wirtschaftsverbänden ange-
worben. Nur vereinzelt gibt es Wechsel zu anderen gesellschaftlichen
Gruppen und (Groß-)Organisationen.
4) Der mit den fliegenden Wechseln verbundene privilegierte Zugang zu
Insiderwissen und persönlichen Kontakten sichert, reproduziert und
vertieft vorhandene Machtasymmetrien und verzerrt Politikprozesse zu
Gunsten von Einzelinteressen.
5) Sowohl die betreffenden Ex-Politiker als auch das Parlament und die
nachfolgende Regierung haben das Problem bisher trotz bisweilen mas-
siver Empörung der Öffentlichkeit ausgesessen. Wenn auch ein Ehren-
kodex das Problem nicht gelöst hätte, zeigt die Tatsache, dass die im
Parlament angestoßene Initiative scheinbar in der untersten Schublade
des Innenausschusses gelandet ist, wie gering das politische Interesse
ist, die Sache ernsthaft anzugehen.
Unsere Forderungen
1) Karenzzeit
Wir fordern eine dreijährige Karenzzeit – eine Abkühlphase – für den/die Kanzle-
rIn, die Minister, Staatsminister, parlamentarische und beamtete Staatssekretä-
re sowie Referatsleiter. Innerhalb dieser Karenzzeit muss ein Wechsel in Lobby-
tätigkeiten generell, also nicht nur im Bereich der zuvor bearbeiteten Fachgebie-
te, verboten sein. Dabei darf dieses Verbot nicht durch den Verzicht auf Beam-
ten- oder sonstiger Rentenbezüge zu umgehen sein.
Zur Begründung:
Es ist weder ausreichend, einen nicht bindenden Ehrenkodex zu verabschieden,
noch die neuen Tätigkeiten lediglich zu melden und das Verbot auf Bereiche zu
beschränken, die im früheren Zuständigkeitsbereich des ausscheidenden Politi-
kers liegen.
Ein Ehrenkodex erfasst das Problem schon begrifflich nur schlecht, denn es geht
nicht nur um individuelles Fehlverhalten oder “Ehre”, sondern um strukturellen
Einfluss finanzstarker Interessengruppen oder Unternehmen. Zudem scheinen
sich die betreffenden Politiker bei den bisherigen Wechseln auch nicht allzu sehr
um ihre Ehre gesorgt zu haben, wenn man die öffentlichen Empörung betrach-
tet, die sie einfach ignoriert und ausgesessen haben. Eine Anzeigepflicht führt
zwar möglicherweise zu größerer Transparenz, erlaubt aber im Kern die unver-
änderte Fortsetzung der bisherigen Praxis.
Ein eng auf die früheren Tätigkeitsbereiche beschränktes Verbot würde das
Ausmaß der Problematik verkennen. Denn es geht nicht nur um direkte Vorteils-
gewährung während der politischen Amtszeit, die nach deren Ende mit einem
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Fliegende Wechsel - 15. November 2007
lukrativen Job belohnt werden. Mindestens ebenso bedeutend ist der privilegier-
te Zugang zu Entscheidungsträgern und Insiderwissen, über die frisch ausge-
schiedene Minister oder Staatssekretäre auch in Bereichen verfügen, in denen
sie nicht unmittelbar tätig waren.
Daher kann nur eine verpflichtende und umfassende Regulierung die Verfesti-
gung und Vertiefung der privilegierten Position von ökonomisch potenten Inte-
ressengruppen und Unternehmen bremsen. Nach drei Jahren dürften die aus
fachlichen und geschäftlichen Gründen entwickelten persönlichen Kontakte deut-
lich abgeschwächt sein, weil Manager und Amtsträger sich in dieser Zeit anderen
und neuen Personen zuwenden müssen.
2) Unabhängiges Kontrollgremium
Wir fordern die Einrichtung eines unabhängigen Gremiums, das sowohl die Tä-
tigkeiten ausscheidender Regierungsmitglieder und ihrer oberen Ministerialebene
während der Karenzzeit als auch die Offenlegungspflichten im Lobbyistenregister
überwacht. Das Gremium muss mit den verschiedenen gesellschaftlichen Kräften
ausgewogen besetzt sein. Analysen und Entscheidungsprozesse (z.B. Abstim-
mungsergebnisse) müssen veröffentlicht werden.
Zur Begründung:
Zur Zeit entscheidet bei aus dem Dienst scheidenden Beamten die letzte oberste
Dienststelle – also der ehemalige Vorgesetzte oder dessen Nachfolger - über die
Aufnahme einer neuen Tätigkeit. Würde die Regelung auf die Minister und par-
lamentarischen Staatssekretäre ausgeweitet, würde der direkte Amtsnachfolger
über die berufliche Zukunft seines Vorgängers entscheiden. Misstrauen in die
Objektivität dieser Entscheidung ist vorprogrammiert und angesichts von Fällen
wie dem nicht unterbundenen Wechsel von Caio Koch-Weser zur Deutschen
Bank (s.o.) berechtigt. Zur Kontrolle und Beurteilung von Streitfällen ist daher
ein neu zu schaffendes Gremium nötig, das das Vertrauen in seine Objektivität
verdient.
3) Lobbyisten-Register
Wir fordern die Einführung eines verpflichtenden Lobbyisten-Registers, in dem
Lobbyisten ihre Auftraggeber und Kunden, ihre Finanzquellen und Budgets sowie
die Themen ihrer Lobbyarbeit offen legen müssen.
Zur Begründung:
Die Geheimniskrämerei von ausgeschiedenen Regierungsmitgliedern wie Herrn
Fischer, Herrn Schily oder Herrn Clement macht die Notwendigkeit eines Lobby-
istenregisters deutlich. Die ehemaligen Spitzenpolitiker halten es nicht für nötig,
offen zu legen, für wen und in welcher Angelegenheit sie ihre Kontakte und ihr
Insiderwissen aus ihrer politischen Tätigkeit einsetzen. Sie reihen sich damit ein
in den undurchsichtigen Lobbydschungel Berlins, über den niemand sagen kann,
wie viele Lobbyisten ihn in wessen Auftrag, mit welchem Ziel und mit welchen
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Fliegende Wechsel - 15. November 2007
finanziellen Mitteln durchstreifen3. Ein Lobbyistenregister, wie es zur Zeit auch in
Brüssel diskutiert und 2008 – leider nur als freiwillige Variante – auf den Weg
gebracht wird, ist nötig, um für mehr Durchblick zu sorgen. Bürgerinnen und
Bürger haben ein Recht darauf zu wissen, welche Akteure in wessen Interesse
und mit welchem Budget Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen su-
chen.
Ausblick
Im Herbst 2009 stehen die nächsten Bundestagswahlen und damit ein möglicher
erneuter Regierungswechsel oder die Veränderung des Kabinetts an. Es ist vor-
programmiert, dass die Drehtür in den Monaten danach wieder rotieren wird und
die scheidenden Regierungsmitglieder und Staatssekretäre in lukrative und stra-
tegisch wichtige Positionen in Unternehmen oder Verbänden befördert. Jetzt ist
Gelegenheit zu handeln: Das Parlament muss sich der Thematik stellen, die be-
gonnene Debatte wieder aufgreifen und die notwendigen Regulierungen erarbei-
ten.
Leider haben die vielen in der Öffentlichkeit z.T. heftig kritisierten Fälle – nicht
nur aus dem letzten Schröder-Kabinett, sondern auch aus früheren Bundesre-
gierungen und aus Landesregierungen – und der Stillstand seit Abflauen der
öffentlichen Empörung gezeigt, dass der politische Wille fehlt, das Drehtür-
Phänomen ernsthaft anzugehen. Ein Aufbrechen der engen Verflechtungen zwi-
schen politischen und wirtschaftlichen Eliten ist von PolitikerInnen in Parlament
und Regierung ohne massiven öffentlichen Druck nicht zu erwarten. Die tiefer
liegende Problematik sich reproduzierender Machtungleichgewichte verlangt zu-
dem mehr als einen rechtlichen Regulierungsrahmen. Hier ist eine breite Demo-
kratiebewegung gefragt, die wachsam und fordernd ist.
Dieses Papier soll einen Anstoß geben, die Diskussion um das Drehtür-
Phänomen wieder in die Öffentlichkeit zu tragen und grundlegender anzugehen,
als dies bisher geschah. Wir freuen uns, wenn es JournalistInnen zu tiefer ge-
henden Nachforschungen und Bürgerinnen und Bürger zu kritischen Nachfragen
(z.B. bei ihren lokalen Abgeordneten nach dem Stand der parlamentarischen
Diskussion zum Thema Politiker-Wechsel) anregt.
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Die beim Bundestag geführte „Verbändeliste“ erfüllt in keiner Weise die Funktion eines Lob-
byisten-Registers. Es führt nur Verbände auf; es erfasst weder die Lobbyisten einzelner Unter-
nehmen noch Lobby-Agenturen oder selbständige Lobbyisten. Zudem liefert es keine Informati-
onen über Kunden und Finanzquellen.
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kurzstudie - 15. November 2007
Impressum
Die Studie ist eine eigenständige Untersuchung von LobbyControl. LobbyControl
ist ein gemeinnütziger Verein, der über Machtstrukturen und Einflussstrategien
in Deutschland und der EU aufklären will.
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