Zum Amygdalin bzw den Aprikosenkernen gibt es eine neue Stellungnahme des BfArM vom September 2014.
Es wäre sehr zu begrüßen, wenn Aussagen nicht so verdammt schwammig wären!
http://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Bulletin/2014/3-2014.pdf?__blob=publicationFile&v=3[*QUOTE*]
-------------------------------------------------------------------------------
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM, Bonn) und Paul-Ehrlich-Institut (PEI, Langen)
Beide Institute sind Bundesoberbehörden im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit.
[...]
BULLETIN ZUR
ARZNEIMITTELSICHERHEIT
Informationen aus BfArM und PEI
INHALT Ausgabe 3 | September 2014Seite 07
// Amygdalin – fehlende Wirksamkeit und schädliche Nebenwirkungen //N. LILIENTHAL
(BfArM)
Amygdalin-haltige (beziehungsweise seine Derivate Mandelonitril, Mandelonitril-Glykoside oder Laetrile enthaltende) Arzneimittel sind in Deutschland nicht zugelassen und nach § 5 Abs. 2 AMG nach Ansicht des BfArM als bedenklich einzustufen. Sie werden dennoch seit einiger Zeit wieder verstärkt – auch unter der falschen Bezeichnung „Vitamin B17“ – als alternatives Heilmittel in der Krebstherapie und zur Tumorprophylaxe beworben und eingesetzt. Dieser Artikel gibt eine Übersicht über den aktuellen wissenschaftlichen Stand und die regulatorischen Hintergründe zum Wirkstoff Amygdalin.
HERSTELLUNG UND WIRKMECHANISMUSBei Amygdalin handelt es sich um eine natürlich vorkommende Substanz, die unter anderem in bitteren Aprikosen-, Pfirsich-, Pflaumen- und Mandelkernen sowie in Samen von weiteren Steinfrüchten enthalten ist. Bittere Aprikosenkerne – genau wie Bittermandelkerne – enthalten bis zu acht Prozent Amygdalin. Aus diesen Kernen isolierte Ernst Krebs Jr. in den 1950er Jahren die Substanz. Der Wirkstoff wird durch Extraktion und Aufreinigung aus den Kernen gewonnen und anschließend zum Verkauf angeboten. Nicht immer verläuft dieses Verfahren reibungslos, sodass in der Vergangenheit auch mikrobiologisch kontaminierte Amygdalin-Präparationen im Umlauf waren. 1
Amygdalin gehört zur Gruppe der cyanogenen Glykoside. In Gegenwart von Wasser und dem Enzym β-Glucosidase wird aus Amygdalin Blausäure (Cyanwasserstoff; Salz: Cyanid) freigesetzt. Zur besseren Lesbarkeit wird im weiteren Verlauf des Artikels nur die Bezeichnung Cyanid verwendet. Das entstehende Cyanid hemmt effektiv die Cytochrom-c-Oxidoreduktase (Komplex IV) der Atmungskette. Die Energiegewinnung der Zelle versagt und eine „innere Erstickung“ ist die Folge. Kerne der oben genannten Früchte enthalten neben Amygdalin auch β-Glucosidase, daher ist dringend vom Verzehr von Aprikosenkernen abzuraten. Geringe Mengen können zwar durch Stoffwechselvorgänge entgiftet werden, allerdings kann bereits der Verzehr von mehr als zwei bitteren Aprikosenkernen laut einer Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) aus dem Jahre 2007 gesundheitsbedenklich sein. Kinder sollten ganz auf den Verzehr verzichten. 2
WIRKUNGSWEISE AUS SICHT DER ALTERNATIVMEDIZINVon den Befürwortern der Amygdalin-Therapie werden verschiedene Theorien für eine selektive Wirkungsweise von Amygdalin in der Tumortherapie postuliert, nach denen ausschließlich Krebszellen geschädigt werden. Eine These beschäftigt sich mit dem Ungleichgewicht der Enzyme β-Glucosidase, β-Glucuronidase und Rhodanase in Tumorzellen gegenüber gesunden Zellen. Wie erwähnt, wird in Gegenwart von Wasser und dem Enzym β-Glucosidase aus Amygdalin toxisches Cyanid abgespalten. Ob diese Abspaltung im menschlichen Körper auch durch das Enzym β-Glucuronidase erfolgen kann, ist umstritten. Gesichert ist hingegen, dass Cyanid durch Rhodanase in das weniger giftige Thiocyanat umgewandelt wird. Therapiebefürworter begründen die „selektive“ Wirkung von Amygdalin mit angeblich deutlich höheren β-Glucosidase-, β-Glucuronidase- und/oder deutlich niedrigeren Rhodanase-Spiegeln in Krebszellen (Zusammenfassung und Literatur in PDQ 3 ). Diese These wurde bereits in den 1980er Jahren durch Messungen des β-Glucosidase-, β-Glucuronidase- und Rhodanase-Gehaltes in
Seite 08
gesundem und Tumorgewebe widerlegt. 4–6 Die Konzentrationen dieser Enzyme unterscheiden sich nicht in relevantem Maße zwischen gesunden Zellen und Tumorzellen. Dies deckt sich auch mit Ergebnissen aus Studien des National Cancer Institute (NCI) in den USA. 7 In diesen Studien wurde Amygdalin allein und in Kombination mit β-Glucosidase in Mäuse mit verschiedenen Tumoren gespritzt. Die Behandlung zeigte keinerlei Wirkung auf den Tumor, allerdings eine erhöhte Rate an Nebenwirkungen, wenn β-Glucosidase zusammen mit Amygdalin injiziert wurde.
Eine weitere Theorie definiert Krebs als „metabolische Erkrankung“, basierend auf Vitaminmangel. Amygdalin, als sogenanntes „Vitamin B17“ bezeichnet, wird in dieser Theorie als das wichtige fehlende Vitamin postuliert. Oftmals wird die Therapie auch mit hochdosierten Vitamin-C-Infusionen „begleitet“. Da Amygdalin für einen normalen Metabolismus des Menschen nicht notwendig ist, trifft die Bezeichnung von Amygdalin als „Vitamin B17“ nicht zu und ist irreführend. 8, 9
Dessen ungeachtet wird Amygdalin seit den 1970er Jahren von seinen Verfechtern als Vitaminpräparat propagiert. Nachdem dieser Wirkstoff zu dieser Zeit in den USA keine Zulassung als Arzneimittel erhalten hatte und seine Anwendung in der Krebstherapie somit verboten war, wurde er mehrere Jahrzehnte nach seiner Entdeckung zum Vitamin erklärt. In der Folgezeit wurde Amygdalin unter dem Namen „Vitamin B17“ als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben und fand so ohne Zulassung unter dem Deckmantel der freien Selbstbestimmung der Patienten weiterhin Anwendung als Krebstherapeutikum. 10, 11
Dies führte dazu, dass die Verwendung von Amygdalin in den USA, u.a. aufgrund eines Gerichtsurteils in Oklahoma am 24. März 1987, vollständig unterbunden wurde. 12
KEINE KLINISCHEN BELEGE FÜR WIRKSAMKEIT VON AMYGDALIN IN DER KREBSTHERAPIENach aktuellem wissenschaftlichem Erkenntnisstand ist die Wirksamkeit von Amygdalin in der Krebstherapie nicht belegt. Kürzlich schrieb der stern, auf Grundlage von bisher unveröffentlichten Ergebnissen einer Frankfurter Forschergruppe, in einer Randnotiz von „neusten Forschungen“, die eine „Anti-Krebs-Wirkung – zumindest im Zellexperiment“ zeigen. 13 Die klinische Relevanz der in diesem Beitrag angeführten Zellexperimente (in vitro) ist allerdings sehr begrenzt. Tausende Stoffe haben bisher in vitro Toxizität gegen Krebszellen gezeigt, waren aber später beim Patienten wegen fehlender Wirkung oder zu hoher Toxizität nicht anwendbar. Zudem wurden auch in der Vergangenheit bereits einige Studien zumeist aus dem asiatischen Raum publiziert, die in vitro eine Toxizität von Amygdalin gegen Krebszellen gezeigt hatten, eine davon berichtete sogar über Wirkung in einem Tumormausmodell. 14
Demgegenüber stehen wiederum verschiedene Untersuchungen, die das Gegenteil zeigten. 15–17
Diese präklinischen Studien können den Goldstandard für die Ermittlung der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit einer Substanz beim Menschen, die klinische Prüfung beim Menschen, nicht ersetzen.
Als Beweis für die Wirksamkeit von Amygdalin gelten in der Alternativmedizin weiterhin eine Vielzahl von Anekdoten, aber auch einige dokumentierte Berichte über Einzelfälle und Fallserien mit therapeutischen Erfolgen einer Amygdalin-Therapie von Krebspatienten. Problematisch ist, dass sich diese Fälle fast ausnahmslos nicht verifizieren lassen oder methodisch fragwürdig sind. 18
Eine umfassende Analyse derartiger Einzelfälle und Fallserien wurde in den 1970er Jahren durch die amerikanische Arzneimittelbehörde Federal Drug Administration (FDA) durchgeführt. In einem landesweiten Aufruf wurden über 450.000 Ärzte und Heilpraktiker aufgefordert, Einzelfälle zum Nachweis der Wirksamkeit von Amygdalin einzureichen. Obwohl bereits zu dieser Zeit von Verfechtern der Amygdalin-Therapie von Behandlungserfolgen bei „Tausenden von Patienten“ gesprochen wurde, gingen nur 93 Einzelfälle zur Beurteilung ein, die von Behandlungserfolgen in der Krebstherapie sprachen. Die verblindete Analyse dieser Fälle erbrachte nach Ansicht des beteiligten Expertengremiums keinen Hinweis auf eine Wirksamkeit. Dem-09 gegenüber standen – obwohl nicht nachgefragt – Berichte von 220 Ärzten mit Daten von über 1.000 Patienten, die Amygdalin erhalten hatten, ohne eine Wirkung oder positiven Nutzen beobachtet zu haben. 19
Die Zulassung von Amygdalin in den USA scheiterte in der Folge mehrfach an nicht erbrachten Wirksamkeitsnachweisen. Den wissenschaftlichen Schlusspunkt unter die Debatte um die behauptete Wirksamkeit in der Krebstherapie setzte 1982 eine vom National Cancer Institute (NCI) und FDA gesponserte Phase-II-Studie, die zu dem eindeutigen Schluss kam, dass Amygdalin unwirksam in der Krebstherapie und mit zum Teil erheblichen Nebenwirkungen behaftet sei. 20
Problematisch ist weiterhin, dass in der Alternativmedizin vielfach der Ansatz vertreten wird, dass sich Amygdalin nicht mit konventionellen Therapien der Schulmedizin vertragen würde. Der Verzicht potenziell lebensrettender Therapien ist die Folge. Dramatisch sind in diesem Zusammenhang mehrere dokumentierte Fälle von krebskranken Kindern mit guten Heilungschancen, bei denen die Eltern die Standardchemotherapie zugunsten von Amygdalin ablehnten. Die Krankheit schritt fort und die Kinder starben. 21, 22
Auch der häufig beworbene Nutzen der präventiven Einnahme von Amygdalin zur Vorbeugung von Krebserkrankungen konnte nicht belegt werden. 23 In verschiedensten Experimenten wurden Mäusen mit Neigung zu Krebserkrankungen große Mengen Amygdalin injiziert. Diese Tiere entwickelten genauso häufig Tumore wie unbehandelte Tiere. 15
Tabelle 1: Behandlungsschemata Amygdalin in der Studie von Moertel et al. (1982) 20(Formatierung zerstört => unbedingt das Original ansehen!)
Substanz
Standarddosis Hochdosis
intravenöser Zyklus 4,5 g/m 2 KOF/Tag für 21
Tage 7 g /m 2 KOF/Tag für 21
Tage
orale Erhaltungstherapie 3 x 0,5 g/Tag 4x 0,5 g/Tag
A 25.000 U/Tag 100.000 U/Tag
C 2 g/Tag 10 g/Tag
E 400 U/Tag 1.200 U/Tag
1 Kapsel/Tag 1 Kapsel/Tag
12 Tabletten/Tag 12 Tabletten/Tag
Amygdalin
Vitamine
B Komplexe & Mineralien
pankreatische Enzyme (Viokase ® )
Ausgabe 3 | September 2014
// ARZNEIMITTEL IM BLICK //
Seite 10
TOXIZITÄT VON AMYGDALINNach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen steht außer Zweifel, dass Amygdalin-enthaltende, auch in ausreichender pharmazeutischer Qualität hergestellte Zubereitungen toxisch wirken können. Diese Toxizität lässt sich insbesondere anhand der Studie von Moertel et al. nachweisen. 20 In dieser 1980 durchgeführten Studie wurden 178 Krebspatienten gemäß den publizierten Vorgaben von Krebs Jr. mit
Amygdalin behandelt. Bereits eineinhalb Jahre später waren 152 Patienten verstorben. Die Patienten waren zwei Therapiegruppen zugeteilt worden (Tabelle 1, Seite 9), die gängigen Behandlungsschemata der Amygdalin-Therapie entsprachen.
Nach der oralen Einnahme der empfohlenen Dosis Amygdalin wurden die Blutcyanidwerte der Patienten verfolgt und nachgewiesen, dass diese nach Einnahme von Amygdalin anstiegen (Mittelwert: 0,7 μg/ml). Es traten Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und Erbrechen auf und vier Patienten erlitten eine Dermatitis. Einen weiteren Hinweis für einen kausalen Zusammenhang zwischen der oralen Einnahme des Amygdalins und den oben beschriebenen Symptomen zeigt das umgehende Abklingen der Symptome nach Absetzen der Therapie. Bei fünf Patienten wurden Werte erreicht, für die bereits Todesfälle durch Cyanidvergiftungen beschrieben waren (>3 μg/ml). Bei drei dieser fünf Patienten traten zusätzliche Symptome einer Cyanidintoxikation wie Bewusstseinsstörungen, Tachykardie und Luftnot auf, bei einem Patienten kam es daraufhin zum dauerhaften Therapieabbruch. Es zeigte sich deutlich, dass die Verträglichkeit von Amygdalin/Cyanid sehr unterschiedlich sein kann. Obwohl die Patienten einer Behandlungsgruppe der Studie dieselbe Menge Amygdalin zu sich nahmen, wurden bei einigen Patienten nur leicht erhöhte, jedoch bei anderen potenziell lebensgefährliche Blutcyanidkonzentrationen gemessen. Zusätzlich blieben einige Amygdalin-Konsumenten trotz hoher Blutcyanidkonzentrationen symptomfrei, wohingegen andere bei recht niedrigen Amygdalin-Dosen bereits Nebenwirkungen zeigten.
In der Literatur sind zudem schleichende Cyanidvergiftungen von Menschen, die über Jahre Aprikosenkerne gekaut oder Amygdalin zu sich genommen hatten, ebenso wie schwerwiegende Nebenwirkungen und Todesfälle bei relativ geringen Dosen von Amygdalin dokumentiert (Tabelle 2).
Die oben genannten Beispiele zeigen, dass bei oraler Einnahme von Amygdalin mit teils gravierenden Nebenwirkungen zu rechnen ist.
Im Gegensatz zur oralen Gabe von Amygdalin kann anhand der vorliegenden Literatur ein Zusammenhang von intravenös (parenteral) verabreichtem Amygdalin mit Toxizität oder erhöhten Blutcyanidwerten nicht sicher nachgewiesen werden. Eine LD 50 nach i.v.-Applikation bei Ratten oder Mäusen ist nach Kenntnis des Autors nicht dokumentiert. In einer Studie an sechs gesunden Probanden gab es nach der parenteralen Applikation von 4,5 g / m2/Tag (ca. 7,5 g/Person/Tag) Amygdalin über 21 Tage keine Anzeichen von klinischen Symptomen. Erhöhte Blutcyanidspiegel wurden nicht gemessen. 41
Über Langzeiteffekte und weitere mögliche Nebenwirkungen lässt sich anhand der Studienlage keine Aussage treffen.
Es ist zu beachten, dass die oben genannten Studien und Experimente mit reinem Amygdalin durchgeführt wurden. Eine Kontamination der Amygdalinpräparationen mit β-Glucosidasen, wie z.B. häufig in Präparationen aus Aprikosenkernen zu finden, kann die Hydrolyse des Amygdalins deutlich steigern und gegebenenfalls die Toxizität erheblich erhöhen. Im Falle einer solchen Verunreinigung kann auch nach parenteraler Applikation eine Cyanidintoxikation nicht ausgeschlossen werden.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Ausmaß der Toxizität einer Amygdalin-Therapie auf den einzelnen Patienten nicht vorhersagbar ist. Aufgrund des beschriebenen Risikoprofils und dem nach jahrzehntelangem Gebrauch fehlenden Wirksamkeitsnachweis kommen auch neuere Reviews zu dem Schluss, dass Amygdalin in der Krebstherapie nicht zu empfehlen sei. 42, 43
Seite 11
Tabelle 2: Dokumentierte Nebenwirkungen von Amygdalin(Formatierung zerstört => unbedingt das Original ansehen!)
Umstände der Ein-
nahme/Indikation Ge-
schlecht Alter Dosis Amygdalin/Applikati-
onsweg, Begleittherapie Dauer Humbert (1977) 24 versehentliche
Einnahme weiblich 11 M 2,5 g oral einmalig Erbrechen, Koma, Azidose, Cyanid-
vergiftung, Tod 2,9 μg/ml
Smith (1977) 25 malignes Lymphom weiblich 48 J 6 mg intravenös wöchentlich/
1,5 g oral täglich 2 Monate Fieber, Abgeschlagenheit, Kopf-
schmerzen, schwere abdominale
Krämpfe, Hepatosplenomegalie 10 μg/ml
Smith (1977) 25 Lungen- und Gehirn-
tumor männlich 46 J 0,5 g oral täglich 6 Monate neuromuskuläre Schwäche n.a.
Sadoff (1978) 26 Astrozytom weiblich 17 J 10,5 g oral 1 Tag Kopfschmerzen, Schwindel, Kollaps,
Krämpfe, Koma, Tod n.a.
Ortega (1978) 27 Nierenkarzinom männlich 2 J 3,5 mg rektal täglich 2 Tage Erbrechen, Durchfall Maxwell (1978) 28 Sarkom männlich 69 J oral 1 Jahr Schwäche, Benommenheit, Herzrasen,
Kopfschmerzen Herbert (1979) 29 Brustkrebs weiblich 42 J 1 g oral täglich; zerstoßene
Aprikosenkerne n. a. Cyanidvergiftung, Tod Horwitz (1979) 21 akute lymphatische
Leukämie männlich 2 J rektal; Vitamin C, Enzyme,
Folsäure n. a. Cyanidvergiftung Morse (1979) 30 Lungenkrebs weiblich 48 J intravenös, intramuskulär, oral,
rektal 9 Tage Kopfschmerzen, Schwindel, Lethargie,
Luftnot 1,16 μg/ml
Liegner (1981) 31 Pankreaskarzinom weiblich 61 J 1 g oral täglich 5 Jahre Fieber, Schüttelfrost, Abgeschlagenheit,
Agranulozytose n.a.
Vogel (1981) 32 Brustkrebs weiblich 57 J oral Moss (1981) 33 Selbstmordversuch weiblich 32 J 9 g oral Lee (1982) 34 Selbstmordversuch männlich 18 J 3 g oral; diverse Vitamine,
Mineralien, Enyzme etc. n. a. pulmonares Ödem, Hepatosplenomegalie,
Koma, schwere metabolische Azidose Kalynaram
(1983) 35 Lymphom weiblich 67 J 1,5 g oral täglich n. a. Neuromyopathie Beamer (1983) 36 Karzinom männlich 22 J 6–9 g oral 1 Tag schwere metabolische Azidose,
Krämpfe, komatöser Zustand, Muskel-
steifigkeit Leor (1986) 37 Hepatom weiblich 65 J 9 g oral 2 Tage Koma, Hypotension, Azidose 0,23 μg/ml
Hall (1986) 38 n.a. männlich 4 J 6 g oral einmalig Krämpfe, Atemnot, akute Cyanid-
vergiftung 16,3 μg/ml
WHO-DB (2001) n.a. weiblich 8 J 100 ml intravesikal einmalig Erbrechen, Hämaturie n.a.
1 Tag Krämpfe, schwere Laktatazidose,
reduzierter Glasgow Coma Scale
(Bewusstseinsstörung) n.a.
n.a.*
Quelle
Bromley (2005) 39
O ́Brien (2005)
40
Krebs
Brustkrebs
weiblich
weiblich
68 J
3 g; Vitamin C
n. a.
einmalig
Nebenwirkung
max. Blutcyanid-
konzentration
2,14 μg/ml
6 μg/ml
3,8 μg/ml
n.a.
komatöser Zustand, Tod 2,18 μg/ml
metabolische Azidose, Hypoxie 3,85 μg/ml
n.a.
1,92 μg/ml
n.a.
32 J oral 1 Tag schwere metabolische Azidose,
verminderter Bewusstseinsstatus,
kardiorespiratorischer Arrest,
nephrogener Diabetes insipidus n. a. Synkope, schwere Akanthozytose,
hämolytische Anämie n.a.
neutropenische Sepsis innerhalb von
30 min nach Amygdalin-Verabreichung n.a.
verminderter Bewusstseinsstatus,
flache Atmung n.a.
Eudravigilance-
DB (2008) Brustkrebs weiblich 44 J N / A; Perflurocarbon, Hochdosis
Vitamin C, Vitamin K,
extrakorporale Bestrahlung des
Blutes mit Ozon und UV Eudravigilance-
DB (2009) Brustkrebs weiblich 43 J intravenös; Trastuzumab einmalig
Eudravigilance-
DB (2011) Tumorprophylaxe weiblich 50 J 0,5 g oral; Rosuvastatin n. a.
n.a.: nicht angegeben
DB: Datenbank
* Konzentration des Cyanidabbauprodukts Thiocyanat: 445 μM /
Seite 12
REFERENZEN DIE DERZEITIGE RECHTSLAGE IN DEUTSCHLAND1. Davignon JP et al.: Pharma-
ceutical assessment of amygdalin
(Laetrile) products. Cancer Treat Rep.
1978;62(1):99-104
Amygdalin-haltige Produkte, die zur Behandlung von Tumorerkrankungen angeboten werden, sind gemäß § 2 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) Arzneimittel und damit als Fertigarzneimittel zulassungspflichtig. Für Amygdalin besteht jedoch in Deutschland keine Zulassung als Fertigarzneimittel. Ein formales Bewertungsergebnis zur Bedenklichkeit ist bisher nicht in einer arzneimittelrechtlichen Entscheidung niedergelegt. Bedenkliche Arzneimittel sind nach § 5 AMG solche, „bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein ... vertretbares Maß hinausgehen“.
Rezepturarzneimittel mit den Bestandteilen Amygdalin und Thiaminhydrochlorid wurden bereits 1987 vom damaligen Bundesgesundheitsamt als „bedenklich“ im Sinne von § 5 AMG eingestuft. Erst kürzlich (September 2013) listete zudem die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) mit Zustimmung der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) Amygdalin in ihrer Aufstellung bedenklicher Rezepturarzneimittel erneut auf. 44
2. Bundesinstitut für Risikobewertung:
Verzehr von bitteren Aprikosenkernen ist
gesundheitlich bedenklich. Stellungnah-
me Nr. 014/2007des BfR vom 03. Mai
2007;
http://www.bfr.bund.de/cm/343/verzehr_von_bitteren_aprikosenkernen_ist_gesundheitlich_bedenklich.pdf3. PDQ (Physician Data Query) NCI‘s
Comprehensive Cancer Database;
http://www.cancer.gov/cancertopics/pdq/cam/laetrile/HealthProfessional/
page3; Zugriff 26.08.2014
4. Newmark J et al.: Amygdalin (Lae-
trile) and prunasin beta-glucosidases:
distribution in germ-free rat and in
human tumor tissue. Proc Natl Acad
Sci U S A. 1981;78(10):6513-6516
Ein Urteil des OVG Lüneburg aus dem Jahre 2007 lehnt die Einstufung als „bedenkliches Rezepturarzneimittel“ zwar ab. Allerdings handelt es sich dabei um eine Einzelfallentscheidung, welche das BfArM nicht bindet und zudem keine generelle Aussage für alle Rezepturarzneimittel beinhaltet. Dennoch war dieses Urteil Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion.
5. Gal EM et al.: Studies on the
biological action of malononitriles, II:
distribution of rhodanese (transul-
furase) in the tissues of normal and
tumor-bearing animals and the effect
of malononitriles thereon. Cancer Res.
1952;2:574-579
Das Gericht führte aus, dass Amygdalin keine nachgewiesene Wirksamkeit in der Tumorbehandlung habe. Somit ging es in dem Verfahren um die Frage, ob das vorliegende reine Amygdalin schädlich wirken konnte. Hinsichtlich der „Unbedenklichkeit von Amygdalin“ stützte sich das Urteil des OVG Lüneburg in wesentlichen Aspekten auf die Einschätzung eines Gutachters. Dieser beschrieb die gesamte Literatur zur Toxizität von Amygdalin als einseitig, lückenhaft und in erster Linie auf Einzelfällen beruhend. Er führte anhand eigener In-vitro-Toxizitätsuntersuchungen an Krebszellen aus, dass reines Amygdalin nicht toxisch sei, und stellte anhand eines Digestionsmodells die Freisetzung von Cyanid aus hochgereinigtem Amygdalin per se in Frage.
6. Conchie J et al.: Mammalian
glycosidases: distribution in the body.
Biochem J.1959;71(2):318-325
7. Wodinsky I et al.: Antitumor activity
of amygdalin MF (NSC-15780) as a
single agent and with beta-glucosi-
dase (NSC-128056) on a spectrum of
transplantable rodent tumors. Cancer
Chemother Rep. 1975;59(5):939-950
8. Young VR et al.: Vitamins and cancer
prevention: issues and dilemmas.
Cancer. 1981;47(5):1226-1240
9. Jukes TH: Laetrile struggles. Nature.
1976;263(5578): 543
10. Testimony of John A. Richardson,
Robert W. Bradford, Ernst T. Krebs,
Jr., and Bruce Halstead, Banning of
the Drug Laetrile from Interstate
Commerce by FDA, Hearing before the
Subcommittee on Health and Scientific
Research of the Committee on Human
Resources, U.S. Senate, 95th Cong., Ist
sess., 27274. Hereafter, Hearing before
Kennedy Subcommittee.
11. Thomas H: Jukes testimony, vol.
0-1, FDA Administrative Record, Lae-
trile, Docket No. 77N-0048; National
Nutrition Consortium, Inc., Statement
on Laetrile-Vitamin B-17, December
21, 1976
Angesichts der Ergebnisse der oben beschriebenen klinischen Studie, in der 178 Patienten mit hochreinem Amygdalin behandelt wurden, ist diese Einschätzung für das BfArM, unter Berücksichtigung aller vorliegenden Informationen, nicht nachvollziehbar. Da Amygdalin erst im Körper durch Enzyme – hauptsächlich β-Glucosidase – in toxisches Cyanid umgewandelt wird, lässt sich die Humantoxizität einer solchen Substanz aus Ergebnissen von In-vitro-Untersuchungen nicht ableiten. Auch das gewählte Digestionsmodell scheint nicht geeignet, die Cyanidfreisetzung aus reinem (> 97%) Amygdalin zu untersuchen. Zwar lässt sich in einem solchen Modell der Einfluss der wichtigsten Verdauungsenzyme und der pH-Wertänderung bei dem Weg durch den Magen-Darm-Trakt auf einen Stoff (hier: Amygdalin) simulieren. Nicht darstellbar sind jedoch In-vivo-Prozesse wie beispielsweise die Verstoffwechselung von Amygdalin durch die Darmflora.
Mehrere publizierte Untersuchungen zeigen, dass Darmbakterien große Mengen an β-Glucosidase ausschütten und die mikrobielle Aktivität für die Umwandlung von Amygdalin in Cyanid von entscheidender Bedeutung ist. 4, 45– 49 Die Schlussfolgerung des Gutachters, dass durch dieses Modell und nachfolgende In-vitro-Untersuchungen bewiesen sei, dass aus reinem Amygdalin kein nachweisbares Cyanid freigesetzt werde, ist daher aus Sicht des BfArM wissenschaftlich nicht nachvollziehbar. Darüber hinaus sprechen die bereits oben beschriebenen Humanuntersuchungen, bei denen stark erhöhte Blutcyanidwerte nach der Gabe von hochreinem Amygdalin gemessen worden waren, 20, 33, 41, 50 sowie die Fälle teils schwerster Nebenwirkungen bis hin zum Tod nach der Einnahme von Amygdalin (Tabelle 2, Seite 11) nach Einschätzung des BfArM gegen die Bewertung des Gutachters und damit gegen eine Unbedenklichkeit von Amygdalin-enthaltenden, auch in ausreichender pharmazeutischer Qualität vorhandenen Arzneimittelzubereitungen.
-------------------------------------------------------------------------------
[*/QUOTE*]