http://web.archive.org/web/20010609193436/http://www.hamburg.de:80/Behoerden/LfV/so/kap44.htm[*quote*]
Landesamt für Verfassungsschutz
4. Taktiken und Methoden des OSA
Seit den Prozessen in den USA 1979, die dem Image von Scientology schwer geschadet haben, und ähnlichen Vorgängen - etwa der vorübergehenden Verhaftung von 71 führenden Scientologen in Spanien 1988 - ist die SO vorsichtiger geworden. Sie hat - wie gezeigt - ihre Vorgehensweisen z. T. umgestellt und verfeinert. Scientology leugnet heute zwar die Existenz einer dem früheren „Information Bureau“ im GO entsprechenden Geheimdienstabteilung, tatsächlich aber nimmt die „Sektion für Ermittlungen“ im OSA sowohl auf lokaler wie auch auf internationaler Ebene diese Funktion weitgehend wahr. Da lediglich die GO-Büros in Washington D.C., Los Angeles und Toronto strafrechtlich verfolgt wurden, ist auch davon auszugehen, daß das in den sechziger und siebziger Jahren aufgebaute weltweite Netz an GO-Stützpunkten weitgehend intakt geblieben ist. Nach Aussage von Jon ATACK belegten Gerichtsakten in den USA und Zeugenaussagen, daß es weiterhin aktive Geheimdiensteinheiten in London, Boston, Clearwater und Las Vegas gebe. Auch HUBBARDs Schriften über Infiltration und Subversion würden weiterhin befolgt. 98
Im Unterschied zum GO läßt das OSA heute sensible und risikoreiche Operationen häufig von Profis - in der Regel Privatdetektive - ausführen, die offiziell nicht in die Organisation eingebunden sind. 99 Diese arbeiten unter der Leitung von scientologisch geführten Anwaltsbüros, die ebenfalls offiziell mit dem OSA bzw. der SO nichts zu tun haben, tatsächlich aber - zumindest in der Theorie - in die sogenannte „Legal Section“ (Rechtsabteilung) innerhalb des OSA eingebunden sind. Da sich namentlich bekannte Privatdetektive zwar für offene Ermittlungen oder Beschattungen eignen, aber kaum für „Verdeckte Operationen“, rekrutieren diese für bestimmte Aufträge wiederum Personal aus der OSA-Geheimdienstabteilung. Durch diese Konstruktion ist die enge Verbindung zur SO bzw. die Steuerung durch das OSA im Ernstfall nur sehr schwer oder gar nicht nachzuweisen.
Die verstärkte Zusammenarbeit mit Rechtsanwälten und deren Schlüsselfunktion bei der Informationsbeschaffung hat, so Robert Vaughn YOUNG, vor allem taktische Gründe. Die SO habe Vorsorge getroffen, daß eine Razzia wie 1977 gegen das GO heute voraussichtlich keinen Erfolg mehr hätte. Während damals alle Informationen in der Geheimdienstzentrale gesammelt wurden, konzentriert sich der Großteil des brisanten Materials heute bei Scientology-Anwälten. Deren Akten sind gesetzlich besonders geschützt und können nicht ohne weiteres beschlagnahmt werden. Gegen Rechtsanwälte in den USA vorzugehen, sei nur möglich, wenn man handfeste Beweise für Straftaten vorlegen kann, was in den meisten Fällen äußerst schwierig oder gar nicht möglich sein dürfte. Wegen des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant haben auch die Mitarbeiter von Rechtsanwälten ein Zeugnisverweigerungsrecht, das sie besonders schützt.
Die Zusammenarbeit zwischen der SO und Privatdetektiven ist seit den Ausspähungsaktionen gegen den CSU-Politiker Peter GAUWEILER 1983 auch in Deutschland bekannt. 100 Seit der Gründung des OSA 1983 ist der Einsatz von Privatdetektiven und anderem externen Personal stetig gewachsen. Nach Angaben eines SO-Aussteigers beschäftigt Scientology in den USA gleich mehrere Firmen.
Obwohl Scientology vorsichtiger geworden ist, sind die bevorzugten Angriffstaktiken gegen SO-Gegner auch in Deutschland die gleichen geblieben: Schmähartikel in der Scientology-Presse, sogenannte Informationsbriefe an Personen des öffentlichen Lebens, offene und verdeckte Sammlung von Informationen über Kritiker (Beschattung, Anrufe mit erfundenem Hintergrund, "Umfragen", etc.), Versenden von Briefen mit falschen Anschuldigungen z.B. an Arbeitgeber von SO-Gegnern, Verleumdungen, Drohungen, Bespitzelung durch Privatdetektive, Einschleusung von Scientology-Agenten in Kritikerorganisationen und -veranstaltungen, Einschüchterung durch Prozeßandrohungen, Strafanzeigen mit konstruierten Anklagen, Unterlassungserklärungen, Zivilklagen, u.a.. Die OSA, so berichten ehemalige Insider, führt über ihre Gegner nach wie vor regelrecht "schwarze Listen".
Im Gegensatz zu den USA sind - soweit ersichtlich - Fälle offener Gewaltanwendung in Deutschland bislang nicht bekannt geworden. Die Verhältnisse in den USA, wo Scientology weitaus mächtiger ist, zeigen aber, daß die Organisation willens und in der Lage ist, gemäß der "Freiwild"-Doktrin 101 auch entsprechende Druckmittel anzuwenden, sofern es für Scientology von Nutzen ist und nur geringe Risiken bestehen, dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die schärfsten Angriffe startet die SO aber heute über ihre Rechtsanwälte. 20 Millionen Dollar sollen sie Scientology jährlich kosten. Die Scientology-Anwälte decken Kritiker und Feinde, in den USA sogar Richter, mit Prozessen ein, frei nach dem HUBBARD-Wort: Prozesse führt man mehr, um zu zermürben und abzuschrecken, als um Recht zu bekommen. In den achtziger Jahren gelang es der SO z. B., einen Bundesrichter indirekt zu zwingen, sich wegen Befangenheit aus einem Verfahren gegen Scientology zurückzuziehen, nachdem er durch einen für das OSA tätigen Privatdetektiv in eine Fall mit einer Prostituierten gelockt worden war.
Diese perfiden Taktiken und die mißbräuchliche Ausnutzung des Rechtssystems sind den amerikanischen Gerichten nicht verborgen geblieben: 1996 rügte der California Court of Appeal (Berufungsgericht) die SO ausdrücklich, Rechtsstreitigkeiten zu benutzen, um ihre Gegner zur Aufgabe zu zwingen. Der Federal Court of Appeal in San Francisco beschuldigte Scientology im gleichen Jahr, mit dem Rechtssystem Schindluder zu treiben und verhängte eine Geldstrafe gegen die Organisation von 2,9 Millionen Dollar. 102
Weitere Anhaltspunkte für geheimdienstliche Aktivitäten in Deutschland liefert ein internes Papier vom 12. März 1984. In dieser Postenbeschreibung (Hat Write Up) werden die theoretischen Grundlagen der scientologischen Geheimdiensttaktiken und -arbeitsmethoden detailliert erläutert. Das in deutsch verfaßte Geheimdienstpapier stammt - darauf sei ausdrücklich hingewiesen - aus einer Zeit, als es das OSA offiziell schon gab. Es basiert weitgehend auf Ausbildungsmaterial des GO aus dem sogenannten "Intelligence Course" vom 09. September 1974. Offensichtlich um zu kaschieren, daß es sich um eine aktuelle Dienstanweisung einer aktuell bestehenden Geheimdienstabteilung in Deutschland handelt, ist es streckenweise in der Vergangenheitsform geschrieben und gebraucht z.T. verallgemeinernde Formulierungen ("... welche Daten man braucht ..."). Durchgängig wird auf die Geheimdienstabteilung des GO, das "Information Bureau", Bezug genommen und erklärt, daß der frühere "Branch I" in zwei Sektionen unterteilt gewesen sei. Die erste Sektion sei für die Datensammlung in allen Formen zuständig gewesen (ODC; CDC), die zweite, die Operationssektion, habe verdeckte Operationen (CO) durchgeführt. Diese Operationen waren zur unmittelbaren Handhabung eines Gegners oder gegnerischen Projektes gedacht. Die Tätigkeit von "Branch I" war auf den Bereich außerhalb Scientology gerichtet, "Branch II" war nach innen gerichtet und befaßte sich mit der internen Sicherheit.
Punkt 1 des Geheimdienstpapiers behandelt den "Aufbau des Netzwerkes". Dazu gehört u.a. das Anlegen von Karteien über potentielle Aktionsfelder und einsetzbare Quellen. Um eine Auswahl an einsetzbaren qualifizierten Personen zu haben, sollen zuerst einmal in allen Missionen und Kirchen der Scientology mit vorgefertigten Umfragebögen u.a. folgende Punkte abgefragt werden: Berufe, Verbindungen zur Politik, Medizin, Pharmazie, Psychiatrie, Presse etc. Die Rückläufe sollen im Hinblick auf die mögliche Rekrutierung von Personen ausgewertet werden. 100
Der nächste Schritt ist die dreistufige sog. "Security Clearance" für die einzusetzenden Personen. Je nach Sensibilität der Operation (ODC, CDC, CO) werden die ausgewählten Mitarbeiter unterschiedlich streng sicherheitsüberprüft.
In der sog. "C-Clearance" für ODC wird nur überprüft, ob die betreffende Person keine "Potential Trouble Source" (PTS) 101 ist und in Scientology gut vorankommt. Zusätzlich wird gefordert, daß eine Art Verzichtserklärung ("Non-Disclosure Bond", sinngemäß: Nichtenthüllungs-Schuldschein) in Höhe von 5.000,- unterschrieben werden muß. Offensichtlich sichert sich Scientology so gegen möglichen Verrat ab.
In der "B-Clearance" wird zusätzlich ein "Security Check" verlangt, der u.a. die Frage beinhaltet: "Bist Du hier aus einem anderen Grund als Du sagst?". Außerdem wird das Einverständnis des Ethik-Offiziers und des zuständigen Fallüberwachers der Organisation eingeholt, der das Auditing der Person überwacht. Die zu unterschreibende sog. Verzichtserklärung beläuft sich auf 30.000,- DM.
Höchster Sicherheitsstandard ist die "A-Clearance", bei der u.a. zusätzlich zur "B-Clearance" der Lebenslauf am E-Meter gecheckt wird, vermutlich um eventuellen Legendenbildungen nachzuspüren.
Ein wichtiger Punkt ist darüber hinaus die Motivation des Agenten. Ihm darf es nicht auf Geld oder eigene Vorteile ankommen, sondern er sollte es möglichst als seine Pflicht betrachten, sich für die Ziele der Scientology auf diesem Gebiet einzusetzen. Ebenso soll darauf geachtet werden, nur Personen zu rekrutieren, die man selbst kontaktiert hat, jedoch niemanden, der von sich aus an das Ermittlungsbüro herangetreten ist, um "mitzuhelfen", also keine Selbstanbieter. Personen, die schon einmal in psychiatrischer Behandlung waren, Drogen genommen haben oder Alkoholprobleme hatten, werden generell abgelehnt. Personen mit hohen Schulden gelten als leichter erpressbar und somit als nicht voll einsatzfähig.
Zur Grundausbildung der Agenten gehört das Studium der einschlägigen HCO Richtlinienbriefe und Bulletins sowie anderer aufgabenspezifischer Schriften von HUBBARD, ferner professionelle Literatur, wie z. B. das Buch "Methodik des Geheimdienstes" von Christopher FELIX (engl. "The Spy and his Masters"). Unter Punkt 2 "Laufen der freien Mitarbeiter" werden kurz einige Grundregeln der konspirativen Agentenführung dargestellt:
"Bei Personen, die auf vertraulichen und sehr vertraulichen Projekten gearbeitet haben, wurden intern Codenamen wie "Andy" oder "Otto" verwendet, damit man sich intern nicht verplappert. Bei Personen, bei denen nach Möglichkeit nicht bekannt werden soll, daß sie eine Verbindung zur Kirche haben oder eine Verbindung zum Dept. 20, sind Treffs außerhalb zu empfehlen."
Punkt 3 behandelt die Formen der Sammlung und Auswertung von Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen (Staats- und Universitätsbibliotheken, öffentliche Archive, Zeitungsarchive, Vereinsregister, Handelsregister, etc.). Zur offenen Informationssammlung gehören auch die sog. "Noisy Investigations", d.h. lautstarke Untersuchungen gegen vermeintliche Scientology-Kritiker, um diese zu diskreditieren und um möglichst weitere Informationen über die betreffende Person zu erhalten, die gegen sie verwendet werden kann. Das persönliche Kontaktieren "natürlicher Feinde", so der Geheimdienstleitfaden, bringe hierbei am meisten.
Bei der verdeckten Datensammlung (Punkt 4) müsse zunächst geklärt werden, mit welcher Tarnung oder passenden Verkleidung ("suitable guise") am besten gearbeitet werden kann, um an die gewünschten Informationen heranzukommen. Im einzelnen werden Taktiken beschrieben, wie man sich Zielpersonen persönlich oder beruflich unerkannt nähern oder sich in deren Umfeld plazieren kann. Hierzu werden die entsprechenden Kapitel zur "Kunst der Tarnung" im bereits genannten Buch von Christopher FELIX empfohlen.
Zur wenige Jahre zuvor noch praktizierten Strategie der Einschleusung von Agenten führt der Geheimdienstleitfaden interessanterweise aus, daß diese "bisher (sic!) wenig gebracht" habe, da der Agent häufig einer Verschwiegenheitspflicht unterliege und sich bei Verstößen dagegen strafbar mache. Informationen nützten Scientology aber nur, wenn sie auch verwertbar seien. Zum Thema "Einschleusung bei Regierungsstellen" wird festgestellt:
"NO WAY. Niemals, ist illegal und darf niemals gemacht werden oder ins Auge gefaßt werden. Hier bleibt nur der Weg über Akteneinsichten in Zusammenhang mit Prozessen offen."
Wie oben bereits ausgeführt, hat die SO dazugelernt und ihre Vorgehensweise z.T. umgestellt. Da ihre Absichten und Ziele jedoch die gleichen geblieben sind, ist ihren Beteuerungen nach wie vor zu mißtrauen. Z.B. ist weiterhin eine Richtlinie in Kraft, die besagt, daß die SO alle sie betreffenden Dokumente in ihren Besitz bringen will, auch solche, deren Existenz offiziell nicht bestätigt wird.105 Infolgedessen kann die SO sich diese auch nicht auf legalem Wege zugänglich machen.
Ausführlich wird auch die Vorgehensweise bei der sogenannten "Dust Bin Collection" (DBC, "Mülleimer-Sammlung") beschrieben. Damit ist das Durchstöbern von Mülleimern von Zielpersonen auf der Suche nach verwertbarem Papierabfall gemeint. Diese Form der Datensammlung sei bislang nur bei einer feindlichen Gruppe angewendet worden, dafür aber sehr erfolgreich! Die gesammelten Dokumente und Informationen hätten in der vorgefundenen Form zwar nicht verwertet werden können, es hätten sich daraus aber sehr wertvolle Hinweise ergeben. Abschließend warnt der Autor allerdings:
"In der BRD ist noch nicht bekannt, daß diese Art der Datensammlung gemacht wird, es sollte als sehr vertraulich behandelt werden, auch die Tatsache, daß so etwas überhaupt möglich ist. In den USA ist die DBC schon zum Gegenstand eines Gerichtsverfahrens geworden, das gewonnen wurde, und es nun feststeht, daß das gesammelte Material auch gerichtlich als Beweismaterial verwendet werden kann."
Bereits 1984 gab es Anhaltspunkte dafür, daß die DBC auch in Deutschland praktiziert wird. Ein vertraulicher Bericht über ein Treffen von deutschen Scientologen mit einem Münchener Privatdetektiv 1983, der SO-Kritiker ausspähen sollte, erwähnt unter dem Punkt "Empfehlungen" ausdrücklich:
"Das Project "Dustbin Data" ("Müllkasten Daten") über ... soll auch gestartet werden, da es dort auch gute Beweise geben kann." 106
1993 gelang es dem SO-Aussteiger Larry WOLLERSHEIM, sich einen an ihn adressierten Briefumschlag von einem Privatdetektiv zurückzuholen, der eindeutig bewies, daß sein Papierabfall durchsucht worden war. In den neunziger Jahren habe es, so Jon ATACK, eine Reihe ähnlicher Fälle gegeben. Und auch Robert Vaughn YOUNG berichtet davon, daß ihm Müll "gestohlen" worden sei (s.u.).
Punkt 6 der Postenbeschreibung behandelt sogenannte "Vorhersagen" (Predictions) und "Einschätzungen" (Estimations). Die "Vorhersagen" beziehen sich auf taktische Ereignisse, wie z.B. eine Veranstaltung von Scientology-Kritikern, die besucht wurde. Die SO versucht, alle möglichen "Kommunikationslinien" zu nutzen, um an Daten für "Vorhersagen" heranzukommen, d.h. in Erfahrung zu bringen, welche aktuellen Aktivitäten gegen Scientology im Gange sind. Die Ermittlungsergebnisse setzen sich meistens aus CDC-Informationen zusammen und werden in einem Bericht ("Data Report") zusammengefaßt. Diese Ermittlungen sollen helfen, Überraschungsangriffe des Gegners zu verhindern; man will diesem immer einen Schritt voraus sein:
"Als das Netzwerk (Anmerkung: zu Zeiten des GO) noch gut ausgebaut war, regelmäßig die Gegner ausgecheckt wurden ... ist es nur in ganz seltenen Fällen zu einem Überraschungsangriff durch die Gegner gekommen."
Die sog. "Einschätzungen" entsprechen Lagebildern und Analysen. D.h., die SO versucht, auf der Grundlage des gesammelten und ausgewerteten Datenmaterials mutmaßliche Pläne und Strategien des jeweiligen Gegners zu analysieren (z. B. Gesetzesvorhaben), um zu langfristigen Einschätzungen zu kommen und Gegenstrategien entwickeln zu können.
Die unter Punkt 7 genannten "Operationen" bestehen aus Untersuchungsaktionen (Investigations, "Branch I"-Aktionen), PR-Aktionen (wie Pressemitteilungen, Presseartikel produzieren, Lobby-Aktionen) und aus rechtlichen Aktionen, sei es, daß Scientology selber z.B. Strafanzeigen stellt oder sich in Verfahren verteidigen muß.
Aus dem Inhalt dieses Geheimdienstpapiers läßt sich nur folgern, daß sich an den Taktiken des scientologischen Geheimdienstes grundsätzlich nichts geändert hat. Die bisherigen und die im folgenden dargelegten Erkenntnisse begründen den Verdacht, daß das OSA bei seinen geheimdienstlichen Aktivitäten mit der gleichen Energie und Zielstrebigkeit zu Werke geht wie einst das GO. Ähnlich zweideutig wie die angebliche Aufhebung des „Freiwild“-Gesetzes ist z.B. auch die nach wie vor aktuelle Anweisung von HUBBARD formuliert, daß „keine Aktivität, die einen Ermittler strafrechtlicher Verfolgung aussetzt, angeordnet werden darf“ (H.n.i.O.). 107 Die Vorgänge in den siebziger Jahren haben gezeigt, wie diese Anweisung offensichtlich verstanden wird: Ihre Beachtung soll verhindern, daß Straftaten von Geheimdienstagenten direkt der SO zugerechnet werden können.
Ein aktuelles Fallbeispiel dafür, daß auch in den neunziger Jahren noch die gleichen Methoden der Feindbekämpfung einschließlich des sog. "Freiwild"-Gesetzes angewendet werden, ist das Ehepaar Robert Vaughn YOUNG und Stacy BROOKS YOUNG. In seiner Zeugenaussage vom 11. Januar 1995 wies Robert Vaughn YOUNG zunächst darauf hin, daß alle HUBBARD-Richtlinien, auf die sich die "Freiwild"-Praktiken und die Haßkampagnen der SO gründen, einschließlich der GO-Erlasse, weiterhin gültig seien, weil sie nicht aufgehoben oder inhaltlich geändert werden könnten. Den Beweis dieser Feststellung hätten er und seine Frau selber erfahren müssen:
"Meine Frau und ich sind "Freiwild"-Zielscheibe gewesen. In unser Haus ist zweimal eingebrochen worden (wobei unser Büro das einzige Ziel war), unser Abfall ist gestohlen worden, in unserem Haus wurden Wanzen angebracht, unsere Familien haben nervenaufreibende anonyme Anrufe erhalten, wir sind verfolgt worden, und wir wurden heimlich fotografiert. Freunden, die uns besuchen, ist man gefolgt, ihren Fahrzeugen wurde nachgespürt und dann sind sie mit der Absicht besucht worden, sie zu schikanieren. Auch verdeckte Agenten oder Spione verschiedener Art, die entweder INGRAM (Anmerkung: Privatdetektiv der SO) oder dem OSA unterstehen, haben sich an uns gewandt. ... Seitdem wir uns zu einem Gespräch mit der deutschen Zeitschrift "Focus" bereiterklärt haben 108, haben sich die Scientology-Angriffe verstärkt. ... Der Zweck der Scientology-Attacke gegen meine Frau und mich ist, uns zum Aufhören zu bewegen ... Eine Zeitlang haben sie mich als "Pornografie-Herausgeber" bezeichnet. Die Grundlage war ein Packen Pornografiematerial, das mir zugeschickt wurde und das sie dann - mit dem an mich adressierten Umschlag - aus meinem Abfalleimer herausfischten, mit der (falschen) Behauptung, ich sei der "Herausgeber" des Materials, während alles, was ich getan hatte, darin bestand, es wegzuwerfen. Seitdem ich deutlich meine Meinung über ihre Taktik in Deutschland geäußert habe, haben sie mich als Neonazi bezeichnet und mich vor einem Restaurant mit jemanden fotografiert, den sie einen Neonazi nennen."
Diese Attacken gegen YOUNG können vom Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg teilweise bestätigt werden. Am 03. Februar 1995 verteilten Hamburger Scientologen ein Flugblatt mit der Überschrift "Kooperiert CABERTA mit Neo-Nazis?", in dem YOUNG, der sich zu der Zeit in Hamburg u.a. bei der Arbeitsgruppe Scientology (AGS) aufhielt, als "Kollaborateur der amerikanischen Antisemitismus-Bewegung" bezeichnet wird. Das Flugblatt zeigte u.a. ein Foto von YOUNG zusammen mit Willis CARTO, dem Gründer des amerikanischen "Institute for Historical Review" (IHR), einer in rechtsextremistischen Kreisen weltweit bekannten revisionistischen und neonazistisch beeinflußten Einrichtung für Geschichtsforschung. YOUNG, so die Unterstellung, habe also Verbindungen ins rechtsextremistische Lager. Die Zusammenarbeit YOUNGs mit der Leiterin der AGS, Ursula CABERTA, sei ein weiterer Beleg dafür, daß diese in ihrem "Bestreben, eine Religionsgemeinschaft zu vernichten, Hilfe aus dem kriminellen Milieu in Anspruch" nehme. In dem Flugblatt wurde zudem die bereits erwähnte Behauptung wiederholt, YOUNG hätte sich nach seiner Trennung von Scientology u.a. als "Lektor pornografischer Schriften versucht".
An mindestens einem Punkt kann nachgewiesen werden, daß Scientology bewußt die Unwahrheit verbreitet hat: Aus Unterlagen, die dem Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg vorliegen, geht hervor, daß nicht YOUNG, sondern die SO engste Verbindungen zum IHR unterhält! Seit Oktober 1993 ist der Scientologe Tom MARCELLUS neuer Direktor des IHR und vermutlich einer derjenigen, die beim Komplott gegen YOUNG mitwirkten. Das Treffen mit dem entmachteten ehemaligen Leiter Willis CARTO im Februar 1994 sei, so versichert YOUNG glaubwürdig, auf dessen Drängen zustande gekommen, da CARTO wissen wollte, warum sich die SO für das IHR interessiert. Das Treffen sei von einem Privatdetektiv der SO observiert und fotografiert worden, um ihn, YOUNG, zu diskreditieren. Der Fall YOUNG ist ein Paradebeispiel für die bis in die jüngste Zeit üblichen skrupellosen "Schwarze Propaganda"-Taktiken der SO.
Bestätigt werden die von YOUNG und anderen Aussteigern und Kritikern bezeugten Verfolgungspraktiken und Machenschaften des OSA u.a. von dem ehemaligen OSA-Agenten Garry SCARFF, der im September 1992 die Organisation verließ. In einer am 04. April 1994 vorlegten ca. 240 Seiten umfassenden eidesstattlichen Erklärung 109 gab SCARFF an, vom OSA-Büro in Los Angeles zur Begehung von Straftaten angestiftet worden zu sein. Zu seinen Aufträgen habe es z.B. gehört, Scientology betreffende Gerichtsunterlagen zu stehlen. Anfang der achtziger Jahre hatte SCARFF beruflich Zugang zu einem bundesweiten Computersystem der Polizei. 110 Er sei angewiesen worden, systematisch anhand von vorgegebenen Listen Namen von Scientology-Gegnern abzufragen, um so auf eventuell registrierte Straftaten zu stoßen. Der erklärte Wille der Organisation sei es, so SCARFF, ihre entschiedendsten Gegner vollkommen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu vernichten. Sogar vor Mord schrecke die SO nicht zurück. Im Oktober 1991 hätte er den Auftrag erhalten, die damalige Leitende Direktorin der Hilfsorganisation „Cult Awareness Network“ (CAN), Cynthia KISSER, mittels eines fingierten Autounfalls zu töten. Sollte dieses Komplott scheitern, sei ihm juristische Unterstützung seitens der eingeweihten scientologischen Anwaltskanzlei BOWLES & MOXON zugesichert worden, die im gleichen Gebäude direkt über den OSA-Büros residiert. Im Dezember 1991 sei der zweite Auftrag vergeben worden. Diesmal sollte sich der Mordanschlag - ebenfalls per Auto - gegen den Rechtsanwalt Ford GREENE richten, der ehemalige Scientologen, z.B. Gerald ARMSTRONG, vor Gericht vertrat.
SCARFF habe diese Aufträge wegen Gewissenskonflikten jedoch nicht ausgeführt, sondern sich der Kriminalpolizei von Portland/Oregon offenbart. Zuvor, so SCARFF, sei er gewarnt worden, man würde ihn umbringen, falls er jemals auspacken und die SO oder BOWLES & MOXON belasten würde. Falls man ihn nicht erwische, würde man seine Eltern töten. Am 02. April 1997 strahlte der WDR eine Reportage über Scientology aus mit dem Titel "Gesucht wird: Die dunkle Seite der Scientology", in der SCARFF seine Anschuldigungen wiederholte. Sichtlich erschüttert befürchtete er deshalb, daß seinen Eltern jetzt etwas angetan würde.
Diesem Druck hielt SCARFF offensichtlich nicht lange stand. Nur drei Monate später wurde im Internet 111 eine Erklärung von ihm verbreitet, in der er angab, mit der SO eine angeblich freiwillige Vereinbarung getroffen zu haben. Darin behauptet er, viele seiner Aussagen in der Eidesstattlichen Versicherung seien Lügen, er selber sei kein glaubwürdiger Zeuge. Als Teil der Vereinbarung mit der SO forderte SCARFF den WDR unter Androhung rechtlicher Schritte auf, auf eine erneute Ausstrahlung des Beitrages vom 02. April 1997 zu verzichten, da er seine "verleumderischen" Anschuldigungen nicht mehr aufrechterhalte. Wenig später kehrte er jedoch zu seinem Rechtsanwalt Graham E. BERRY zurück und berichtete davon, daß er von der SO gefangengehalten und unter Druck gesetzt worden sei. Sein Widerruf sei erpreßt worden. BERRY, der zu den wenigen Anwälten in den USA gehört, die sich noch trauen, gegen die SO anzutreten, hält dies für eine typische OSA-Praxis: Das OSA mißbrauche die Labilität der von ihr benutzten Agenten, um im Falle der Aufdeckung von illegalen Aktivitäten diese weiter manipulieren und ihre Glaubwürdigkeit diskreditieren zu können.
In seiner Zeugenaussage gibt SCARFF unmißverständlich zu verstehen, wie er die SO einschätzt:
„Alles, was man sich anschauen muß, ist die Geschichte der Church of Scientology. Man braucht sich nur die dokumentierten Fakten und Beweise anzuschauen, die wir gegen BOWLES & MOXON und die Church of Scientology haben, und man weiß, daß es keinen Zweifel daran gibt, daß die Church of Scientology eine kriminelle Organisation ist, nach innen wie nach außen, und all die Funktionäre und Rechtsanwälte innerhalb der Church of Scientology ... sind Bestandteil dieser kriminellen Organisation, und sie alle gehören hinter Schloß und Riegel.“ 112
BERRY beurteilt die Aussichten, die Organisation hinsichtlich der ihr vorgeworfenen strafbaren Handlungen zu überführen, trotz der Fülle von Zeugenaussagen und Anhaltspunkten eher skeptisch. Die Strafverfolgungsbehörden in Los Angeles hätten ihm zu verstehen gegeben, daß sie sich aus personellen, organisatorischen und - angesichts der enorm hohen Kosten - auch aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sehen, ein umfangreiches Strafverfahren gegen die SO bzw. betroffene Scientologen erfolgreich durchzustehen. Diese Aussage kommt letztlich dem Eingeständnis gleich, vor der Macht von Scientology zurückweichen zu müssen.
Eine ähnliche Entwicklung ist in Deutschland gegenwärtig zwar nicht zu befürchten, dennoch spricht vieles dafür, daß die Verhältnisse hier nicht wesentlich anders aussähen, wenn die SO entsprechende Entfaltungsmöglichkeiten hätte bzw. ihr solche eingeräumt würden. Auch wenn deutschen Scientologen bislang - soweit ersichtlich - keine vergleichbaren Straftaten wie in den USA nachgewiesen werden konnten, geben die bisherigen Erfahrungen und Verdachtsmomente sowie die Feststellungen der Münchener Staatsanwaltschaft, daß die SO im Grenzbereich zur Illegalität operiere und auch gegebenenfalls vor kriminellen Aktionen nicht zurückschrecke, weiterhin Anlaß, die Aktivitäten des OSA in Deutschland aufmerksam zu beobachten.
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