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Autor Thema: Peter Zeller: 4. Teil: Spezielle Untersuchungen  (Gelesen 3781 mal)

Glückspilz

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Peter Zeller: 4. Teil: Spezielle Untersuchungen
« am: 29. November 2010, 01:40:20 »

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4. Teil: Spezielle Untersuchungen
Redigiert: 17.9.99/Korrektur 7.12.2004
 
Übersicht
 
I  Gründe für den Erfolg der Homöopathie
II  Das Dosisproblem in der homöopathischen Arzneimittelprüfung
III Steiner und die Bleivergiftung
IV  Der moderne Giftbegriff und seine erkenntnistheoretischen Folgen
V  ‘Biophotonen’ und Wärmestrahlung
VI  Popp und Heisenberg
VII  New Age-Physik und Pseudowissenschaft
VIII Lichtnahrung.  
IX  Individuelle Gleichförmigkeit und Beständigkeit der Wahrnehmung
X  Der Beweis über die Analogie
XI  Über die falsche Verwendung anthropomorpher Begriffe
XII  Über Entstehung von Theorien und ihre möglichen Weiterentwicklungen zu Glaubenssystemen.

 
I. Gründe für den Erfolg der Homöopathie

 
 Wir werden die Frage in zweierlei Richtung untersuchen, nämlich primo: Was können die Gründe sein für den Erfolg damals und heute, und secundo: War dieser Erfolg überhaupt ein Erfolg?

 Nimmt man die Zahl der homöopathischen Ärzte als Maßstab, dann war die Homöopathie um 1850 sicher kein großartiger Erfolg. Der überzeugte Homöopath Altschul (Altschul Efim: Systematisches Lehrbuch der theoretischen und praktischen Homöopathie nach den an der k. k. Prager Universität öffentlich gehaltenen Vorlesungen, bearbeitet von Dr. med. Altschul. Verlag von Fr. Aug. Eupel, Sondershausen 1858 ), Dozent der medizinischen Fakultät an der Prager Universität, spricht von „unserem kleinen Reiche“ als Gegensatz zum „großen Lager der alten Schule“ (Altschul, a.a.O., S. 57). Die Überzeugungskraft der homöopathischen Lehre kann man nur aus dem Zustand der damaligen Schulmedizin vestehen.

 Altschul beschreibt im ersten, theoretischen Teil diesen Zustand. Diese offizielle Medizin zerfällt in verschiedene Richtungen, die Altschul so charakterisiert:

1. Die alte naturphilosophische Schule.

Sie will die Krankheitsursache als veranlassende Ursache, causa occasionalis, erkennen und entfernen (causam morbi tollere - die Ursache der Krankheit emporheben); ein Ziel, dem auch der homöopathische Arzt zustimmt. Darüberhinaus will sie das Wesen der Krankheit - causa proxima - erkennen, durch Spekulation. Damit, so Altschul, „fällt sie in das Labyrinth der Täuschung und Trugschlüsse“ (a.a.O. S. 49). So suche Goeden das Wesen der Cholera im Plexus solaris und coeliacus, dagegen Guenther in einer konsensuellen Reizung des Gehirnsytems, Blacke wiederum in einer indirekten Schwäche der Nervenkraft.

 In der Therapie huldigt sie dem Galenschen Grundsatz contraria contrariis curantur. Das System folge als Ganzes aus der Auffassung, daß Gesundheit und Krankheit Gegensätze sind.

 Altschul meint, daß ebendiese Sehweise der Heilkunst auf den ersten Blick zwar einleuchtend, aber doch oberflächlich sei. Nach Krüger-Hansen sei das Wesen der Krankheit „ebensowenig erkennbar als das Wesen und der Grund des Lebens, eine Untersuchung daraufhin ist rein metaphysisch und führt den Arzt in das Reich der Schatten, mit denen sich viel plaudern läßt, die aber nicht antworten, was doch die Hauptsache wäre.“ Diesen Ärzten bleibt in allem nur die Spekulation, die keine taugliche Methode der Wissenschaft ist. (Hierauf legt Altschul großen Wert. Im Gegensatz zu den anderen Richtungen sei die Homöopathie erstmals eine wissenschaftliche Medizin.)

2. Die nihilistische Schule.

Sie läßt jeder Krankheit ihren natürlichen Verlauf. Sie hält zwar Schädlichkeiten vom Kranken ab, greift aber nicht ein, therapiert nicht, denn: Alles bisherige Eingreifen der Ärzte war schädlicher als die Krankheit selbst.

 Doch es gibt Krankheiten, die nicht von selbst heilen, zum Beispiel alle nichtakut verlaufenden Krankheiten, weiters „häutige Bräune, asiatische Cholera, auch Syphilis und Krätze“. „Die Natur tut hier wenig, oder gar nichts - zur Heilung -.“
Der moderne Arzt muß also wegen des fehlenden Therapieangebots diese Richtung ablehnen.

Die Specifiker.

Diese wollen eine Krankheit durch das jeweils spezifische Mittel (specifica morborum) heilen, das dann allerdings erst empirisch gefunden werden muß. Beispiele sind mercurius gegen Syphilis, sulphur gegen Krätze, Chinin oder China gegen Wechselfieber oder intermittierende Zustände, Eisen gegen Anämie (sic!).

 Gleichzeitig stellen sich die Spezifiker gegen aus früheren Zeiten stammende etablierte, aber eben nicht-empirische Behandlungen wie Jod gegen Drüsenleiden, arsenicum gegen Hautkrankheiten.

 Für Altschul ist diese Verfahrensweise inakzeptabel, weil er Empirie mit Unwissenschaftlichkeit gleichsetzt. Es ist eigenartig, daß für ihn (und wohl auch die Ärzte seiner Zeit) empirisch einen deutlich pejorativen Beigeschmack hat: Empirie ist blindes, ungezieltes, dem Zufall überlassenes Suchen; die Methode bietet keine Richtschnur, kein Gesetz für therapeutisches Handeln. Empirie wird damit ein Schimpfwort, die Homöopathie bietet erstmals in der Medizin Wissenschaft: „Allmählich sehen wir die Heilkunde aus dem rohen Zustand der Empirie sich loswinden und ... auf naturgemäßere Principien den großen Bau der Heilwissenschaft aufführen.“  

Die Rademacherianer.

Sie befürworten die empirische Heilmethode, die nach Auffassung ihrer Anhänger sich auf das erfahrungsmäßige Wissen gründet. Dabei unterscheiden sie:

a) die rohe Empirie: Nur das Symptom ist maßgebend; gesucht wird das Mittel, das das Symptom beseitigt,
die reine Empirie, die die Ursache der Symptome herausfindet und dann die Ursache therapiert. Dabei ist nach Rademacher das Wissen um den Wirkmechanismus für das Heilen unerheblich („Wir werden vielleicht nie wissen, warum grade Chinin gegen das Wechselfieber und Jod gegen den Kropf (sic!) hilft“), eine Auffassung, die sich mit der unseren deckt; das Wissen um den Wirkmechanismus ist sicher wünschenswert, aber doch keine Vorbedingung für den Einsatz des Medikaments.
Auch hier, sagt Altschul, ist Kurieren erstmal bloßes Probieren: „Es fehlt also, wie leicht einzusehen, bei der Rademacherschen Methode, die in einem ewigen Probiren besteht, wo und wann ein gewisses Heilmittel anzuwenden sei, der aber jeder sichere und wissenschaftliche Anhaltspunkt für ihr Handeln mangelt, jedes wissenschaftliche Grundprinzip, und sie kann eben so wegen ihrer Principienlosigkeit wenig auf wissenschaftliche Berechtigung Anspruch machen, als die ehemalige naturphilosophische Schule mit ihrem erträumten Wissen von dem Wesen der Krankheit“ (Altschul a.a.O. S.52 letzter Abs.).

Die Skeptischen Rademacherianer.

Heilkunst sei Erfahrungswissenshaft als empirische Naturwissenschaft. Erfahrung heißt: Wenn ein Mittel in 99 Fällen hilft, besteht hohe Wahrscheinlichkeit, daß es auch im hundertsten Fall hilft. Bezüglich der Therapie sind nur Wahrscheinlichkeitsschlüsse möglich, Gewißheit ist nicht erreichbar.

 Dem setzt Altschul die Gewißheit der Homöopathie entgegen, ihr ehernes, für alle Zeiten gültiges Heilgesetz.

Die physiologische Schule.

Hier soll die Therapie aus dem anerkannten Wissen von Anatomie und Physiologie folgen. Die bloße ärztliche Erfahrung sei ohne Wert, wenn sie nicht mit dem physiologischen Wissen übereinstimme. Nur, so Altschul, ist das physiologische Wissen bei weitem ungenügend; es kann gar keine Richtschnur für das therapeutische Handeln bieten.

Die Inkonsequenten.

Sie diagnostizieren nach den Regeln der Physiologie, therapieren dann aber nach den Vorgaben der alten Schule.

Die Statistiker.

Nur die Mittel sind gestattet, die in der Praxis tatsächlich helfen.

Dr. Garms.

Er tritt als Solist an mit den Sätzen:
* Die Krankheit A bewirke die Symptome a, b.
* Wenn ein Gift Y die Symptome a, b bewirkt, die den Symptomen a, b ähnlich sind,
  dann heilt das Antidot Z zum Gift Y ebenfalls die Krankheit A.

Garms’ Theorie ist der Homöopathie verwandt. Garms führt einen eigenen Ähnlichkeitsbegriff ein, die Ähnlichkeit einer Krankheit mit einer Vergiftung, wobei die Ähnlichkeit über die Ähnlichkeit der Symptome definiert wird (Homöopathie: Ähnlichkeit von Arzneimittelbild und Krankheitsbild). Dabei wird eine vermutete, wenn auch unscharf gedachte Kausalität der Symptomentstehung umgeformt in eine Kausalität der Heilwirkung: Wenn das kausal entstandene Symptom a durch das Antidot beseitigt wird, muß das immer im Falle des Auftretens von a gelten.

 Garms schafft damit ein Heilgesetz, wie es die Homöopathie tat, mit der sein System konkurriert, wenn es auch bei weitem nicht so mächtig ist wie das homöopathische System. Seine Regeln als Algorithmus lauten: Nenne die Symptome. Suche die entsprechenden Vergiftungen. Gib die Antidota zur Heilung.

 Mit dem heutigen Wissen können wir leicht Gegenbeispiele finden zur Garmsschen Hypothese. Die Tetrachlorkohlenstoffvergiftung führt zur Gelbsucht als Symptom. Gelbsucht aus anderer Ursache, und hier kennen wir viele Möglichkeiten, würde nicht durch ein Antidot zu Tetrachlorkohlenstoff geheilt. Es gibt auch kein Antidot zur Tetrachlorkohlenstoffvergiftung, hier hilft nur die sofortige Beendigung der Exposition.Die dann bereits angerichteten Leberschäden würden auch nicht durch ein Antidot geheilt werden; ein Optimieren der Schadenreparatur müßte durch andere Mittelerfolgen. Dies ist die eine prinzipielle Schwäche, daß für die Beseitigung der Schäden andere Mittel gelten müssen als für die Verhinderung ihrer Entstehung.

 Die andere prinzipielle Schwäche ist, daß es sehr viel mehr Ursachen gibt als Symptome, ein bestimmtes Symptom kann durch mehrere Ursachen entstehen. Das Symptom kann also nicht Kriterium einer erfolgreichen Therapie sein, vielmehr hängt die erfolgreiche Therapie von der Behandlung der jeweiligen Ursache ab.

 Garms’ System ist eine klassische Spekulation. Die Überbewertung der Symptome (in zeitbedingter Unkenntnis der Ursachen) wird ihr zum Verhängnis. Aber er ist ein Konkurrent zu Hahnemann, weil er ein Gesetz gefunden hat.
 

Die drei gangbarsten Heilmethoden sind nach Altschul:

die enantiopathische oder antipathische Methode.

Sie greift das kranke Organ direkt an und versucht, einen entgegegengesetzten Zustand hervorzurufen: contraria contrariis opponenda nach Galen. Zugrunde liegt das vermeintliche Naturgesetz, daß Gegensätze sich aufheben, wie das mit Opium bei Diarrhö und Rhabarber bei Verstopfung der Fall ist. (Übersehen wird dabei, daß dem Opium, aus einer geschichtlichen Erfahrung kommend, erst das antidiarrhoische Prinzip zugesprochen wird, das anschließend zur Gegensatz-Konsruktion benützt wird. Wie so oft wird hier die konstant wiederkehrende Beobachtung zum geistigen Princip überhöht.)

die heteropathische oder allöopathische (im engeren Sinne) Methode als derivierende oder revulsorische Methode.

Sie verwendet Mittel, die weder ein entgegengesetztes noch ähnliches, sondern ein ganz anderes Leiden erzeugen: aliena alienis amoveantur.

die homöopathische Methode.

Altschul: „Die Homöopathie steigert den im kranken Organe reagierenden Lebensprozeß und treibt hierdurch die Krankheit zu Ende“, das similia similibus des Ähnlichkeitsprinzips.

Also: Krankheit als ein Prozeß, durch den man hindurch muß, man bricht ihn nicht ab, sondern führt ihn zu seinem Ende, zur Heilung eben. Dem hätte die Erfahrung widersprechen müssen, daß man an Krankheit sterben kann. Altschul schreibt ‘Lebensprozess’, er hätte anders schließen müssen, so er ‘Krankheitsprozeß’ geschrieben hätte.

Als Gegensatz der Homöopathie setzt er: „Die specifische Methode, wie sie von den Ärzten der alten Schule gehandhabt wurde, beruht auf reiner Empirie“ (a.a.O. S. 3, 2.Abs.), auf der Beobachtung nämlich, „daß gewisse Arzneimittel sich gegen gewisse Krankheitsformen z.B. Quecksilber gegen Syphilis, Schwefel gegen Krätze, China gegen Wechselfieber u.s.w. hilfreich erweisen, ohne daß ihre Wirkungsweise nach einem wissenschaftlichen Principe erklärt werden kann.“  

 
 Das ist es, für Altschul und seine Mitstreiter. Aus dem Dilemma einer pervertierten Heilkunst, die schadet statt zu nutzen (und daß sie schadet, dafür bietet er viele Beispiele; es gab schon Statisiken über Therapieresultate, die er auch zitiert), taucht empor die Homöopathie als Phönix aus der Asche; endlich ein System, ein wissenschaftliches Prinzip, das dem Arzt die Richtung weist, ihm sagt, was er zu tun hat, die echte Wissenschaft eben.

 Doch die Verheißung trog; kaum war die Homöopathie geboren, begann die Medizin ihren wirklich wissenschaftlichen Weg, der sich in eine Prachtstraße des Erfolgs wandelte. Der Hofnungsstrahl Homöopathie wurde zum Mauerblümchen, und den Erweckungsversuchen zahlreicher Konventikel blieb bis heute der spektakuläre Erfolg versagt.
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Peter Zeller: 4. Teil: Spezielle Untersuchungen
« Antwort #1 am: 29. November 2010, 01:46:57 »

II. Das Dosisproblem in der Arzneimittelprüfung (AMP) der Homöopathie

 In unserem Satz über die Theorie der Homöopathie hatten wir von der normalen Dosierung gesprochen, die zum Arzneimittelbild führen soll, und kritisch angemerkt, daß dieser grundlegende Term ungenügend präzisiert ist.  

 Im Organon (6. Aufl.), § 108, S. 153, sagt Hahnemann, „... daß man die einzelnen Arzneien versuchsweise gesunden Menschen in mäßiger Menge eingibt.“ In einer Fußnote zitiert er dabei Albrecht von Haller als Kronzeugen für die Methode selbst, nämlich die Prüfung am Gesunden, die dieser bereits 1771 in der Vorrede zur Pharmcopöa helvetica propagiert habe, allein keiner habe dies beachtet: Nempe primum in corpore sano medela tentanda est... Nämlich ist das Heilmittel erst am gesunden Körper zu versuchen.

 In § 110 S. 155 wertet Hahnemann die akzidentelle Vergiftung als unfreiwillige AMP und gibt uns damit im voraus Recht, wenn wir die Vergiftung als idealen Falsifizierungsversuch der Homöopathie betrachten.

 In § 123 S. 162 sagt er: „Jede dieser Arzneien muß in ganz einfacher, ungekünstelter Form eingenommen werden; die einheimischen Pflanzen als frisch ausgepreßter Saft...“

 Damit hat es sich dann. Man sieht, daß der Begriff der normalen Dosierung tatsächlich nicht präzisiert wurde. Stattdessen empfiehlt Hahnemann dann plötzlich in § 128, S. 164, „4 - 6 Streukügelchen der 30sten Potenz“. Da er die Centesimalverdünnung benutzte, wäre das eine D60!

 Mit dieser völlig abweichenden Empfehlung stellt er nicht nur seine AMP, sondern sein ganzes System, sein ‘Heilgesetz’ auf den Kopf. Jedem ist klar, daß eine Arsenikvergiftung andere Symptome produziert als eine Gabe von arsenicum D60!

 
 Was sagt Altschul zum Problem? Zunächst macht er in §142 S.169 einen Exkurs in die Vergangenheit, um zu zeigen, daß AMPen früher schon gemacht wurden, wenn auch der Begriff als solcher noch nicht deutlich geworden war. Manche Beispiele sind kurios, andere zeigen das wahllose Herumprobieren. In § 143, S. 172, schildert er die Geburtsstunde der Homöopathie: „Als Hahnemann im Jahre 1790 bei der Übersetzung der Cullen’schen Arzneimittellehre, abgestoßen von den zahllosen Erklärungsweisen über die Art der Chinawirkung, plötzlich auf den Gedanken fiel, daß die China deshalb vielleicht Wechselfieber heile, weil sie im Stande sei, ein solches Fieber bei gesunden Personen zu erzeugen, und diesen aufblitzenden Gedanken durch Versuche an sich selbst bestätigt fand, da verließ die bisherige bequeme und breitgetretene Straße, die Arzneiwirkungslehre, auf Grundlage der Tradition, der Schlüsse, aus der Analogie oder nach den Grundsätzen der Chemie zu bebauen, und betrat den sicher lohnendern, doch nicht minder dornenvollen Weg des physiologischen Experiments, des Versuchs der Arzneikörper an Gesunden.“

 Hier ist zunächst anzumerken, daß die China beim Gesunden keinesfalls die Körpertemperatur erhöht, sie aber auch nicht senkt (Madaus, a.a.O., S. 952 Mitte). Der frühere Ordinarius für Pharmakologie an der Universität Gießen, Ernst Habermann, hat dies jahrelang seinen Studenten im Selbstversuch demonstriert. Idiosynkrasien sind allerdings häufig, also Arzneimittelunverträglichkeiten, die mit Fieber, Schüttelfrost, Hautausschlägen einhergehen. So wird allgemein angenommen, daß Hahnemann an einer China-Unverträglichkeit litt. Damit wäre kurioserwise ein Fehlschluß zum Fundament der Homöopathie geworden.

 Altschul macht nur zwei Angaben zum Dosisproblem, die beide von Hahnemann stammen sollen (§144 S. 173):

"1. Bei heroischen Substanzen sind geringere, bei milderen Arzneikörpern können ansehnlichere Gaben zu den Versuchen gereicht werden. Die schwächsten Substanzen aber sind, damit man ihre Wirkung wahrnehme, von zärtlichen, reizbaren und empfindlichen Individuen zu versuchen. [...]
7. Die Versuchsperson nimmt früh nüchtern eine solche Gabe der zu prüfenden Arznei, wie die Ärzte älterer Schule in der gewöhnlichen Praxis gegen Krankheiten anordnen..."

Bezüglich der Dosis wird hier einfach die alte Schule referenziert.

 Altschul rät, bei der AMP bedächtig vorzugehen. Das Experimentieren mit übergroßen Dosen sei u.U. mit Nachteilen für den Probanden verbunden; die Dosis müsse aber hinlänglich stark sein, um eine Wirkung hervorzubringen. Wenn allerdings Hahnemann die C30 zur AMP empfiehlt, dann ist Altschul damit nicht einverstanden: „Die gewöhnlichen kleinen Gaben der Homöopathen reichen, wie neuere Erfahrungen zeigen, zur Prüfung nicht aus.“

 Damit ist nun auch nichts gewonnen, der zentrale Term Dosierung bei der Arneimittelprüfung bleibt unbestimmt.
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« Antwort #2 am: 29. November 2010, 01:51:55 »

III. Steiner und die Bleivergiftung

 
 Im achten Vortrag über Geisteswissenschaftliche Gesichtspunkte und Medizin vor Ärzten und Medizinstudenten am 18.4.1921 spricht Steiner über die Bleiwirkung (S. 135f). Blei hat, behauptet er, zwei polarisch entgegengesetzte Wirkungen. Die erste dringt aus dem Kosmos in die Erde und ist für die Bildung des Geistig-Seelischen im Menschen wesentlich. Die zweite, irdische Wirkung, die von der Erde in den Kosmos hinausstrahlt, ist die Giftwirkung. Das sei ein universelles Gesetz: Was im Kosmos auf das Geistig-Seelische positiv wirkt, muß im Irdischen Gift sein, so daß eigentlich daher geholt werden muß die Bedeutung des Giftbegriffs. Nun gibt es bei Steiner den oberen und den unteren Menschen. Und da gilt die Gesetzmäßigkeit: Was im oberen Menschen in großen Quanten zerstörend wirkt, wirkt in kleinen Quanten, in Verdünnungen vom unteren Menschen her aufbauend. Wir sehen hier eine dreifache Polarität: oben/unten, groß/klein, Zerstörung/Aufbau. Die Gesetzmäßigkeit gilt auch in umgekehrter Richtung. Für Steiner geht daraus zwingend hervor, daß verdünntes Blei gegen Bleivergiftung hilft.

 Im nächsten Abschnitt kommt Steiner auf die Allopathen zu sprechen, und, wie Jaspers vermerkt hat, er verunglimpft sie, indem er ihnen völlig unbegründet Vorurteile unterstellt.

 Betrachten wir nun, was die Naturforschung im Vergleich mit der geisteswissenschaftlichen Schau über das Blei herausgefunden hat. Der Leser sollte sich die Mühe machen und dazu einmal in einem Lehrbuch der Vergiftungen (z. B. in Ludewig) nachsehen. Das führt den Unterschied deutlich vor Augen.

 Als Ergebnis der Naturforschung wissen wir, daß es zunächst einmal reines metallisches Blei und unreines metallisches Blei gibt. Ersteres ist per os ungiftig! Daneben gibt es eine Vielzahl anorganischer und organischer Bleiverbindungen, die sich in der Giftigkeit erheblich unterscheiden. Die Art der Giftwirkung hängt hier nicht von oben oder unten ab, sondern z. B. vom Löslichkeitsverhalten; fettlösliche Verbindungen reichern sich im Nervensystem an, die konsekutive Entzündung des Nervengewebes drückt sich als (sensorische) Mißempfindungen oder als (motorische) Lähmungen aus. Bei Ludewig erfährt man auch, daß giftige Bleiverbindungen in Rostschutzmitteln und Malerfarben enthalten sind, das toxische Bleiarsenat wird zur Schädlingsbekämpfung im Obst- und Weinbau eingesetzt.

 Was Steiner in seiner geistigen Schau (Schau kommt nicht von Show, auch wenn es darauf hinausläuft) nicht gemerkt hat, ist, daß nicht nur das Kation Pb+ giftig ist, sondern daß auch das Anion X - giftig sein kann, also bei der Beurteilung der Folgen berücksichtigt werden muß.
 Ludewig beschreibt Resorptionsverhalten, Symptomatologie und das planmäßige Vorgehen bei der Therapie. Die Gabe von verdünntem Blei ist nach den Ergebnissen der Naturforschung keine erfolgreiche Therapie der Bleivergiftung.

 Der Leser sollte sich nun die folgenden Fragen stellen:

* Von wem hat er mehr über die Natur gelernt, von Steiner oder von der Naturforschung?
* Welches Konzept bietet mehr Information über Vorbeugung oder zielgerichtete Behandlung? Textumfang: Steiner 4 Seiten, Ludewig 2 Seiten.
* Welche der beiden Auffassungen ist an der Natur nachgeprüft und erfolgreich getestet worden?
* So der Leser sich zufällig vergiftet hätte, wem würde er sich anvertrauen, Steiner oder der naturwissenschaftlichen Medizin?

 
 Steiners Anhänger werden vermutlich erwidern, daß diese Bleigeschichte ja metaphorisch gemeint sei. Das ist aber nicht richtig. Man muß Steiner lesen, dann sieht man, daß davon keine Rede sein kann. Und die Behandlung mit anthroposophischen Mitteln ist ja auch nicht metaphorisch, sondern ganz real, oder?
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« Antwort #3 am: 29. November 2010, 01:55:22 »

IV. Der moderne Giftbegriff und seine erkenntnistheoretischen Folgen

 
 Bereits Paracelsus hat mit seinem dosis facit venenum darauf hingewiesen, daß die Giftigkeit eines Stoffes von der Substanzmenge abhängt, also nur begrenzt ein qualitativer Begriff sein kann. Das ist heute noch gültig. Unverändert wird auch heute die Giftigkeit als Eigenschaft der Substanz aufgefaßt. Unbeachtet bleibt auch heute, daß die Vergiftung in einem biologischen System abläuft.

 Wir werden die Vergiftung an einem konkreten Modell untersuchen. Cyanwasserstoff (HCN) ist ein potentes Gift. Gelangt es in den Körper, dann blockiert es die Atmungskette der Zellen durch die Blockade der oxidativen Phosphorylierung, in dem es an das Cytochrom bindet (näheres in jedem Lehrbuch der Biochemie). Damit kann die Zelle keine nutzbare Energie erzeugen, die sie aber lebensnotwendig braucht für die energieabhängigen Stoffwechselprozesse zur Aufrechterhaltung der Konzentrationsungleichgewichte der Stoffe. Durch die entropiepositive Diffusion kommt es jetzt zwangsläufig zur Gleichverteilung und damit zum Tod der Zelle und des Organismus.

 Aus eigenen Kräften kann die Zelle die Bindung des Cyanidions an die Cytochromoxidase nicht beheben, sie ist also unrettbar verloren. Nur durch die Gabe eines schnellen Ferrihämoglobinbildners (DMAP), der sich mit dem Cyanidkomplex bindet, wird das dreiwertige Eisen der Cytochromoxidase wieder frei (Müller).

 Wir haben diesen Vorgang schon bei der Homöopathie geschildert, aber an dieser Stelle wollen wir auf einen erkenntnistheoretischen Fehler eingehen, der mit größter Selbstverständlichkeit ständig andernorts gemacht wird, ohne daß er als Fehler erkannt wird. Es ist die ganz selbstverständliche Zuweisung einer Eigenschaft a an ein Objekt A in der Form A hat die Eigenschaft a oder A ist a oder Cyanwasserstoff ist giftig. Das Cyanmolekül ist keineswegs per se giftig! Das Cyanmolekül besitzt die Eigenschaft Masse, es hat eine räumliche molekulare Struktur, eine definierte elektrische Ladungsverteilung im Raum und weitere Eigenschaften, mit denen Moleküle charakterisiert werden können (vgl. dazu z. B. Rauen).

 Was wir als Giftigkeit des Cyanmoleküls ansehen, entsteht als Interaktion des Cyanmoleküls mit dem biologischen System Mensch. Nur weil das biologische System eine lebensnotwendige Konstruktion enthält, deren Blockade tödlich ist, kann es zum deletären Verlauf kommen. In einem anders konstruierten biologischen System könnte das Cyanmolekül indifferent sein (die Anaerobier Clostridium perfringens und Clostridium botulinum, die keinen Elektronentransport zum Sauerstoff brauchen und für die Sauerstoff ein Gift ist, würden sich durch HCN kaum beeindrucken lassen) oder eine völlig anders geartete Reaktion, z. B. die Sinnesempfindung der Süße auslösen.

 Die Giftigkeit ist also keine Eigenschaft des Cyans, sondern eine Folge der Interaktion; die speziellen Folgen dieser Interaktion werden durch die Art des biologischen Systems, z. B. von der Konstruktion eines Rezeptors oder wie hier vom Ablauf einer chemischen Reaktionskette, bestimmt und sind damit unabhängig vom Cyanmolekül.  

 Aus genau diesem Grund kann die Entgiftungsinformation auch nicht im Cyanmolekül selbst liegen, wie es die Homöopathie implizit annimmt, denn die Art und Weise der Entgiftungsmöglichkeit hängt alleine von der Konstruktion des beteiligten biologischen Systems ab, je nach biologischem System würde sie eine andere sein, so wie die Interaktion selbst von System zu System eine andere ist.

 Der erkenntnistheoretische Fehler ist, daß als Eigenschaft deklariert wird, was in Wirklichkeit keine Eigenschaft ist. Aus diesem Mißgriff resultiert eine fehlerhafte Weltbeschreibung.

 Will man die biologischen Systeme in die Weltbeschreibung einbeziehen, was zweifellos unumgänglich ist, genügen nicht, wie man sieht, ein paar plausibel wirkende, aber oberflächliche Begriffsbildungen wie giftig oder rot, es muß der genaue molekulare oder physikalische Ablauf der Reaktionsweisen des biologischen Systems aufgeklärt und beschrieben werden, damit falsche Weltbilder nicht entstehen können. So kommen wir wieder zurück zu dem Punkt, daß die Beschreibung der Natur an der Natur geprüft werden muß.
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« Antwort #4 am: 29. November 2010, 01:57:18 »

V. ‘Biophotonen’ und Wärmestrahlung

 
 Popp (vgl. § ) kann mit seiner Meßanordnung (Popp 1984, S. 46f) zeigen, daß Gurkenkeimlinge elektromagnetische Wellen abstrahlen. Diese bezeichnet er als Biophotonen oder ultraschwache Zellstrahlung. Sie dienten der Steuerung des lebenden Organismus. Sie seien nicht identisch mit der Wärmestrahlung. Im Kapitel Wärmestrahlung (a.a.O. S. 49) erklärt er dann, wie durch Bestrahlung mit UV-Licht ein Elektron auf eine äußere Bahn angehoben wird (Anregung) und wie beim Rücksprung die Energiedifferenz als elektromagnetische Welle abgestrahlt wird. Der so beschriebene Vorgang hat aber mit Wärmestrahlung nichts zu tun.

 Sein Beweis lautet (a.a.O. S. 52): Wären die Biophotonen eine rein physikalische Angelegenheit, müßte die Intensität der Strahlung mit steigender Temperatur ‘monoton’ und exponentiell ansteigen. Stattdessen zeigt sie den charakteristischen Verlauf, wie er bei ‘physiologischen’ Funktionen beobachtet wird.

 Damit ist folgendes gemeint: Die Enzymaktivität ist eine Funktion der Temperatur,

 AktE = f(T).  

Mit steigender Temperatur steigt die Aktivität an, erreicht ein Maximum und fällt dann wieder ab. Das Integral  

 U = INTEGRAL( AktE dT)

ergibt eine für biologische Prozesse typische Kurve, die bei Null beginnt, immer schneller ansteigt, einen Wendepunkt erreicht, danach abflacht und sich schließlich asymptotisch einem Maximalwert annähert. Das sieht dann wie ein gestrecktes S aus mit einem fast linearen Bereich vor und nach dem Wendepunkt.

 Moleküle haben nur 2 Möglichkeiten, Wärme abzugeben: Wärmeleitung und Wärmestrahlung. Die Wärmeleitung entspricht der kinetischen Theorie der Wärme. In Gasen entspricht die Durchschnittsgeschwindigkeit uquer der Temperatur. Moleküle in festen Stoffen schwingen als Ausdruck ihres Energieinhaltes, ihrer Temperatur um eine Mittellage. Die Wärmeausbreitung entsteht durch Schwingungsangleichung benachbarter Moleküle.

 Die Wärmestrahlung kommt ganz anders zustande. Ist nämlich das Molekül gleichzeitig ein elektrischer Dipol, dann emittiert es ständig Energiequanten, eben die Wärmestrahlung. Das System kann nur dadurch im Gleichgewicht bleiben, daß es gleichzeitig Energiequanten in gleicher Menge absorbiert, ansonsten würde es abkühlen.

 Die Abstrahlung, also die effektive Energieabgabe aus dem System, kann nur an der Oberfläche des betrachteten Körpers erfolgen. Innerhalb des Körpers wird die emittierte, chaotisch ungerichtete Strahlung von benachbarten, in der Strahlungsrichtung liegenden Molekülen wieder absorbiert. Der Nettoeffekt ist also wie zu erwarten eine Gleichverteilung der Energie. (Aus diesem Grund kann das System auch keine Information liefern bzw. zur Steuerung benutzt werden.)

 Wenn nun eine chemische Reaktion abläuft, bei der Energie freigesetzt wird, wie das in biologischen Systemen ständig der Fall ist, erwärmt sich das System. Die freigesetzte Energie wird in verstärkte Molekülschwingung umgesetzt, die wir als Temperaturerhöhung messen. Handelt es sich bei den Molekülen um elektrische Dipole, dann wird ein Teil dieser Energie durch vermehrte Wärmestrahlung abgegeben. Da die energieliefernden Prozesse die oben beschriebene Reaktionskinetik zeigen und die enstehende Wärmestrahlung dazu proportional ist, finden wir die gleichen Charakteristika bei der Wärmestrahlung und bei den biologischen Prozessen. Dies ist eben kein Argument für die Existenz der Biophotonen, wie Popp behauptet, damit ist im Gegenteil bewiesen, daß Biophotonen und Wärmestrahlung identisch sind.
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« Antwort #5 am: 29. November 2010, 02:00:35 »

VI. Exkurs in die Photochemie

 
Die Photochemie untersucht die Interaktionen von Licht (emW) und physikalisch-chemischen Prozessen. Sie untersucht also die Absorption von Lichtquanten, deren Folgen und die Emission von Lichtquanten.

Dies ist abzugrenzen von der Wärmestrahlung. Temperatur von Stoffen bedeutet Schwingung der Stoffmolekeln; sind diese Dipole, kommt es zu Energieabstrahlung in Form von emW, der Wärmestrahlung eben.
Jeder photochemische Prozess beginnt mit einem Primärschritt. Beim Primärschritt eines photochemischen Prozesses wird jeweils eine Molekel durch ein absorbiertes Strahlungsquant aktiviert.

Für die Energie eines Lichtquants gilt: E = hn oder E = hc/l.

Für 6,023×1023 Quanten, also 1 ‘Mol Lichtquanten’ (der Ausdruck ist so zu verstehen, daß genau mit dieser Menge Lichtquanten die Loschmidtsche Zahl von Molekeln, also ein Mol, aktiviert werden kann) ist dann

E = Lhn = Lhc/l (L = Loschmidt-Zahl)

 
Für die Wellenlänge l = 0,6 mm (orange) gilt somit

E = 6,023 × 1023 × 6,63 × 1034 × 3,0×108 / 0,6 × 10-6 Joule/Mol º 1 Einstein
» 200 kJoule/Mol.

Diese Energie reicht, um 1 Mol schwacher kovalenter Bindungen zu sprengen.

 
Ursprünglich befindet die Molekel sich im Singulettgrundzustand; die Absorption eines Lichtquants führt in den aktivierten Zustand:

Dieser ist ein höher angeregter Singulettzustand, wenn das angeregte e- seinen Spin behält (e--Paar ­¯ ),
jedoch ein Triplettzustand, wenn es seinen Spin umkehrt (e--Paar ­­ ).

 
Der Übergang vom höheren Singulett- zum Grundzustand ist mit der Emission von Fluoreszenzlicht verbunden.

Der Übergang vom Triplett- zum Grundzustand ist mit der Emission von Phosphoreszenzlicht verbunden.
Lumineszenz ist der Oberbegriff für beide Emissionswege (Lumineszenz als Oberbegriff für Fluoreszenz und Phosphoreszenz).

 
Zwischen Absorption des Lichtquants und Emission vergeht ein Zeitintervall Dt. Für die meisten Molekeln gilt Dt = 10-8 s. In diesem Zeitintervall bewegt sich die gasförmige Molekel. Wenn sie innnerhalb dieses Zeitintervalls mit einer anderen Molekel zusammenstößt (in Dt = 10-8 s etwa 100 Molekelstöße), gibt sie ihre ursprünglich durch die Absorption aufgenommene Energie (die Energie des Lichtquants) an diese als kinetische Energie weiter (Stoßdesaktivierung), sie selbst wird dadurch in den Grundzustand zurückgeführt, ohne daß es zu einer Emission von emW gekommen wäre (Fluoreszenzlöschung; dieser historische Term ist ungenau, richtig ist Lumineszenzlöschung, es sei denn, die beschriebene Gesetzmäßigkeit würde nicht für die Phosphoreszenz gelten).

 
Für uns, für Popp sind die Konsequenzen:

Es kann keinen sich fortentwickelnden Prozeß geben: Die Anregung führt zwar zur Emission, die wieder die nächste Molekel anregt, aber wegen der Stoßdesaktivierung läuft sich dieser Prozeß in einem gegebenen Raumelement DV mit statistischer Gesetzmäßigkeit schnell tot.

Eine Unklarheit bleibt (für mich): Ist die Wellenlänge des absorbierten Lichts gleich der Wellenlänge des emittierten Lichts? Wenn nein, muß sich der Prozeß sofort totlaufen.  

 
Definitionen bei Eggert (a.a.O. S. 811):
Anregungszustand Þ Grundzustand = Resonanzfluoreszenz
Anregungszustand in Stufen Þ Grundzustand = Stokes-Fluoreszenz
Phosphoreszenz: Die aufgenommenen Energie wird durch eine Art Stabilisierung gespeichert, erst danach kommt es zur Emission
 a) Stabilisierung über Triplett
 b) Absorption führt zur Ablösung eines e- = Photoleitfähigkeit.

 
Chemilumineszenz (Eggert, a.a.O., S. 840 unten): „Die Chemilumineszenz kann als Umkehrung der photochemischen Vorgänge aufgefaßt werden, denn im einen Falle hat die absorbierte Strahlung eine chemische Reaktion zur Folge, im andern führt ein chemischer Umsatz (Eggert, a.a.O., S. 820: „Ausgangsstoff + En Þ Endstoff“) zur Aussendung von Strahlen. In beiden Fällen gilt die Einschränkung, daß nicht etwa bloß eine durch die primäre Energie verursachte Temperaturerhöhung des ganzen Systems den nachfolgenden Vorgang hervorruft.“ Hinsichtlich Popp ist diese Einschränkung von besonderer Bedeutung.  

 
Chemilumineszenz (Eggert a.a.O. S. 841): „Die Chemilumineszenz besteht in der Übertragung der Reaktionsenergie an strahlungsfähige Atome oder Molekeln.“
Will heißen: Die freie Energie aus chemischen Reaktionen kann zur photochemischen Reaktion führen, also zur Abstrahlung von emW führen.

 
Die Chemilumineszenz ist aus engste mit der sensibilisierten Fluoreszenz verwandt:  
sensibilisierte Fliuoreszenz:
Das Lichtquant h×n versetzt die Atomart A in ihren angeregten Zustand AY, AY trifft auf B, regt dieses an zu BY (AY Þ A Ç B Þ BY), BY emittiert (BY Þ B + h×n).
Chemilumineszenz:
Die am Beginn der photochemischen Reaktion stehende Anregung A Þ AY wird nicht durch ein Lichtquant, sondern durch die freie Energie einer chemischen Reaktion ausgelöst; in der Folge ändert sich nichts. So kommt es zum Leuchten des Glühwürmchens (Eggert, a.a.O., S. 844 unten).
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Peter Zeller: 4. Teil: Spezielle Untersuchungen
« Antwort #6 am: 29. November 2010, 02:02:18 »

VII. Popp und Heisenberg

 
 Die Heisenbergsche Unschärferelation lautet

Dx Dp » h.

Das Produkt h ist eine Konstante, das Plancksche Wirkungsquantum, Dx und Dp sind damit kanonisch konjugierte Variable. Dx ist die Differenz zwischen Meßwert und tatsächlichem Koordinatenwert x, Dp entsprechend für den Impuls. Die kanonische Konjugation erzwingt, daß ein geringer Koordinatenmeßfehler einen großen Impulsmeßfehler zur Folge hat und umgekehrt. Die Gleichung besagt, daß Ort und Impuls eines Teilchens nicht gleichzeitig mit beliebiger Genauigkeit gemessen werden können. Die Gleichung besagt nicht, daß ein Teilchens zur Zeit t nicht einen genauen Ort und Impuls hätte.  

 Popp macht nun daraus: Aufgrund der Unschärferelation nimmt mit der Potenzierung zwar die Lokalisierbarkeit der Arzneisubstanz ab, dafür wachsen aber ihre Impuls- und Energieschärfe (Popp FA: Deutungsversuche homöopathischer Effekte aus moderner physikalischer Sicht. Allg homöop Ztg 223, 1978).

 Die Unschärferelation behandelt die Messung eines isolierten Teilchens, Popp spricht von einer Lösung. Beides hat nichts miteinander zu tun. Es nimmt auch nicht die Lokalisierbarkeit ab, sondern die Konzentration. Darüberhinaus wäre es trotzdem falsch: Die Energie des Teilchens hängt nicht von  Dp ab, sondern von p nach E = ½ ×pv, hat also einen konkreten Wert. Der Ausdruck Energieschärfe ist eine Erfindung von Popp.

 Bereits Bach beruft sich auf die moderne Physik (Vortrag Ein effektives Verfahren zur Herstellung oraler Vakzinen 1930, Howard S. 41): Die Ergebnisse moderner Physiker bestätigen offenbar, daß in diesen Verdünnungen (gemeint sind seine Nosoden) sehr aktive Substanzen am Werk sind. Leider führt er diese Ergebnisse nicht näher aus.
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Peter Zeller: 4. Teil: Spezielle Untersuchungen
« Antwort #7 am: 29. November 2010, 02:04:32 »

VIII. New Age-Physik und Pseudowissenschaft

 
 Nach Auffassung der meisten Autoren ist die Quantenmechanik experimentell überwältigend abgesichert. Es gibt mit ihr aber interpretatorische Schwierigkeiten, die gemeinhin am Beispiel der Schrödingerschen Katze erläutert werden. In diesem Beispiel ist die Katze zu 50% lebendig und zu 50% tot, was offenkundig nicht viel Sinn macht. Eine einfache Lösung besteht darin, die Aussagen der Quantenphysik als Aussagen über statistische Verteilungen zu interpretieren; am Versuchsende sind dann von n Katzen 50% lebendig und 50% tot. Das einzige Problem besteht dann darin, daß die Quantenphysik keinen Aufschluß darüber gibt, welche Katze tot ist und warum und daß die gleiche Versuchsanordnung zu entgegengesetzten, wenngleich komplementären Ergebnissen führt.

 Illustrieren wir dies an einem Beispiel aus der Medizin: Wenn 10 Frauen von 100 schwanger sind, ist die Aussage sinnvoll, daß 10% der beobachteten Frauen schwanger sind. Wird das Ergebnis auf eine Frau bezogen, dann ist diese zu 10% schwanger und zu 90% nicht schwanger, womit wir wieder bei Schrödingers Katze sind.

 Einigen Physikern mit Ambitionen in der Philosophie war diese Interpretation nicht spektakulär genug. Everett entwickelte 1957 die Mehrweltentheorie, die im wesentlichen auf zwei verschiedene Arten interpretiert wird:
Im gleichen Raum und gleichzeitig existieren unendlich viele Welten, nicht nebeneinander, sondern ineinander, sich genau überdeckend, aber doch verschieden. Dieselbe Katze ist dann in der einen Welt tot, in der anderen lebendig.
Es existiert nur eine Welt, die zwei Entwicklungsmöglichkeiten hat (Dichotomie): sie kann sich entwickeln in die eine Welt, in der Schrödingers Katze lebt, oder in die andere Welt, in der Schrödingers Katze tot ist. Der Ausgang des quantenphysikalischen Experiments entscheidet also darüber, in welche Welt sich die Welt weiterentwickelt.

 Neben der Mehrweltentheorie favorisieren die New Age-Physiker noch:

Das Postulat einer möglichen Überlichtgeschwindigkeit, die, ohne daß dies begründet würde, mit Zeitreisen in Vergangenheit und Zukunft gleichgesetzt wird.

Die Aufgabe der Lokalität und Wiedereinführung der Fernwirkung.

Die Wiederbelebung des Äthers.


 Dazu John Wheeler: "

Dadurch verwandelt sich die Wissenschaft in eine Art Mystizismus. Die Interpretation von Everett macht die Quantentheorie in ihrer gegenwärtigen Form zu dem Patentrezept, mit dem man alles erklären und verstehen kann ...
Was die wirklich tragenden Fundamente unseres Wissens betrifft, kann ich mir nicht vorstellen, daß in die Natur wie von einem Korps Schweizer Uhrmacher irgendein Mechanismus, eine Gleichung oder ein mathematischer Formalismus ‘eingebaut’ ist, der zeitlich getrennte Ereignisse starr miteinander in Beziehung setzt. Eher glaube ich, daß es drunter und drüber geht mit den Ereignissen und daß, was sich nach präzisen Gleichungen zu richten scheint, sich in jedem Fall statistisch aus der Physik großer Ereignismengen ergibt; gerade die Quantentheorie scheint so zu funktionieren ...
In der Alltagspraxis ist die Quantentheorie unerschütterbar, unanfechtbar, unwiderlegbar - sie ist hieb- und stichfest. In diesem Punkt ist es wie mit dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, der besagt, daß Wärme von heiß nach kalt fließt. Das ist auch hieb- und stichfest - unerschütterbar, unanfechtbar, unwiderlegbar. Wir wissen jedoch, daß der zweite Hauptsatz der Thermodynamik nicht auf irgendwelche Gleichungen zurückgeht, die zu Beginn aller Zeiten niedergeschrieben wurden, nicht auf irgendeinen «eingebauten» Mechanismus, sondern vielmehr auf die Kombination einer sehr großen Zahl von Ereignissen. In diesem Sinne, meine ich, wird sich eines Tages herausstellen, daß die Quantentheorie ebenso in der Mathematik der großen Zahlen gründet. Selbst Einstein, der in vieler Hinsicht der Quantentheorie widersprach, war der Ansicht, daß sich eines Tages diese Ähnlichkeit mit der Thermodynamik zeigen würde."


 Rudolf Peierls:
"Es gibt nur eine einzige Interpretation der Quantenmechanik. Es gibt nur eine Möglichkeit, die Quantenmechanik zu verstehen. Zwar gibt es eine Anzahl von Leuten, die darüber unglücklich sind und nach anderen Lösungen suchen. Aber bislang hat niemand eine andere Lösung gefunden, die vernünftig ist ...
Die Dinge werden [durch die Mehrweltentheorie] nur unnötig kompliziert. Wozu denken wir uns das aus, wenn wir diese anderen Universen weder sehen noch jemals mit ihnen kommunizieren können? Es gibt eine Art, in solche Richtungen zu denken, die sehr findig, aber unnötig hochgestochen ist." (zitiert nach Davies PCW, Brown JR 1988).

 Die Pseudomediziner haben die New Age-Physik begeistert aufgenommen. Das verwundert nicht, wenn man Wheelers Urteil sieht („Patentrezept, mit dem man alles erklären kann“). Die Behauptung, quantenphysikalische Effekte würden auf die makroskopische Welt ‘durchschlagen’, ist bis jetzt durch kein Beispiel belegt. Quantenphysik leitet sich ab aus Beobachtungen an isolierten Teilchen, die nur Bruchteile von Sekunden existieren (physikalische Dimensionen: 10-15 cm, 10-22 sec). Verglichen damit kann man durchaus von einer Konstanz der Dinge der makroskopischen Welt reden.

 Prigogine behauptet, die Physiker hätten, verleitet durch die Erfolge bei der Beschreibung der makroskopischen Welt, geglaubt, sie müßten die mikroskopische Welt nur immer weiter aufgliedern, um sie genauso erfolgreich beschreiben zu können. Diese Ansicht sei aber falsch gewesen, weil die Art der Gesetzmäßigkeiten im Mikrokosmos anders sei als im Makrokosmos. Wenn Prigogine recht hat, dann muß das für den umgekehrten Weg, nämlich die Übertragung von quantenphysikalischen Effekten auf die makroskopische Welt, in noch viel größerem Umfang gelten.

 Theurer zitiert nun in einem Leitartikel den Physiker Hans Peter Dürr [Therapiewoche Heft 19:1351-1356 (1990)], mit der Überschrift Erkenntnisse der modernen Physik; Richtschnur für ein neues Denken in Biologie und Medizin? Dürr beschreibt die Dichotomie als Realisierungsprozeß von Möglichkeiten in der fortschreitenden Gegenwart. Bei Theurer entsteht daraus: Dieser „Realisierungsprozeß von Möglichkeiten in der fortschreitenden Gegenwart“ hat nach Meinung des Verfassers [Theurer] auch Auswirkungen auf Lebensabläufe von Einzelindividuen wie auch auf die biologisch-therapeutische Beeinflußbarkeit von krankhaften Veränderungen. So kommt man von der modernen Physik zur biologischen Medizin. Das neue Weltbild der Physik sollte deshalb auch in der Medizin zur Erklärung von empirisch gefundenen Erfahrungen herangezogen werden und praktische Konsequenzen für die Anerkennung biologischer Therapieformen ermöglichen.

 Die neue Physik soll empirisch gefundene Erfahrungen erklären, also die zur Erfahrung verklärte Spekulation der Pseudomedizin beweisen - wie sie das tun soll, wird nicht erklärt.
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Peter Zeller: 4. Teil: Spezielle Untersuchungen
« Antwort #8 am: 29. November 2010, 02:08:05 »

IX. Lichtnahrung.

 
 In den Schriften vieler Religionen gibt es Berichte über Menschen, die lange Zeiträume ohne jegliche Nahrung gelebt haben sollen. Es handelt sich dabei um einen mythischen Grundgedanken, der nichts anderes ist als eine Umkehrung der Alltagserfahrung, die wenig spektakuläre Tatsache wird durch den spektakulären polaren Kontrapunkt ersetzt bei unveränderter Resttheorie. Als Motiv für derartige Handlungen kann man den Drang des Menschen nach dem Wunder annehmen, mit einer einfachen Methode wendet man den tristen Alltag ins Wunderbare; eine Flucht aus der Wirklichkeit also.

 Auch die Neuzeit kennt solche Berichte. Louise Lateau in Wallonien oder die Wassertrinkerin von Frasdorf in Bayern sind nur Beispiele für viele. Virchow hat kritisch angemerkt, daß die Vortäuschung einer langdauernden völligen Nahrungsenthaltung in Gefangenenanstalten nicht selten sei; gleichzeitig weist er darauf hin, wie schwierig selbst unter den Kontrollbedingungen des Gefängnisses die Aufdeckung des Betrugs sei.

 Seit einigen Jahren verbreitet nun die Australierin Ellen Greve die These, der Mensch könne alleine von der Energie des Sonnenlichts leben. Hier ist Energie ausnahmsweise nicht metaphorisch oder paraphrastisch gemeint, sondern im Sinn der Physik: E = hn als Energie des Lichtquants. Im Gegensatz dazu ist mit dem indischen Prana, Lichtnahrung, das Licht nur symbolisch gemeint; Prana ist immer und überall, am Tage wie in der Nacht, am Nordpol wie am Äquator. Ob es auch auf dem Mond ist, entzieht sich meiner Kenntnis, aber ich neige stark dazu, die Frage zu bejahen, jedenfalls konnten die Astronauten bisher keinen Gegenbeweis erbringen.

 Die These von Frau Greve besteht aus den beiden Sätzen:

* Der Mensch kann ohne jegliche Nahrungszufuhr leben.
* Der Mensch kann gleichzeitig ohne jegliche Wasserzufuhr leben.

 Es versteht sich von selbst, daß dazu ein spiritueller Weg erforderlich ist, den man in ihren Kursen, Sminaren, Workshops und aus ihren vier Büchern lernen kann.

 
 Ich werde nun im folgenden darstellen, was unter den von Frau Greve genannten Voraussetzungen, so wir sie als wahre Prämissen aufassen, im menschlichen Körper sich an Veränderungen einstellen müßte. Diese Voraussetzungen sind: 1. Der Energiebedarf der Zellen wird allein und ausschließlich durch Lichtenergie gedeckt. 2. Der Körper hat damit alles, was er zum Leben braucht, es kommt nicht zu jenen Abbau- und Umbauprozessen, die wir als pathophysiologische und pathobiochemische Reaktionen vom Hungern und Verhungern kennen. Trotz fehlender Glucosezufuhr kommt es nicht zur Gluconeogenese.

 Frau Greve hat ihre These damit begründet, daß der Mensch selbstverständlich in den Energiekreislauf der Natur eingebettet sei. Hier meint sie mit Energiekreislauf aber nicht das, was wir in der Biochemie darunter verstehen. Ansonsten haben wir nur das Wort von Frau Greve, daß sie seit dreieinhalb Jahren ohne Wasser und Nahrung lebe, bei verbesserter körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit.
 
 Der Energiekreislauf besteht darin, daß Pflanzen aus Sonnenlicht (über das Chlorophyll), Wasser und dem in der Luft vorhandenen Kohlendioxid Zucker und Sauerstoff bilden. Tiere nehmen diese Stoffe auf, indem sie die Pflanzen fressen und atmen, und gewinnen die zum Leben notwendige Energie dann aus der Umwandlung von Zucker und Sauerstoff in Wasser und Kohlendioxid. Damit schließt sich der Kreislauf. (Vgl. dazu Lehrbücher der Physiologie des Menschen oder der Biochemie, z.B. Lehninger AL: Biochemie. S. 297)

 Biologische Systeme bauen sich auf aus Molekeln, die in großen Mengen Kohlenstoff enthalten, den sie in irgendeiner Form ihrer Umgebung entnehmen müssen. Je nachdem, wie das geschieht, unterscheidet man autotrophe Systeme, die den Kohlenstoff direkt aus dem Kohlendioxid der Luft entnehmen können, von den heterotophen Systemen, die den Kohlenstoff zum Aufbau ihrer Biomolekeln aus ihrer Umgebung in relativ kompliziert gebundener, reduzierter Form, z.B. als Glucose, aufnehmen müssen. Deshalb benötigen die Heterotrophen den komplizierten Verdauungsapparat; außerdem sind sie für den Nahrungserhalt auf ihre Umgebung angewiesen.Die Autotrophen sind dagegen relativ autark (unter der Annahme der globalen Verfügbarkeit von Wasser, Kohlendioxid und Sonnenlicht). Photosynthetisch tätige Zellen und einige Bakterien sind autotroph, die Zellen der höheren Tiere und die meisten Mikroorganismen sind heterotroph.

Biologische Systeme können auch danach klassifiziert werden, wie sie die notwendige Energie gewinnen (Lehninger AL: Biochemie. S. 295 f):

* Phototrophe Zellen verwenden Licht zur Energiegewinnung.

* Chemotrophe Zellen gewinnen Energie aus Redoxreaktionen: Sie übertragen Elektronen von Elektronendonoren auf Elektronenakzeptoren.

* chemolithotrophe Zellen: Elektronendonoren sind einfache anorganische Stoffe wie Wassestoff, Schwefelwaserstoff, Ammoniak und Schwefel.

* chemoorganotrophe Zellen: Elektronendonoren sind komplizierte organische Molekeln wie etwa Glucose.

Die große Mehrheit der Organismen ist entweder photolithotroph oder chemoorganotroph.  

 
 Danach leben wir alle von der Sonne, wir Menschen aber eben auf einem indirekten Weg; der direkte Weg ist für uns unmöglich.

 Aus dem Energiekreislauf wird klar, daß der Mensch als chemoorganotrophes Wesen als Kohlenstoffquelle organische Verbindungen nutzen muß, die Energiegewinnung erfolgt über Redoxreaktionen, als Elektronendonoren dienen organische Verbindungen (informative Tabelle in Lehninger AL: Biochemie. S. 296).

 

 
 Im folgenden werde ich die ‘harte’ Version (Verzicht auf Wasser, auf Nahrung) von der ‘weichen’ (Verzicht nur auf Nahrung, Wasser unbeschränkt) unterscheiden.

 Wir prüfen dieses System am gesichterten Wissen der Biochemie: Der Mensch benötigt Energie zum Leben . Diese nimmt er mit der Nahrung auf, er gibt sie im wesentlichen als Wärmeenergie wieder ab. Die Energiegewinnung erfolgt als Glykolyse. Aus einer Molekel Glucose und Sauerstoff, der mit der Lunge aufgenommen wird, entstehen vier Molekeln Kohlendioxid und vier Molekeln Wasser (Lehninger Albert L: Prinzipien der Biochemie. De Gruyter 1987, S.440). Kohlendioxid wird über die Lunge; Wasser über Lunge, Haut, Nieren, Darm ausgeschieden.  
Es gilt: C6H12O6 + O2 ® 4 CO2 + 4 H2O + Energie.

 
Frau Greve alias Jasmuheen dagegen behauptet:  
a) Licht ® H2O + freier Energie; harte Version,
b) H2O + Licht ® H2O + freier Energie; weiche Version.

 
Wenn ihr Anspruch wahr ist, dann ergeben sich für ihren Körper folgende biochemische Konsequenzen:
Sie atmet zwar Sauerstoff ein; da sie ihn aber nicht verbrauchen kann, atmet sie ihn in gleicher Menge wieder aus. pO2 von Ein- und Ausatemluft sind gleich.  
CO2 wird nicht gebildet, weil keine Glykolyse abläuft.
CO2 kann nicht gebildet werden, weil die C-Atome des CO2 aus der Nahrung stammen, die Jasmuheen ja nicht zu sich nimmt.

Also kann die Ausatemluft kein CO2 enthalten.

Mangels Glykolyse wird das Blut lediglich einmal mit Sauerstoff (Hämoglobin-Sauerstoff und physikalisch gelöster Sauerstoff) aufgesättigt, danach bleibt der Sauerstoffgehalt des Blutes konstant.

Da die Peripherie diesen Sauerstoff nicht verbrauchen kann, ändert sich der O2-Gehalt des Blutes beim Übergang vom arteriellen zum venösen Blut nicht. Die Sauerstoffkonzentration von arteriellem und venösem Blut ist gleich. Bei Jasmuheen ist auch das venöse Blut hellrot.  

Jasmuheens Blut enthält keine Glucose. Der Energiebedarf wird ja aus dem Licht gedeckt. Zur Gluconeogenese kommt es nicht, weil die Körpersubstanz ja nicht angegriffen wird.

Da der Körper kein Organ hat, das ihm gestattet, die Energie der Lichtwellen in freie chemische Energie umzuwandeln, lautet Jasmuheens These tatsächlich:  

harte Version: [Nichts] ® H2O + Energie.  
weiche Version: H2O ® H2O + Energie.

 
 Auch der Laie sieht den Widerspruch.

 
Vitamine sind definitionsgemäß Stoffe, die der Körper nicht selbst herstellen kann, also von außen aufnehmen muß. Diese Eigenschaft folgt nicht aus der Definition; die Definition gründet auf dem faktischen Wissen als Ergebnis der Naturforschung, daß Stoffe mit dieser ‘Eigenschaft’ der Nichtherstellbarkeit durch den Körper existieren.

 Das wahrscheinlich bekannteste Vitamin ist das Vitamin C (Ascorbinsäure). Sein geläufigste Mangelerscheinung ist der Skorbut. Der Tagesbearf des Erwachsenen beträgt etwa 100 mg.

 
 Wären die Behauptungen von Jasmuheen zutreffend, dann kann ihre Theorie durch die Bestimmung der Vitaminkonzentrationen im Serum oder der Vitamin C-Auscheidung im Urin geprüft werden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Vitamine unterschiedlich lange gespeichert werden können, Vitamin B12 z.B. 3 - 5 Jahre. Beim Vitamin C treten Mangelsymptome 2 - 4 Monate nach Unterbrechung der exogenen Zufuhr auf, also dürfte ihr Körper nach 3,5 Jahren Fasten kein Vitamin C mehr enthalten.  

 Dies sind die biochemischen Konsequenzen der Jasmuheenschen Hypothese. Für den Naturwissenschaftler ist damit die Überprüfung dieser Hypothese ganz einfach. Er braucht nur den CO2-Gehalt der Ausatemluft und den Sauerstoffpartialdruck des venösen Blutes von Jasmuheen zu messen. Prinzipiell genügte sogar die Blutzuckerbestimmung, wie sie jeder Hausarzt in zwei Minuten durchführen kann. Langwierige und kostspielige Hungerversuche, wie von den Anhängern behauptet, sind gar nicht notwendig.

 Durch die physiologische Naturforschung wissen wir, daß die Haut des Menschen keinen absolut undurchlässigen Abschluß gegen die Umwelt bietet. Die Haut gibt ständig Wasser aus dem Körper gasförmig in unterschiedlichen Mengen an die Umwelt ab: Perspiratio insensibilis. Der Körper verliert also ständig Wasser, die absoluten Mengen hängen von den Umweltbedingungen ab. Den Wasserverlust gleicht der Körper aus durch Trinken, mit dem in der Nahrung enthaltenen Wasser (unsere Nahrungsmittel bestehen zu etwa 70% aus Wasser) sowie durch das im Intermediärstoffwechsel entstehende Wasser (Übertragung von Protonen auf OH--Gruppen).

 Auch mit der Ausatemluft wird über die Lunge ständig Wasser abgegeben, in 24 Stunden etwa ein Liter.

 Da die Nierenfiltration ein mechanisches Ergebnis des Blutdrucks ist, kann die Niere, solange ein Blutdruck meßbar ist, ihre Urinproduktion nicht einfach einstellen, so daß auch hier ein ständiger Wasserverlust entsteht, der aufgrund des Baus der Niere einen Verlust von Salzen impliziert.

 Alle diese Parameter sind leicht nachprüfbar.

 
 Aus Licht allein kann Wasser nicht entstehen. Wenn also in der harten Version angeblich kein Wasser aufgenommen wird, müßte der Proband sehr schnell austrocknen; er würde keine drei Tage überleben.
 Für die weiche Vesion gilt: Der Durchschnittsmensch kann bei völliger Nahrungsverweigerung, aber unbegrenzter Wasserzufuhr etwa 65 Tage überleben. Dies haben die Hungerstreiks der Bader-Meinhof-Gruppe gezeigt; der Tod trat etwa 65 Tage nach Beginn des Hungerstreiks ein bei einem Körpergewicht von etwa 27 kg. Allerdings: er kann nicht diese 65 Tage bei bester Gesundheit überleben. Er verliert an Gewicht und es stellen sich alle pathobiochemischen und pathophysiologischen Prozesse ein, die für den Hungerzustand typisch sind.

 Es wird immer wieder behauptet, daß die pseudomedizinischen Systeme nicht von der Naturwissenshaft beurteilt werden könnten. Hier offenbart sich die Hohlheit dieser Phrase, denn dieses Beispiel zeigt überdeutlich: Systeme, die Aussagen über die Natur machen, sind sehr wohl innerhalb des Systems der Naturwissenschaften beurteilbar, in diesem Fall sogar endgültig beurteilbar. Da helfen keine Feyerabend-Thesen und keine pseudologischen Ausflüchte.  

 
 Rudolf Virchow hat 1874 vor der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte einen Vortrag gehalten Über Wunder (abgedruckt in Autrum, a.a.O., S. 91-108). Anlaß war der Fall Louise Lateau und die an ihn ergangene Aufforderung, diesen zu untersuchen, was er ablehnte.

 Louise Lateau aus Bois d’Haine in der Diözese Tournay im wallonischen Belgien stammte aus ärmlichen, zerrütteten Verhältnissen. Nachdem sie Novizin eines Franziskanerklosters geworden war, traten bei ihr wunderhafte Erscheinungen auf, nämlich Stigmata, die Kreuzigungsmerkmale des Herrn, darüberhinaus wurde aus ihrer Umgebung ernsthaft versichert, sie habe seit drei Jahren keine Nahrung zu sich genommen.

 Virchow fragt sich nun (Autrum, a.a.O., S. 102), „[woher das Mädchen denn die Kohlensäure nimmt, die sie dreieinhalb Jahre lang zweifellos ausscheidet.] Das müßte doch auf irgendeine Art und Weise zu konstatieren sein. Es wäre in der Tat eine sonderbare Sache, wenn man sich vorstellen müßte, daß die göttliche Absicht dahin führte, ein neues Quantum von Kohlenstoff in die Welt zu setzen, daraus Kohlensäure entstehen zu lassen und so das auf der Erde gegebene Maß von Kohlenstoff zu vemehren. Während bisher alle Chemiker und Physiker an der Unveränderlichkeit der Materie festhalten, ja behaupten, daß die gegebene Quantität Kohlenstoff invariabel sei, bringt Louise täglich ein neues Quantum Kohlenstoff hervor, wie die Meteoriten neues Eisen bringen, nur daß diese nach unweigerlichen Gesetzen zirkulieren, hier aber eine neue Kreation den Kohlenstoff erzeugt, ja sogar in den Körper der Louise Lateau hineinbringt. Sicherlich ein sehr schwieriges Problem, aber eines, welches doch angreifbar ist. Denn daß eine so anhaltende Entziehung der Nahrung ohne Abgabe von Kohlensäure durch die Lunge stattfinden sollte, daß etwa die Kohlensäure in der ausgeatmeten Luft fehlte, Louise also vielleicht atmete, ohne Kohlensäure zu erzeugen, was ein noch viel größeres Wunder sein würde als die Stigmata, das ist bisher nicht behauptet worden.

 Ich darf vielleicht daran erinnern, wie lange es gedauert hat, ehe die Begriffe über die Elemente sich gereinigt haben. Wie lange hat es als höchstes philosophisches und naturwissenschaftliches Gesetz gegolten, daß wir nur vier Elemente hätten, bis allmählich die chemische Ananlyse, zuerst im ungläubigen Orient, dann allmählich auch im Okzident den Nachweis führte, daß diese prätendierten Elemente gar keine seien, bis wir neue Elemente kennen lernten und diese an die Stelle der alten gesetzt wurden. So ist die revolutionäre Wissenschaft. [...]

 Meine Erörterung soll nicht verletzend sein. Aber ich muß sagen, wenn man in dieser Weise die Errungenschaft ganzer Jahrhunderte abstreitet, dann dürfen wir doch darauf hinweisen, daß in jedem Falle, wo es möglich gewesen ist, das vermeintliche Wunder unter volle naturwissenschaftliche Kontrolle zu stellen, es sich als natürlich enthüllt hat.“

 
 Frau Greve wird das nicht kümmern. Sie wird einfach behaupten, in ihrem speziellen Organismus sei diese Umwandlung von Licht in Kohlendioxid und Wasser möglich. Was der ganzen Wissenschaft nicht gelingt, ihr gelingt es eben. Vielleicht muß man sich Gedanken um jene machen, die auf Unsinn dieser Art hereinfallen. Vielleicht sollten wir unser Schulsystem unter die Lupe nehmen.

 Versuche, aus Blei Gold zu machen, aus dem billigen Element das teure, gab es viele in der Menschheitsgeschichte. Erst die Physik der Neuzeit hat erklärt, warum dies ein ebenso nutzloser Traum ist wie das Perpetuum mobile. Trotzdem werden solche sinnlosen Träume immer noch erfolgreich zur Bauernfängerei benutzt: Trutz Hardo und sein singender angeblicher Priester, dessen Lieder Amalgamplomben in Gold verwandeln oder die vielen Pläne neuer Perpetua mobilia, die jährlich bei den Patentämtern eingingen, so daß diese jetzt die Annahme grundsätzlich verweigern.

 Der Frankfurter Verlag Vittorio Klostermann - und wer den Verlag kennt, wird richtig ahnen, was kommt - hat 1942 ein Buch publiziert: Hauschka Rudolf: Substanzlehre. Zum Verständnis der Physik, der Chemie und therapeutischer Wirkungen der Stoffe. Der Autor ist dem anthroposophischen Dunstkreis zuzurechnen, auch wenn er Steiners Namen geflissentlich unerwähnt läßt. Der Autor hat von Chemie, Physik und Therapie keine Ahnung; insofern ist das Buch völlig uninteressannt. Aber es ist eine vortreffliche Fundstelle jenes verqueren Denkens, wie es vor, während und nach Steiner von den selbsternannten Propheten in die unkritischen Köpfe der Nation gepflanzt wurde.

 Der Anhang von knapp 50 Seiten gibt die Forschungsarbeiten (um 1876) eines gewissen Freiherrn von Herzeele aus Freienwalde an der Oder wieder. Hauschka führt den Freiherrn so ein: Es dürfte dem Bedürfnis einer größeren Zahl von Denkern und Forschern entgegenkommen, einem Experimentator des vorigen Jahrhunderts, der im Sinne Goethescher Naturanschauung forschte, zu begegnen. Goethe kann und darf nicht fehlen. Man fragt sich, was der Dichter wohl mit denen gemacht hätte, die ihren Schwachsinn mit seinem Namen legitimieren wollen.

 v. Herzeeles Grundthese, die dann auch von Hauschka gepredigt wird, ist, daß nicht, wie von der Wissenschaft behauptet, die organischen Stoffe aus den anorganischen entstanden sind, sondern die anorganischen entstehen aus den organischen. Also wieder einmal eine schlichte Umkehrung. Hinzu kommt, daß aus einem organischen Stoff, der z.B. gar kein Magnesium oder Kalium enthält, eben Magnesium und Kalium entstehen können, was die Einwirkung kosmischer Kräfte beweist. Die Vesuche des Freiherrn ergeben im wesentlichen, daß zwischen Beginn und Ende des Versuchs eine Zunahme des gemessenen anorganischen Stoffes eintritt, was nach Versuchsanordnung, nach zeitgenössischer und heutiger Chemie und Physik unmöglich ist. Die Entstehung von Magnesium in der Erdgeschichte erklärt er dann so: In dem allgemeinen Vorkommen der Magnesia zeigt sich ein neuer Beweis dafür, daß die Atmosphäre in früheren Zeiten reicher an Kohlensäure gewesen ist wie jetzt, denn nur in einer solchen konnten die damals wachsenden Pflanzen die großen Mengen von Magnesia bilden, welche wir in den vershiedenen Gebirgsarten finden. Pflanzen haben aus dem Kohlendioxid der Luft das Magnesium gebildet. Ein wahrhaft kühner Gedanke, eines Freiherrn in der Nachfolge Goethes würdig.
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« Antwort #9 am: 29. November 2010, 02:10:37 »

X. Individuelle Gleichförmigkeit und Beständigkeit der Wahrnehmung

 
 Grob ausgedrückt verstehen wir darunter die trivial erscheinende Tatsache, daß eine Stricknadel oder Zündholzschachtel nicht plötzlich wie eine Waschmaschine aussieht. Wir sehen hier eine Parallele
 
Konstanz der Objekte º Konstanz der Wahrnehmung
 
Zündholzschachtel bleibt  
Zündholzschachtel  
A = const.

 
Zündholzschachtel* bleibt
Zündholzschachtel*
A* = const.

 
 
Die Gleichsetzung in (1) stimmt nur in einem übertragenen Sinn. Die Konstanz des Stoffes A ist von den physikalischen Bedingungen abhängig, die oft nicht variieren; die Konstanz der Wahrnehmung A* ist dagegen von den Bedingungen des biologischen Systems abhängig, die durchaus variieren können.

 Die Konstanz der Wahrnehmung A* resultiert aus der Konstanz des Wahrnehmungsapparats. Diesen erfahren wir in aller Regel als gleichbleibend, unveränderlich und schließen daraus auf eine Sicherheit, die gar nicht besteht, denn während wir uns auf einem breiten Trampelpfad wähnen, wandeln wir in Wirklichkeit auf einem schmalen Grat, zu dessen beiden Seiten der Abgrund droht. A* kann sich plötzlich verändern, sich deformieren, seinen Wirklichkeitscharakter und seine Bedeutung verlieren - scheinbar ohne unser Zutun, scheinbar ohne irgendeine in uns abgelaufene Veränderung. Eine solche Veränderung kommt in ganz unterschiedlichen Abstufungen daher.

Ursachen sind:

* schlechte Lichtverhältnisse. Noch die harmloseste Ursache. Wir denken an die Möve, die im Dämmerlicht nur einen schmutzigweißen Fleck in der Tapete der Welt darstellt, dann fliegt sie auf und wird in unserem Gehirn zur Möve.

* das berühmte Vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen. Wir sehen etwas ganz anders, weil wir es von einem vorgefaßten Standpunkt aus betrachten. Dann macht es Klick, der Standpunkt ändert sich, im Gehirn rücken sich die Erinnerungen zurecht und wir sehen ein anderes Bild. Der umgekehrte Vorgang ist das Déjà vu-Erlebnis: Wir sehen eine noch nie erlebte Szenerie, die uns dennoch bekannt vorkommt. Weil die Szenerie nur wenige gemeinsame Merkmale mit einer anderen früher von uns erlebten Szenerie hat, die uns aber nicht bewußt werden, klassifiziert das Gehirn die Szenerie als bekannt bzw. bereits erlebt.

Traum
Erschöpfunszustand
Intoxikation
halluzinogene Drogen. Vgl. hierzu v. a. Huxley Aldous: The Doors of Perception. Farbalteration, Zeitdilatation, Raumalteration.
akute halluzinatorische Erkrankung
sensorische Deprivation; ab einem bestimmten Zeitpunkt beginnt das Gehirn, sich seine eigenen Empfindungen zu konstruieren.
akute Schizophrenie
sensorische Aphasie

 
Patientin G., 81 Jahre alt (eigener Fall). Sie entwickelt eine hochfieberhafte Cholecystitis. Durch ungenügende Flüssigkeitszufuhr Exsikkose und Stupor. Nach antibiotischer Therapie und Flüssigkeitsgabe Genesung. Anschließend fällt den Angehörigen auf, daß die noch rüstige Dame morgens nicht mehr Zeitung liest, was bei oberflächlicher Betrachtung an der Qualität des Provinzblattes liegen könnte. Der herbeigerufene Arzt findet mit dem Zündholzschachteltest heraus, daß es während der Krankheit zu einer Hirnschädigung gekommen ist mit konsekutiver sensorischer Aphasie.

 Aus den Aphasien folgt: A wird in Gehirnregion X gespeichert als optische Wahrnehmung Aopt, in Gehirnregion Y als akustische Wahrnehmung Aakust.

Wenn das Gehirn funktioniert,

 ä Aopt æ
A A*(Zündholzschachtel)
 æ Aakust ä

sagt der Patient: Das ist eine Zündholzschachtel.

Aakust(Zündholzschachtel) ist die gespeicherte Erinnerung an das Klappern der Zündhölzer.
Jeweils ein Zweig genügt zur Identifikation der Zündholzschachtel A (A ® A*).  

 
 ä Aopt ||
A A*(Zündholzschachtel)
 æ Aakust ä

 
Fällt der optische Zweig aus, kann am optischen Bild allein die Zündholzschachtel nicht mehr erkannt werden. Bei der Patientin war der optische Zweig ausgefallen. Zeigt man ihr die Zündholzschachtel, kann sie sie nicht benennen. Dies gelingt ihr aber sofort, wenn man die Zündholzschachtel bewegt, wenn sie das Klappern der Zündhölzer hört.

 
 Die Ausführungen zeigen, daß wir uns auf die Konstanz der Wahrnehmung keinesfalls bedingungslos verlassen können. Die Konsequenz ist, daß der Einzelfall nicht zum Beweis taugt, Sicherheit gewinnen wir nur durch den statistischen Beweis.
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Peter Zeller: 4. Teil: Spezielle Untersuchungen
« Antwort #10 am: 29. November 2010, 02:13:02 »

XI. Der Beweis über die Analogie

 
Steiner schreibt: Das Herz ist keine Pumpe - ich habe es oftmals gesagt -, sondern das Herz ist dasjenige, was, ich möchte eher sagen, wie ein Ablesegerät wirkt für dasjenige, was die Tätigkeit in der Gewebeflüssigkeit ist. Das Herz wird durch die Blutzirkulation bewegt, nicht die Blutzirkulation wird hervorgebracht durch die Herzpumpenwirkungen. Das Herz hat so wenig zu tun mit dem, was als Zirkulation im Menschen funktioniert, wie das Thermometer mit der Entstehung der äußeren Wärme und Kälte. Wie das Thermometer nicht anderes ist als ein Ableseapparat für die Wärme und Kälte, so ist das Herz nichts anderes ist als ein Ableseapparat für die menschliche Zirkulation und dasjenige, was aus dem Stoffwechselsystem des Blutes in die menschliche Zirkulation einfließt. Das ist eine goldene Regel, die man durchaus beobachten muß, wenn man den Menschen irgendwie verstehen will. Denn mit dem Glauben, daß das Herz eine Pumpe ist und das Blut durch die Adern treibt, mit diesem Glauben hat man das Entgegengesetzte der Richtigkeit eigentlich in der heutigen Naturwissenschaft in der Hand. Derjenige, der sich zu dem Herz-Aberglauben bekennt, der sollte sich, wenn er konsequent vorschreitet, nun durchaus auch bequemen zu dem Glauben: Ja, woher ist es wärmer geworden in meinem Zimmer? Weil das Thermometer hinaufgegangen ist! - Es ist konsequent ausgebildet ganz genau dasselbe (Steiner 1921, S. 107).

 Man beachte zunächst einmal den geschraubten, gedrechselten Stil, die manischen Wiederholungen. Die Botschaft hätte nur der halben Zahl der Worte bedurft. Er paraphrasiert; statt das Falsche sagt er das Entgegengesetzte der Richtigkeit. Dann sind da die ständigen Füllsel: ich möchte eher sagen, eigentlich, durchaus, irgendwie, dann die unnötigen Relativsätze: Er sagt nicht das Herz ist ein Ablesegerät für die Tätigkeit in der Gewebeflüssigkeit, er sagt das Herz ist dasjenige, was, ich möchte eher sagen, wie ein Ablesegerät wirkt für dasjenige, was die Tätigkeit in der Gewebeflüssigkeit ist. Er sagt nicht Das Herz hat so wenig zu tun mit der Zirkulation im Menschen wie..., er sagt Das Herz hat so wenig zu tun mit dem, was als Zirkulation im Menschen funktioniert... Das ist eigentlich das, was, ich möchte durchaus fast sagen, irgendwie als das bezeichnet wird, was man durchaus und zu Recht schlechten Stil nennt.

 Das Herz ist keine Pumpe. Würde er das in einem medizinischen Examen behaupten, würde er durchfallen.

 Es gibt einen einfachen Gegenbeweis. Hört das Herz zu schlagen auf, sistiert der Kreislauf. Wird das Herz bei Operationen in seiner Pumpfunktion ausgeschaltet, braucht man eine Pumpe als Ersatzherz, die Herz-Lungen-Maschine.

 Was macht er, nachdem er seine These aufgestellt hat? Er beweist sie mit einer Analogie: Zimmertemperatur - Thermometer analog zu Blutzirkulation - Herz. Für sich genommen, ist das ‘analoge’ Beispiel richtig. Daraus soll die Richtigkeit seiner These folgen, was sie nicht tut.  

 Er hat Ursache und Wirkung einfach vertauscht (Umkehrung als Methode). Man kann das mit dem Russellschen Ersetzungsverfahren zeigen:

Zimmertemperatur - Thermometer
Ursache - Wirkung
Herz - Zirkulation

Er aber schreibt: (3a) Zirkulation - Herz.
 
 Daß auch Wissenschaftler Opfer des falschen Analogiedenkens werden können, sieht man an der Perigenesis Haeckels. In dieser von ihm 1875 aufgestellten Vererbungstheorie sollten die Moleküle des Zytoplasmas je nach Eigenschaft einen unterschiedlichen Schwingungszustand besitzen. Die elektromagnetischen Schwingungen waren damals moderne Wissenschaft.

 
 Zweifellos lassn sich in der Wissenshaft Beispiele finden, wo ein Denken in Analogien das Wissen vermehrt hat (s. unten). Der Erfolg scheint die Mehode zu legitimieren. Wo ist der Unterschied zwischen Stiener und der Wissenschaft?

 In der Wissenschaft wird die Analogie verwendet, um mit analogen Rechenweisen den unbekannten Sachvehalt mathematisch in den Griff zu bekommen. Der Erfolg mißt sich daran, ob und wie gut die nach der Analogie entwickelten Formeln die Wirklichkeit beschreiben. Stellt sich dieser Erfolg nicht ein, dann war die Analogie falsch oder die Formeln wurden fehlerhaft abgeleitet.

 Das meint Longair (a.a.O. S. 40), wenn er die Maxwellsche Methode so charakterisiert: Das Verfahren [...] läßt sich aber, kurz gesagt, als ein Verfahren der Formalisierung unvollständiger Ähnlichkeit betrachten. Es besteht darin, daß man mathematische Ähnlichkeiten zwischen zwei ganz verschiedenen physikalischen Problemen erkennt und überprüft, wie weit sich eine Theorie mit Erfolg auf andere Verhältnisse anwenden läßt.

 In der Pseudowissenschaft erfolgt diese Kontrolle an der Natur gerade nicht. Von 2 Systemen wird analoges Verhalten, die Analogie, behauptet. Wegen der behaupteten Analogie soll die Gesetzmäßigkeit, die im einen System gesichert und bewiesen ist, auch im anderen System gelten; gerade das wird aber dann nicht geprüft, weil die behauptete Analogie Beweis genug sein soll.

 Wie die Methode des analogen Beweisens falsch benützt wird, sehen wir auch bei Altschul (a.a.O. § 78). „Das aufgeschlagene Buch der Natur“, sagt er zunächst, „zeigt uns überall analoge Erscheinungen.“ Danach argumentiert er so:
Arzneimittel sind polar, was er aber nur mit dem Satz stützen kann, daß kleine Dosen aufbauend, große aber zerstörend wirken.
Er schildert Beispielen polarer Phänomene in Chemie und Physik (Magnetpole, elektrische Ladung).
Damit ist für ihn sein Satz bewiesen, darüberhinaus auch gleich noch die Homöopathie.

Ein Beispiel füe die Analogie in der Wissenschaft ist die Herleitung der elektrodynamischen Gleichungen aus der Hydrodynamik als Analogie der Elektrodynamik mit der Hydrodynamik, die sich dann als Analogie der Navier-Stokesschen mit den Maxwellschen Differentialgleichungen ausdrückt. Schon die Begriffe ‘Strom’ (current), Wirbel etc. weisen aus, daß man hier vom fließenden Wasser ausging und von dort aus die Theorie entwickelte.

Ich lese hier in der Ludwig Boltzmannschen Ausgabe von J.C. Maxwell: Ueber physikalische Kraftlinien. Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften, Band 102, Leipzig 1898 (Neudruck Wiss. Buchges. Darmstadt, 1986) Seite 4 folgende: „Der Zweck dieser Abhandlung ist, in dieser Hinsicht [Kraftlinien und Wirkung - Z.] für die Speculation den Weg zu bahnen, einerseits durch Untersuchungen der mechanischen Wirkungen gewisser Spannungs- und Bewegungszustände eines Mediums [d.h. Hydrodynamik - Z.], andererseits durch Vergleichung derselben mit den beobachteten Erscheinungen des Magnetismus und der Elektricität. [...] Ich habe in einer früheren Schrift ["Über Faradays Kraftlinien" - Z.] versucht, eine klare geometrische Vorstellung von der Beziehung des Verlaufs der Kraftlinien zur Beschaffenheit des magnetischen Feldes zu geben, wo sie gezogen sind. Indem ich von der Vorstellung von Flüssigkeitsströmen Gebrauch machte, zeigte ich, [...]“ usw. und in der Anmerkung Maxwells [a.a.O., Seite 53]: „Nachdem der erste Theil dieser Abhandlung geschrieben war, sah ich in Crelle's Journal eine Abhandlung von Prof. Helmholtz über Flüssigkeitsbewegung, in welcher dieser ausführt, dass die magnetischen Kraftlinien nach denselben Gesetzen wie die Strömungslinien der Flüssigkeitsbewegungen verlaufen, [...]. Dies ist ein neuer Beweis einer physikalischen Analogie, welche zur gleichzeitigen Veranschaulichung zweier verschiedener Erscheinungsgebiete, des Elektromagnetismus und der Hydrodynamik, dienen kann.“ Hier wird bei Maxwell klar (und auch bei Helmholtz), dass er mit Analogien arbeitete, die ihm zur Formulierung seiner Differentialgleichungen verholfen haben, und welche Bedeutung er Analogien beimaß.

 Der Physiker und Philosoph Ernst Mach widmet das Kapitel „Die Ähnlichkeit und die Analogie als Leitmotiv der Forschung“ dieser Fragestellung (in „Erkenntnis und Irrtum - Skizzen zur Psychologie der Forschung“ 5. Aufl. Leipzig 1926, Neudruck Wiss.Buchges. Darmstdt. 1991, Seite 220 - 231). Auch er verweist auf Maxwell (S. 229): „Maxwell hat die Benützung der Analogie mit Bewußtein zu einer sehr geklärten physikalischen Methode entwickelt. [...] Maxwell gelingt es auf diese Weise in seinen Darstellungen, ohne die Anschaulichkeit aufzugeben, die Unbefangenheit und die begriffliche Reinheit zu wahren. Er vereinigt die Vorteile der Hypothese mit jenen der mathematischen Formel. Das Bild, welches er noch anwendet, ist [...] ein solches, dessen psychische Folgen wieder Bilder der Folgen der Tatsache sind. Maxwell nähert sich einer idealen Methode der Naturforschung. Daher seine ungewöhnlichen Erfolge.“

 Ernst Mach hatte Erkenntnis und Irrtum u.a. David Hume gewidmet. Natürlich wird man auch beim Urvater der Skeptik bezüglich Analogie fündig: David Hume "Ein Traktat über die menschliche Natur" Buch I, Teil 3, Abschn. 12. Ich zitiere aus der Philosophischen Bibliothek des Felix Meiner Verlages Nr. 283 a, S.194 ff: „Außer den im Vorstehenden erörterten zwei Arten der Wahrscheinlich-keitserkenntnis, also derjenigen, die durch unvollkommene Erfahrung und derjenigen, die durch das Dasein einander widerstreitender Ursachen bedingt ist, gibt es schliesslich noch ein dritte Art. Sie beruht auf Analogie und unterscheidet sich von den beiden anderen in einigen wesentlichen Punkten.[...] In den soeben erörterten Fällen [...] ist es die Beständigkeit der Verbindung, die eine Verminderung erfahren hat; in der auf Analogie beruhenden Wahrscheinlichkeitserkenntnis dagegen ist es lediglich die Ähnlichkeit, die von der Verringerung betroffen wird. Ohne einen gewissen Grad von Ähnlichkeit sowohl wie von [erfahrungsgemäßer] Verknüpfung kann überhaupt kein [Erfahrungs-] Schluss stattfinden.“

 
Kommentare von I. Kant zu diesem Modell der Analogie: KrdrV, z.B.: Elementarlehre, II. Teil. I. Abt. II. Buch, II. Hauptstück, III. Abschnitt, Punkt 3 "Analogien der Erfahrung" (S. 218 OrigB): „Das Prinzip derselben [Erfahrung] ist: Erfahrung ist nur durch die Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen möglich. 1. Analogie: Beharrlichkeit der Substanz 2. Analogie: Zeitfolge nach dem Gesetz der Kausalitaet 3. Analogie: Zugleichsein nach dem Gesetz der Wechselwirkungen

 
In Sein und Zeit schreibt Heidegger einige interessante Ansätze in Paragraph 69 b Der zeitliche Sinn der Modifikation des umsichtigen Besorgens zum theoretischen Entdecken des innerweltlich Vorhandenen. (M.Niemeier Verlag 17. Aufl. 1993, Seite 356 ff).

 Karl Jaspers Von der Wahrheit, Zweiter Teil, Viertes Kapitel ("Die Eigentümlichkeiten unseres Denkens und Erkennens, gemessen an idealen Konstruktionen") Ic: "Unser Erkennen ist angewisen auf Anschauung, in der der Gedanke sich erfüllt, sich Bedeutung und Gegenständlichkeit verschafft. Ein reines Denken ist uns nicht möglich, vielmehr wird reines Denken bei uns sogleich leer. Realität erfassen wir nur durch sinnliche Wahrnehmung, Möglichkeiten nur in anschaulichen Vorstellungen. Anschauung ist immer einzeln, nicht allgemein. Durch den allgemeinen Begriff denken wir in der je einzelnen Anschauung. Das Allgemeine bringen wir in Gedanken hervor, die Anschauung aber muss uns gegeben werden. Vermöge der Gebundenheit der Anschauung ist unser Erkennen angewiesen auf Erfahrung. Es erkennt, was ist, und wenn es eigentlich nur das erkennt, was es selber machen kann, so ist doch alles Machen ein Hervorbringen aus schon Gegebenem, durch Umordnung und Formung von Material, dessen Eigenschaften in solchem Machen erkannt werden.“
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« Antwort #11 am: 29. November 2010, 02:15:35 »

XII. Über die falsche Verwendung anthropomorpher Begriffe

 
 Steiner schreibt: Die menschlichen inneren Eiweißorgane, die wollen stabil bleiben. Sie wollen deshalb stabil bleiben, weil sie nach innen geistig-seelische Tätigkeit absondern wollen, befreien wollen (Steiner 1921, S. 106).

 Daß das Beispiel von Steiner stammt, ist für die nachfolgende theoretische Erörterung ohne Belang.

 Wir haben hier einen typischen Fall der Zuordnung anthropomorpher Eigenschaften zu einem Objekt der Wirklichkeit, das diese Eigenschaften nicht besitzen kann: Die Eiweißorgane wollen stabil bleiben, wollen absondern, wollen befreien. Den Eiweißorganen werden, fälschlich, Merkmale des Menschen beigelegt. Daraus resultiert sofort eine falsche Naturbeschreibung.

 Der naheliegende Einwand ist, daß man anthropomorphe Wendungen fast überall trifft. In jeder Computerzeitschrift findet man Sätze wie Wenn Sie jetzt auf diese Taste drücken, dann denkt/glaubt der Computer... Natürlich denkt oder glaubt der Computer nicht. Der Tastendruck führt zu einem winzigen Strom, der in eine Dualzahl der Maschinensprache transformiert, in einem Speicher abgelegt wird und durch das ‘Lesen’ des Speichers eine Aktion bewirkt. Anstatt nun jedesmal diese umständliche Darstellung des tatsächlich Geschehenden hinzuschreiben, verwenden wir die viel kürzere anthropomorphe Paraphrase, setzen aber voraus, daß das dem Leser bewußt ist. Die anthropomorphe Paraphrase ist einfacher, kürzer, weniger umständlich, und der anthropomorphe Teil des Wortes ist nicht ernst genmeint.

 Bei Steiner ist er ernst gemeint, das ist der Unterschied. Der Verstoß gegen die Begriffsmorphie ist ein Kennzeichen vieler Pseudoverfahren, die mithin eine falsche Naturbeschreibung liefern.

 Das ist aber nicht alles. Die fehlerhafte Verwendung anthropomorpher Wendungen hat eine weitreichende wissenstheoretische Bedeutung.

Beim Computer benützen wir anthropomorphe Wendungen, obwohl wir wissen, was im Computer abläuft
(Maschinensprache u. s. f.), der Kürze halber.

Das gleiche geschieht in der Wissenschaft, die anthropomorphe Wendung ist immer kürzer, aber wir wissen was gemeint ist, z. B. der molekulare Ablauf.

Was tun wir, wenn wir etwas beschreiben wollen, das wir nicht wissen? Wir greifen zu anthropomorphen Wendungen! Das nicht Bekannte machen wir durch die bekannte anthropomorphe Wendung zum Bekannten. Aber es ist dadurch nur scheinbar bekannt.

 Diese Vorgehensweise ist eine Variante der Merkmalsübertragung nach Karl und Charlotte Bühler, die dieses Vorgehen in anderem Zusammenhang geschildert und den Terminus Merkmalsübertragung geprägt haben.

 Wenn wir in der kausalen Theorie eine Lücke haben zwischen zwei Punkten, dann füllen wir, unerlaubterweise, diese Lücke mit anthropomorphen Wendungen. Damit ist die Lücke scheinbar gefüllt, sie ist kein offenkundiges Ärgernis mehr. Aber unsere Darstellung des Unbekannten über die anthropomorphen Wendungen macht unsere Theorie zur Spekulation!

 Damit wir uns recht verstehen: Dies ist eine Kritik an der Wissenschaft. Derartiges ist nicht erlaubt. Tückisch wird es dadurch, daß, wie unter 2. ausgeführt, die erlaubten anthropo-morphen Wendungen gang und gäbe sind.

 Bei Steiner ist das anders. Er füllt keine Lücke. Er hat keinerlei medizinisches Wissen. Das Nichtwissen ‘ersetzt’ er durch die Aneinanderreihung anthropomorpher Wendungen, im großen Feldherren-Maßstab entwickelt er aus dem Unbekannten, aus dem medizinischen Nichtwissen, das Bekannte, sein System.

 Was sollten wir tun, wenn wir etwas nicht wissen? Dann sollten wir nur das beschreiben, was wir wissen. Die Lücke sollten wir als Lücke kennzeichnen und nicht mit anthropomorphen Wendungen zukleistern und damit eine vermeintliche Wahrheit, eine Pseudowahrheit, herstellen.
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« Antwort #12 am: 29. November 2010, 02:20:10 »

XIII. Über Entstehung von Theorien und ihre möglichen Weiterentwicklungen zu Glaubenssystemen.

 
 Theorien entstehen unter anderem aus Beobachtungen an der Natur und aus Experimenten mit der Natur. Die Theorie soll die Ergebnisse berechenbar machen, sie vielleicht sogar erklären. Zu Beginn ist die Theorie über ein Phänomen meist einfach und entsprechend fehlerhaft; durch weitere Versuche wird sie verfeinert und genauer. Wir sehen hier eine fortschreitende Differenzierung der Theorie ({A} Þ {A1..An}), eine Entwicklung, aus der Popper einen kumulativen Wissens- und Erkenntnisfortschritt gefolgert hat. (Daß dies später von Kuhn, Lakatos, Feyerabend energisch bestritten wurde, braucht uns hier nicht zu bekümmern: Die revolutionären Theorienfortschritte stehen dem nicht entgegen, solange sie die vorherigen Theorien als Grenzfall enthalten. Im übrigen sollte man mit dem Ausdruck revolutionär in der Theorientheorie zurückhaltend sein, und manch scheinbar Revolutionäres hat später seinen althergebrachten Grund offenbart.)

 Es gibt aber eine zweite, ganz andere Art der Weiterentwicklung von Theorien (die Popper nicht berücksichtigt hat), nämlich die Hineinentwicklung in ein nicht mehr rational kritisierbares Glaubenssystem, das dann die Merkmale von Poppers Closed Societies trägt; eine Entwicklung, die ich als die Philologisierung von Theorien bezeichnen möchte.

 Ich möchte das an der Theorie der Reizbarkeit aufzeigen. Die Daten zu ihrer Geschichte stammen u.a. von Madaus (Madaus a.a.O. Bd. 1 S. 12).

 Nach der Entdeckung der Elektrizität zeigten Experimente, daß Körperzellen nach Reizung mit elektrischem Strom eine Reaktion zeigen. Der äußere chemische oder physikalische Reiz, so zeigte sich, führt zu einer Reizantwort der biologischen Systeme. Darauf gründeten v. Haller und Brown ihre Theorie der Reizbarkeit. Rudolf Virchow hat die Theorie gedanklich präzisiert, insbesondere festgestellt, daß die Reizbarkeit ein Kriterium des Lebendigen sei (worüber man aber streiten könnte). In 200 Jahren weiterer Forschung entstand daraus die Theorie der Erregbarkeit biologischer Membranen.

 Parallel zu diesem ersten, wissenschaftlichen entstand ein zweiter Weg, der von Arndt 1885 begonnen und in den ersten Dezennien des 20. Jahrhunderts vom pensionierten Chirurgen August Bier in vielen Artikeln in führenden Fachzeitschriften nachhaltig propagiert wurde. Arndt übertrug das Pflügersche Zuckungsgesetz als allgemein gültig auf das ganze Nerven- und Seelenleben, eine unzuläsige und unbegründete Verallgemeinerung. Madaus: „Hugo Schulz verallgemeinerte das Gesetz auf alle Zellen des tierischen Lebens und auf alle Krankheiten“. So entstand die Schulz-Arndtsche Regel. Sie besagt:
"Schwache Reize fachen die Lebenstätigkeit an, mittelstarke fördern sie, starke hemmen sie und stärkste heben sie auf."

Hugo Schulz geht in der Einleitung zu seinem Buche "Vorlesungen über Wirkung und Anwendung unorganischer Arzneistoffe" (Leipzig 1920) ausführlich auf dieses Gesetz ein und auf die Fragen "wie lernt man die Reizwirkung der Arzneistoffe kennen und wie äußert sich der Arzneireiz?" Auf die erste Frage gibt er an, daß man die Reizwirkung am besten nach dem Beispiel von Hahnemann, dem Begründer der Homöopathie, durch Prüfung der Arzneimittel am gesunden Menschen studieren kann. Auf die Frage, wie sich der Arzneireiz äußert, sagt er, daß sich zunächst der Zustand vermehrter Blutfülle bildet, der in Entzündung übergehen kann.“

Die vermehrte Blutfülle ist mit der Blutstase identisch, wie sie als Beginn des Entzündungsmechanismus heute noch in der allgemeinen Pathologie beschrieben wird. Daß aber gelten solle, daß Arzneistoffe ihre Heilwirkung generell durch Auslösung einer Entzündung erzielen, ist nicht nur eine völlig unzulässige Generalisierung, sonden auch in der Sache schlicht falsch. Die Auffassung entspringt einer Zeit lange vor Schulz, wo Entzündung ein nebelhafter Begriff ohne jeden präzisierbaren Inhalt war.

"Zu dem Zustandekommen der Arndt-Schulzschen Regel ist zu bemerken, daß Arndt (Die Neurasthenie, Wien und Leipzig 1885, S. 28 ff) zunächst das Pflügersche Zuckungsgesetz auf das ganze Nerven- und Seelenleben verallgemeinerte. Hugo Schulz verallgemeinerte das Gesetz auf alle Zellen des tierischen Lebens und auf alle Krankheiten. Bei der Bedeutung der Arndt-Schulzschen Regel ist es wichtig zu wissen, daß der Vesuch, der Hugo Schulz veranlaßte, die Verallgemeinerung für alle Zellen des tierischen Lebens auszusprechen, nicht reproduzierbar ist. Schulz hatte die Einwirkung von Sublimatlösung in verschiedener Konzentration auf Hefezellen studiert und dabei die umkehrende Wirkung beobachtet (Umkehrung der Wirkung im Sinne der Arndt-Schulz-Regel - Z.). Ich selbst habe mich wiederholt bemüht, den Versuch durchzuführen, es ist mir nicht gelungen, weil zum ersten die Hefezellen in destilliertem Wasser nicht wachsen, weil zum anderen die stimulierende Wirkung von gewöhnlichem Wasser sich nicht unterscheidet von der nach Zusatz von Sublimatlösungen in höheren Verdünnungen. Auch von anderer Seite ist versucht worden, diesen äußerst wichtigen und grundlegenden Versuch nachzuahmen. Die Versuchsanordnung ist von Hugo Schulz 1888 im 42. Bande von Pflügers Arch. angegeben.
Die Ergebnisse von H. Schulz konnten z. B. bei der Nachprüfung von Joachimoglu (Joachimoglu, Biochem. Ztschr., 79,144 1917; 130, 239, 1922) und von Zeller (Zeller, Biochem. Ztschr., 171, 45, 1926) nicht bestätigt werden.“

 
 Arndt war es, der den Irrweg als erster eingeschlagen hatte mit seiner unzulässigen Generalisierung. Schulz trieb die Generalisierung weiter und stützte sie mit einem Versuch, der sich als nichtreproduzierbar herausstellte, was Schulz zeitlebens nicht zur Kenntnis nahm. Bier war der Propagandist, der die neue Lehre in die Köpfe der einfachen Landärzte pflanzte. Alle drei waren sie Opfer der neuen Denkbrille Reiztheorie geworden, des neuen Paradigmas. Die Grenzen der neuen Lehre wollten sie nicht wahrhaben, sie sahen endlich ein allumfassendes Gesetz, wie es Altschul in der Arzneifindungslehre der Homöopathie sehen wollte.

 Was geschieht hier? Die Forschung betritt Neuland mit Experimenten, deren theoretische Beschreibung anfangs nur tentativ geschehen kann; die Theorienversuche sind Anlaß weiterer Experimente als Prüfung der Theorien an der Natur. Und bereits hier scheiden sich die Geister, trennen sich die Wege. Von einigen wenigen wird der gefundene Satz als höhere Wahrheit erkannt, mit der (unberechtigten) Generalisierung zur umfassenderen Wahrheit überhöht. Die Theorie gilt plötlich nicht mehr allein für die elektrische Erregbarkeit des Nerven, sie soll als allgemeine Wahrheit für alle Lebensprozesse gelten. Aus dem Gebiet nicht nur der Physiologie, sondern der ganzen Medizin werden jetzt Beispiele zusammengesucht, die unter dem Aspekt der neuen Denkbrille gesehen werden können, und aus den Beispielen wird gefolgert, unausgesprochen, daß das ganze Leben diesem neuen Paradigma gehorche.

 Die unvollkommene Beschreibung des Beginns, hier liegt der Bruch, wird von wenigen verallgemeinert, weil sie glauben, mit dem Fragment der wissenschaflichen Wahrheit den Zipfel einer höheren philosophischen Wahrheit in Händen zu haben, mit der Verallgemeinerung schaffen sie erst dieses höhere Prinzip, und sie tun es aus einem inneren Drang heraus, weil die einfache Beschreibung eines Phänomens ihnen nicht genug ist, sie sehnen sich nach dem allumfassenden, allgültigen Prinzip.

 Ist das Prinzip erst einmal formuliert, dann wird es nicht, wie das sein sollte, an der Natur geprüft, stattdessen wird es gegen die zwangsläufig entstehenden Angriffe verteidigt. Als Antwort auf die Angiffe werden neue Verteidigungslinien wie Korsettstangen in das Prinzip eingezogen, neue Regeln hinzuerfunden, Schritt für Schritt wird das Prinzip gegen Widerlegungen immunisiert: Wir sind beim Glaubensystem angekommen.

 Die Korsettstangen entstehen dabei nicht aus der Natur des Prinzips heraus, sie sind keine Weiterentwicklungen oder Ableitungen des Prinzips, sondern sie entstehen aus der Natur des Angriffs heraus, sind bloße Riposte. Sie besitzen keine Funktion innerhalb des Prinzips selbst, sie sollen nur abwehren.

1. Die Feinstofflichkeit ist ursprünglich kein notwendiger Bestandteil der Homöopathie. Sie muß hinzuerfunden werden nach Entdeckung der Loschmidtschen Zahl.

2. Nachdem die wissenschaftlichen Kriterien zum Nachweis von Therapieerfolgen immer besser wurden und die Homüopathen keine homöopathischen Heilungen nach wissenschaftlichen Standards präsentieren konnten, mußte der Satz hinzuerfunden werden, homöopathishe Wirkungen seien prinzipiell nicht nachweisbar. Hahnemann war schon der Meinung, daß er seine Heilerfoge beweisen konnte. Die prinzipielle Nichtnachwisbarkeit kann aus der Lehre der Homöopathie nicht abgeleitet werden.

3. Hahnemann hielt seine Theorie für wahrhaft wissenschaftlich. Altschul und einige seiner Zeitgenossen waren überzeugt, daß die Homöopathie überhaupt die erste wissenschaftliche Medizin in der Geschichte sei. Heute behaupten die führenden Homöopathen, die Homöopathie sei gerade keine Wissenschaft - notgedrungen, nur so glauben sie, der Widerlegung noch entgehen zu können.

 
 Man kann die Geschichte auch anders erzählen, wenn man nur die Details durch genügend verallgemeinernde Sprachwendungen ersetzt, vom Konkreten ins Allgemeine wechselt: Da wird in dem einen Fachgebiete ein Phänomen entdeckt (elektrische Erregbarkeit). Ein Forscher erkennt nun, daß dieses Phänomen befruchtend wirkt in einem ganz anderen, weit entfernten Forschungsgebiet (Seelenleben). Der Blick über die Disziplinen hinweg, nur den ganz großen Forscherpersönlichkeiten vorbehalten, läßt diese dann das große Prinzip erkennen, nach dem die Menschheit doch ständig sucht. So wird die Homöopathie wieder zum göttlichen Gesetz (Hahnemann).
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