§ 50. Die anthroposophische Misteltherapie.
Die Mistel wurde 1920 vom Gründer der anthroposophischen Bewegung,
dem Philologen Dr. Rudolf Steiner, zur Krebsbehandlung in die
anthroposophische Medizin eingeführt (Vortragsreihe
Geisteswissenschaft und Medizin, 13. Vortrag vom 2.4.1920).
Die Erkenntnis, daß die Mistel ein Krebsmedikament sei, gewann er durch ‘geistige innere Schau' -
Steiners bevorzugte Erkenntnismethode. Damit ist keineswegs ein
plötzlicher Einfall gemeint oder eine Inspiration, vielmehr hat
Steiner als der ‘Auserwählte’ eine ‘göttliche Eingebung’.
Nach Steiner ist die Mistel ein Schmarotzer am Baum, so wie
der Tumor ein Schmarotzer am Organismus des Kranken ist. Zur
Herstellung der Präparate werden Misteln von verschiedenen
Wirtsbäumen (Apfelbaum, Eiche, Pinie, Tanne) verwendet. Die Misteln
werden in mondlosen Nächten geschnitten, wenn mich mein Gedächtnis
nicht trügt, vielleicht aber auch bei Vollmond.
Analyse:
1. Die Theorie der anthroposophischen Mistelbehandlung entsteht aus einem
primitiven Analogiedenken:
Die Mistel ist ein Schmarotzer, der Tumor ist ein Schmarotzer.
2. Baum und Mistel sind aber zwei völlig verschiedene biologische Systeme,
der Tumor ist dagegen körpereigenes Gewebe. Die Analogie geht hier fehl.
3. Es ist auch nicht zu sehen, weshalb der eine Schmarotzer gegen den
anderen helfen sollte - die Behauptung ist spekulativ.
4. Wenn nun der Mistelextrakt nach Hahnemannscher Manier durch
‘rhythmische Prozesse’ potenziert wird, ist das in der
Steinerschen Theorie nicht begründet, hier hat er bloß
abgekupfert. Nach Hahnemann kann die Mistel kein Krebsmittel sein,
dazu müßte sie ‘in normaler Dosierung’ beim Menschen Krebs
hervorrufen, was sie nicht tut.
Auch die Analogie kann hier nicht herangezogen werden; die
Mistel ist kein Krebs des Baumes. Die Steinersche Mistelbehandlung
ist also eine Mischung aus primitivem Analogiedenken und nicht
verstandener Homöopathie.
5. Obwohl die Anthroposophen ihre Mistelbehandlung seit fast 80 Jahren
betreiben, gibt es von ihnen keine einzige Statistik, die den
kurativen ,
additiven
oder supportiven
Nutzen der Mistel belegen würde.
6. Etwas anderes wird auch deutlich, der Sekten charakter.
Steiner ist der Auserwählte ,
der allein über die Erkenntnis verfügt, der seine Ewigen
Wahrheiten
seinen Gefolgsleuten verkündet ,
denen er keinerlei Rechenschaft geben muß.
Nach Prokop waren drei Psychiater der Meinung, Steiner habe an einer
Schizophrenie gelitten. Die folgenden Sätze stammen aus einem
Vortrag Steiners vor Ärzten und Medizinstudenten am 21.4.1921 in
Dornach (das Goetheanum in Dornach bei Basel ist das Zentrum der
Anthroposophen), veröffentlicht als Geisteswissenschaftliche
Gesichtspunkte zur Therapie (3. Auflage 1963):
"Wenn Sie draußen im Universum, im Urgebirge denjenigen Prozeß sehen,
der sich in der Schieferbildung ausdrückt, namentlich in alledem,
was von der Kieselerde aus in die Schieferbildung führt, dann haben
Sie in den Kräften, die da drinnen, in diesem Prozesse, dem von der
Kieselerde ausgehenden Schieferbildungsprozesse, wirken, den
polarisch entgegengesetzten Prozeß von dem, der sich hier
einerseits in der physischen Hauptesbildung abspielt [gemeint
ist die ontogenetische Entwicklung des menschlichen Kopfes - Z.]. Es
ist dieses ein wichtiger Zusammenhang zwischen dem Menschen und
seiner Umgebung. Es ist einmal im menschlichen Haupte dieser Prozess
wiederum drinnen, der sich draußen im Mineralisieren abspielt. Es
ist ja heute, ich möchte sagen, schon fast für die Geologie klar,
wenn auch noch nicht ganz, daß alles, was der Prozeß der
Schieferbildung ist, der Prozeß aller derjenigen Mineralisierung,
an der die Kieselerde, Silizium, beteiligt ist, mit dem
zusammenhängt, was man Entvegetabilisierung nennen könnte. Wir
müssen gewissermaßen mineralisch gewordene Pflanzenwelt in der
Schieferbildung suchen, und indem wir dieses Entvegetabilisieren zu
erfassen suchen, was gleichbedeutend ist mit der Schieferbildung der
Erde, ergreifen wir denjenigen Prozeß, der in einer anderen Weise
in seinem polarischen Gegenteil hier im menschlichen Haupte spielt.
Mit dem spielt aber ein anderer Prozeß zusammen. Und diesen anderen
Prozeß, der mit diesem zusammenspielt, müssen wir wiederum draußen
in der Welt suchen. Wir müssen ihn da suchen, wo sich zum Beispiel
Kalkgebirge bilden. Und wir haben es wiederum heute schon fast als
eine geologische Wahrheit für die äußere Wissenschaft daliegen,
daß Kalkgebirge im Wesentlichen auf einem Prozeß der Erdbildung,
den wir Entanimalisierungsprozeß nennen können, beruhen. Es ist
das der entgegengesetzte Prozeß des Tierwerdens. Und wiederum der
polarisch enzgegengesetzte Prozeß spielt hier drinnen. Wenn wir
also dem Silizium und dem Kalzium, die zur Ruhe gekommene Prozesse
sind, einen Anteil an der menschlichen physischen Hauptesbildung
zuschreiben, so müssen wir uns klar sein, daß dadurch in diese
menschliche physische Hauptesbildung etwas hineinspielt, was
draußen, in der ganzen Natur unserer Erde wenigstens, eine sehr
bedeutsame Rolle spielt. Wir können uns zu gleicher Zeit jetzt
schon vorbereitend darüber orientieren, daß, wenn wir hinschauen
auf der einen Seite auf die Kieselerde, auf das Silizium, daß das
eine wesentliche Verwandtschaft hat mit demjenigen, was gerade im
physischen Haupte vor sich geht; wenn ich von Silizium spreche, so
ist es eben der zur Ruhe gekommene Prozeß. Dasjenige wiederum, was
Kalkbildungsprozeß ist, was im Kalzium zur Ruhe kommt, das hat
etwas zu tun mit alledem, was der entgegengesetzte Pol ist, was
polarisch mit der andern Kraft zusammenwirkt im menschlichen
physischen Haupte. Diese Prozesse, die wir geradezu heute noch um
uns herum aufsuchen können, stehen im menschlichen Haupte im
Zusammenhange mit anderen Prozessen, die wir auf der Erde nicht
finden, die nur im Abdruck vorhanden sind, indem das Haupt eben
Abdruck ist von ätherischem Leib, astralischem Leib und Ich
(S.13/14).
Was waren das für Ärzte, die sich das angehört haben?
Wir haben die Haare nämlich nicht umsonst, sondern von den Haaren gehen
auch Kräfte wiederum nach dem Organismus, und zwar wiederum feinste
Kräfte, feinste Kräfte gehen aus den Haaren wiederum zurück in
den Organismus hinein.
Was spricht für die Schizophrenie?
Man muß bedenken, daß viele Schizophrene in der Alltagsumgebung auch
auf den Fachmann völlig normal wirken, die Schizophrenie kommt erst
dann zum Vorschein, wenn man den Kranken zufällig auf etwas
anspricht, das Teil seines ‘Systems’ ist oder wenn etwas
geschehen ist, das in den Augen des Kranken ‘bedeutsam’ ist. Das
‘System’ ist das, was der Fachmann als den Wahn beschreibt.
Manchmal handelt es sich dabei, wie bei Steiner, um riesige
Pseudodenksysteme. Wie echte Denksysteme gründen sie auf wenige
fundamentale Überlegungen, auf denen durch scheinbare Deduktion das
Denkgebäude errichtet wird, sie unterscheiden sich aber von den
echten Denksystemen typischerweise dadurch, daß Vorgänge, die in
keinerlei Beziehung miteinander stehen, in Beziehung zueinander
gestellt werden, wobei diese Beziehung noch als besonders bedeutsam
herausgestellt wird, so daß die tatsächlich getrennten Phänomene
als wesenhafte Einheit erscheinen. Schon die geringste Ähnlichkeit
oder auch die nur zufällige Gleichzeitigkeit genügen zur Bildung
der Analogie, der wesenhaften Gleichheit. Die zufällige
Ähnlichkeit, sei sie noch so entfernt, wird zum unumstößlichen
Beweis (vgl. Huizinga).
Sind die Blüten von gelber Farbe, befördert der Pflanzenextrakt
den Fluß der gelben Galle.
Es versteht sich von selbst, daß mit dieser ‘Erkenntnismethode’
nur Zufallstreffer zu erzielen sind. Die Wahrscheinlichkeit, in
Pflanzenextrakten ein choleretisches Mittel zu finden, ist
allerdings sehr hoch. Alle Pflanzen enthalten Alkaloide, sehr
reaktionsfreudige Stoffe, die u. a. mit der glatten Muskulatur
reagieren. Die Wahrscheinlichkeit einer Beeinflussung des
Gallengangsystems und seiner glatten Muskulatur liegt daher bei 100
Prozent.
Aber nicht nur das scheinbar Gleiche, auch das völlig Gegensätzliche
wird in Beziehung gesetzt, vermittels der Polarität und der
Komplementarität. So lassen sich Gleiches mit Gleichem und
Gegensätzliches mit Gegensätzlichem wesenhaft, notwendig und
bedeutend verbinden, heraus kommt die völlige Entdifferenzierung,
die Vermengung aller Phänomene, der Holismus.
Seit den Veröffentlichungen von Franco Basaglia und David Cooper ist es
Mode geworden, die Existenz der Schizophrenie als Krankheit
überhaupt anzuzweifeln, sie als sozialgenetische
Verteidigungsmaßnahme des Individuums darzustellen. Ich habe über
längere Zeit eine Patientin behandelt (Frau P., 60 Jahre), ihr für
den Bluthochdruck Medikamente verordnet. An einem Montagmorgen,
völlig übergangslos und ohne Zusammenhang mit dem vorhergehenden
Gespräch, erzählt sie voller Empörung, der Psychiater Z. habe ihr
am Wochenende eine Botschaft geschickt, sie müsse ihn aufsuchen, er
wolle sie befruchten. Sie habe sich gewehrt, das habe nichts
genutzt, er habe ihr seinen Samen in Form von Strahlungen geschickt,
der in sie eingedrungen sei. Sie werde sich jetzt bei der
Ärztekammer beschweren, weil sie befürchten müsse, schwanger zu
werden. Man sieht, wie hier reale und irreale Vorstellungen vermengt
werden. Mein Vater klärte mich auf, die Patientin leide seit 20
Jahren an einer Schizophrenie, sei aber harmlos.
Steiners Werk illuminiert noch einen ganz anderen Gesichtspunkt: Man kann
tatsächlich seine Kritiker totschreiben. Übersteigt das ‘Werk’
einen gewissen Umfang, wird es auf eigenartige Weise unangreifbar.
Irgendwo findet sich immer ein Satz, den der Kritiker nicht bis in
die letzten Verästelungen durchdacht oder den er sogar übersehen
hat. Je nach Kritik sind die ‘ewigen Wahrheiten’ mal hier, mal
dort. Es zählen immer nur gerade die Sätze, die sich zur
Widerlegung der jeweiligen Kritik eignen. Die Beliebigkeit der
Argumentation entsteht dadurch, daß sich die Argumente nicht nach
der Wahrheit, sondern nach der jeweiligen Nützlichkeit richten. Die
Widerlegung wird so zu einem sinnlosen Schattenboxen mit einem
Gummimännchen, so daß der Kritiker schließlich entnervt aufgibt.
Vielleicht ist alles bei Steiner aber auch nur eine typische pseudomystische
Verbrämung. Man muß die Zeit berücksichtigen, in der das geschah.
Die Zeit nach dem ersten Weltkrieg war eine bittere Zeit in
Deutschland. Die Menschen hungerten. Da tritt das erstaunliche
Phänomen auf, daß sich dem leiblichen der Hunger nach geistiger
Nahrung beigesellte. Die Scharlatane des Geistes hatten
Hochkonjunktur, Steiner war nicht der einzige. Über diesen
Zeitgeist schreibt Jaspers 1925:
"Es ist heute vielfach eine Surrogatphilosophie verbreitet. Man
fabriziert Metaphysiken, versteht sich auf metaphysische Erbauung,
gründet Konventikel und Schülerverhältnisse, theosophische und
spiritistische Genossenschaften."
(Zum Verständnis des folgenden: Jaspers bezeichnet die Urheber
der Pseudophilosophien als Romantiker und
Nihilisten, die neu entstehende Psychologie sieht er als eine
betrachtende, beschreibende, registrierende Lehre, die nicht
Stellung nimmt in einem wertenden Sinn, nicht Partei
ergreift.) Diese
Weisen des Verhaltens sind immer wegen ihrer Künstlichkeit,
Unechtheit in großer Gefahr. Während der in einer Weltanschauung,
einer Kirche echt und fundiert lebende Mensch auf die Einstellung
universaler Betrachtung, die ihm nichts anhaben, ihn nicht stören
und gefährden kann, mit Gleichgültigkeit oder Mitleid blickt, auch
dann, wenn sie ihn selbst trifft, haben ganz im Gegensatz diese
Romantiker und Nihilisten einen Haß gegen diese Betrachtung des
Nichtstellungnehmenden. Sie ziehen einen Feind vor. Diese
rücksichtslose Wirklichkeits- und Wahrheitsforschung
[der neuen Psychologie]
geht gegen ihre Existenzbedingungen. Sie müssen sie mit allen
Mitteln bekämpfen, mit Lächerlichmachen, mit Insinuationen, mit
allen nur möglichen Klassifikationen des Psychologen (als
"Aufklärer", "Eklektiker" usw.), mit Verwerfung dieser
ganzen Art als des "Bösen" und "Liebelosen" u. dgl.
Steiners Werk lebt von der pseudomystischen Verbrämung, ist ohne das ganze
pseudomystische Drumherum gar nicht denkbar. Ich möchte deutlich
machen, daß es sich hier um eine bewußte Methode handelt.
Wenn ich sage "Katzendreck vertreibt Warzen", dann ist das bestenfalls
unappetitlich, aber nicht mystisch. Wenn ich aber sage "Warzen verschwinden,
wenn man den Kot der Katze des Pfarrers seiner Haushälterin nachts bei Vollmond
auf einem Kreuzweg auf den Bauchnabel schmiert", dann ist das mystisch.
Wir prägen dafür den Ausdruck der "pseudomystischen Komplikation".
Beide Handlungsweisen sind gleich, sie unterscheiden sich nur in den
Umständen. Indem also simple Handlungen mit höchst komplizierten
Umständen und Verfahrensvorschriften umgeben werden, die keinerlei
Wirkung auf das Nettoergebnis der Handlung haben, erhält das Ganze
einen geheimnisvollen, eben mystischen Anstrich.
Die Misteln sollen bei Vollmond geschnitten werden: Natürlich kann sich
zwischen Tag und Nacht die Konzentration der Inhaltsstoffe ändern,
aber diese Änderung ist marginal, sie ist nicht essentiell.
Wahrscheinlich haben die Verarbeitungsprozesse eine viel größere
Wirkung auf die Inhaltsstoffe, so daß man hierauf sein Augenmerk
richten müßte, aber verfahrenstechnische Fragen sind eben nicht mystisch.
In gleicher Weise gibt es auch die pseudogöttliche Komplikation:
Man schwadroniere über Gott, wie es Uriella alias Bertschinger von der
Sekte Fiat Lux macht, bezeichne sich als das Volltrance-Sprachrohr Gottes, erkläre
sein Badewasser zum Heilwasser gegen alle Krankheiten
(‘Athonwasser’), dann finden sich offensichtlich genügend
Gläubige, die dankbar den aufwendigen Lebensstil der Sektenführer
finanzieren. Man ist versucht zu sagen: Je dümmer eine Behauptung,
um so schneller findet sie Anhänger.
§ 51. Mistel II: Lektinol.
Lektinol ist ein Präparat der Firma Madaus. Es enthält
Mistellektine. Neueste Forschungen haben gezeigt, daß Lektine das
Krebswachstum hemmen können, allerdings nur in einem ganz schmalen
Konzentrationsbereich. Außerhalb dieses Konzentrationsbereichs
findet man keine Hemmung oder sogar eine Verstärkung des
Tumorwachstums.
Analyse:
1. Lektinol verfügt über eine Theorie.
2. Diese Theorie ist nachprüfbar.
3. Damit ist Lektinol kein pseudomedizinsches Verfahren, sondern eine
nachprüfbare wissenschaftliche Methode.
Nach Bekanntwerden der Forschungsergebnisse haben Pseudomediziner (u. a.
Windstosser) triumphiert nach dem Motto "Wir haben es ja schon immer gewußt."
Doch Lektinol ist kein Grund zum Jubeln, eher das Gegenteil, denn
diese Ergebnisse bedeuten, daß die Anthroposophen 80 Jahre lang mit
Konzentrationen gearbeitet haben, die das Krebswachstum fördern können.
Diese Geschichte zeigt, wie unverantwortlich es ist, pflanzliche Stoffe ohne Prüfung,
nur wegen ihrer ‘biologischen Herkunft’ in der Therapie einzusetzen.